Veränderte Landschaft

Italiens neue Regierung Monti wird „technisch“ genannt. Nichts ist irreführender. Als ob in Italien die Politik abgedankt hätte und nur noch ökonomische Sachzwänge exekutiert würden. Ebenso politisch wie die Regierung ist das Sanierungsprogramm, das sie gerade durchsetzt. Während sich auch die politische Landschaft Italiens grundlegend verändert. In beiden Kammern sitzen noch die gleichen Abgeordneten, aber nichts bleibt, wie es war.

Zunächst die Bündnissysteme, und zwar auf beiden Seiten. Rechts scheint das jahrzehntelange Bündnis zwischen PdL und Lega zerbrochen. Während die PdL (widerstrebend) die Regierung Monti unterstützt, macht die Lega auf Fundamentalopposition. Sie kann wieder rückhaltslos den „Kleinen Mann“ (aus dem Norden) vor den staatlichen Übergriffen verteidigen, weil sie keinen Staatsbankrott fürchtet – wenn Italien in Trümmer fällt, hat die Lega schon die Lösung: die „Sezession“. B. hält zwar an der Fiktion fest, das Bündnis zwischen ihm und Bossi bestehe weiter, als ob es sich im Verhalten gegenüber der Regierung Monti nur um eine taktische Rollenteilung handelt. Aber die Lega weiß, dass das Bündnis mit B. ihr Wählerstimmen kostete. Jetzt setzt sie auf die menschliche Vergesslichkeit und hofft, die sozialen Proteste gegen Montis Sparmaßnahmen auf ihre Mühlen lenken zu können. Aber dazu muss sie sich von der PdL abgrenzen, je rüder desto besser.

Auch auf der linken Seite ist manches Tischtuch zerschnitten. Darin, dass eine Sanierung vonnöten sei, war man sich einig. Aber die Opfer sollten „gerecht“ verteilt werden. Als es konkret wurde, schieden sich die Geister. Zunächst kam es zum Bruch zwischen Monti und den Gewerkschaften. Diese hatten sich eine Art „Runden Tisch“ erhofft, an dem das Gesamtpaket noch einmal verhandelt würde. Aber das Treffen, zu dem es schließlich kam, war eher eine Anhörung, bei dem die Regierung ihre Renten- und Steuerpläne nicht mehr ernstlich zur Disposition stellte – nicht über die Zugeständnisse hinaus, die sich bereits in den Verhandlungen mit den Parteien abzeichneten. Da Monti zudem auf B.s Taktik verzichtete, die beiden „rechteren“ Gewerkschaftsverbände CISL und UIL gegen die „linke“ CGIL auszuspielen, kam es zu einer Wiederannäherung zwischen den drei Verbänden. Und am vergangenen Montag zum gemeinsamen dreistündigen Generalstreik.

Seitdem geht es für die Parteien des linken Spektrums nicht nur um „Gerechtigkeit“, sondern auch um ihr Verhältnis zu den Gewerkschaften. Vendolas SEL und Di Pietros IdV schlugen sich auf die Seite der Gewerkschaften, sie lehnen das Sanierungsprogramm wegen sozialer Unausgewogenheit ab. Die PD hingegen legte sich von Anfang an auf die Partnerschaft mit der Monti-Regierung fest – und bewegt sich damit, ein späteres Bündnis vorwegnehmend, Richtung Zentrum (UDC). Im Spagat der Loyalitäten, auch gegenüber der eigenen Basis, suchte sie „von innen“ Montis Sparmaßnahmen zu verändern, ohne ultimative Forderungen zu stellen. Das linke Parteienbündnis war damit erst einmal Vergangenheit.

Und Berlusconi? Der Alptraum scheint vorbei. Mit der Macht ging ihm auch die letzte Aura verloren, man sieht die Nacktheit unter der Tünche. Was für ein Unterschied des Stils, wenn Monti auftritt. Während B. sich eigentlich immer nur selbst inszenierte, lässt Monti, der unbeholfenere Redner, Fakten und Probleme sprechen. Dass Macht auch zivil sein kann – wie erholsam das ist!

Aber noch liegt B.s Schatten über der italienischen Politik. Man spürt: Er wartet ab. Die Regierung Monti wird er unterstützen, solange noch die Finanzmärkte das Menetekel des Staatsbankrotts an die Wand malen. Aber wenn dieser Druck nachlässt? Man kann darauf wetten, dass B. dann versuchen wird, sich für die Wahlen von 2013 als populistischer Retter vor Montis „Steuerstaat“ in Stellung zu bringen. Und dabei, wie jetzt schon die Lega, auf die Vergesslichkeit der Wähler spekulieren.

Auch über Montis Sanierungsprogramm liegt B.s Schatten: Es verordnet Rentenkürzungen und Steuererhöhungen für Gering- und Normalverdiener, aber weder eine wirklich zupackende Vermögenssteuer noch eine wirksame Maßnahme gegen Steuerflucht. In B.s ganz persönlichem Interesse. Dessen Allgegenwart macht ein weiterer Punkt deutlich: Der Staat könnte jetzt die Frequenzen für 40 Kanäle des digitalen Fernsehens versteigern, was nach Expertenmeinung etwa 16 Mrd. € brächte, womit sich geplante Einschnitte im Sozialhaushalt abmildern ließen. Warum ist Monti auf diesem Ohr so merkwürdig taub? Es gibt eine ebenso schlichte wie plausible Antwort: Die frühere Regierung Berlusconi wollte diese Frequenzen der RAI und B.s Mediaset gratis überlassen. Und Monti muss sich daran halten.

Nur der Gerechte kann Opfer fordern. Ob Monti dafür die Idealbesetzung ist, kann ich nicht beurteilen, ich weiß nur, dass er dazu als „Neutraler“ berufen wurde. Leider ist B.s Einfluss immer noch stark genug, um Montis Sanierungsprogramm genau die Dosis Ungerechtigkeit beizumischen, die diesem Programm die Legitimation kosten kann.

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