Der Berlusconi-Bossi-Block

(Opposition 1)

Italien ist ein Problem – die Opposition, die es eigentlich lösen müsste, ist ein Teil von ihm. Der Winter ist die depressive Jahreszeit. Die richtige Zeit, um über sie zu schreiben.

Aber auch wenn es für eine Beitragsserie über die Opposition ein Umweg zu sein scheint: Beginnen wir mit dem Wähler-Block, welcher ihr gegenübersteht und an dem sie sich abarbeiten muss.
Aus der Vogelperspektive betrachtet ist die italienische Wählerschaft in zwei etwa gleich große Teile gespalten. Auf der einen Seite (ich nenne sie nicht die „rechte“, weil es zu unscharf wäre) finden wir die Anhänger von Berlusconis PdL und Bossis Lega. Nach dem Wegbrechen von Finis FLI (ebenfalls ein „Rechter“) liegt ihr Potenzial immer noch bei etwa 40 %, mit der ultrarechten „Destra“ ein paar Prozentpunkte mehr.

Ihren Kern bildet ein Milieu, das wir mit G. Schulze, dem Autor der „Erlebnisgesellschaft“, das „Unterhaltungsmilieu“ nennen könnten und das es auch in Italien gibt. Seine Kennzeichen sind Konsumismus, Hedonismus, Erlebnisorientierung. Mehr als anderen europäischen Politikern gelang es Berlusconi, das hierin steckende populistische Potenzial aufzudecken und freizusetzen. Ihm kam zugute, dass er schon seit den 80er Jahren über ein Medienimperium verfügte. In seinem Zentrum stand das neue Privatfernsehen, über das er dieses Milieu rund um die Uhr mit flachster Unterhaltung und einer Welt des schönen Scheins versorgte. Untersuchungen zeigen, dass seine spätere politische Anhängerschaft mit dem Publikum seiner Privatkanäle weitgehend identisch war. Er hatte diese also schon medial zubereitet, bevor er sie in der ersten Hälfte der 90er Jahre auch politisch vereinnahmte. Als „Tangentopoli“ das alte und noch weitgehend ideologisch gebundene Parteiensystem zusammenbrechen ließ, war die Gelegenheit zu dem zweiten Schritt gekommen. B. ergriff sie beim Schopf – das war seine „Genialität“.

Um die italienische Variante des Unterhaltungsmilieus zu erfassen, sind ein paar Zusätze nötig, die sich durch die Historie Italiens erklären – zum Beispiel die Tradition der kollektiven Steuerhinterziehung, die sich schon in der Nachkriegszeit unter der Herrschaft der Democrazia Cristiana etablierte. So charakterisiert dieses Milieu auch eine besondere Ferne zum Gemeinwohl, eine Neigung zur „Furbizia“, zum individualistischen Sich-Durchschlängeln. Wobei der Wille, in diesen Punkten von den Zumutungen der Politik unbehelligt zu bleiben, mit der Bereitschaft einhergeht, die entsprechenden Eigenschaften auch bei Politikern zu tolerieren und sogar zu bewundern.

Die wachsende Anhängerschaft der norditalienischen Lega bringt ein weiteres Motiv ans Licht: das Gefühl der Bedrohung durch die Globalisierung, die „Extracomunitari“ aus dem Süden und die neuen „Comunitari“ aus dem Osten. Die Lega bedient die Reflexe der aggressiven Xenophobie und des regressiven Rückzugs in den Regionalismus, leider mit Erfolg. Beide Motivlagen verbinden sich in der Anhängerschaft von Berlusconi und Bossi zu einem ebenso explosiven wie beharrungsfähigen Gemenge.

Der Exkurs macht vielleicht plausibel, dass sich dieser 40 %-Bock nicht so leicht erschüttern lassen wird. Weder durch Sexspiele und Korruptionsskandale seiner politischen Führer noch durch das Schauspiel öffentlicher und verdeckter Hexenjagden auf Roma und Afrikaner, oder durch sonstige Belege politischen Versagens, die anderen europäischen Regierungen vielleicht noch ins Schuldbuch geschrieben würden. In ihm, so scheint mir, liegt der eigentliche Kern des italienischen Demokratieproblems, nicht nur in Berlusconi. Ein Problem, das ihn vermutlich überdauern wird. Und auf das die Opposition eine Antwort finden muss.

3 Kommentare

  • volker stegmann

    Sehr geehrter Herr Heine,
    regelmaessig lese ich Ihre Artikel und kann meistens nur mit Ihnen uebereinstimmen. Zu Ihrem heutigen Aufsatz ueber das „Unterhaltungsmilieu“ lassen Sie mich bitte anfuegen oder praezisieren, dass die „Tradition der kollektiven Steuerhinterziehung“, die „furbizia“ und die Ferne zum Allgemeinwohl in Italien sich durch alle sozialen Schichten, alle Altersklassen und (mehr oder weniger) durch alle politische Orientierungen zieht; klarer Weise kann man deshalb diese „Tugenden“ nicht nur der Berlusconi/Bossi-Waehlerschaft zuordnen. Wahrscheinlich liegt einer der Gruende fuer den Mangel an Alternativen zum System Berlusconi darin, dass ein Grossteil der „Opposition“ – hier meine ich sowohl Politiker als auch deren Waehlerschaft -sich fuer den Anspruch auf eine grundlegende Veraenderung der politischen, sozialen und kulturellen Landschaft in Italien moralisch nur sehr begrenzt legitimieren kann.
    Mit freundlichen Gruessen
    Volker Stegmann

  • Das Berlusconi nicht alleine die Situation herbei geführt hat in der Italien zur Zeit steckt sollte jedem klar sein.
    Als Person sollte er aber fallen um vielleicht gerade seinen Anhängern die Unrechtmäßigkeit seiner Taten vor Augen zu führen. Je erfolgreicher solche Menschen sind, desto mehr werden sie bewundert und irgendwo muss man anfangen mit diesem Irrglauben auf zu räumen.
    Das gelingt eher als die Hoffnung auf die Linke des Landes zu stützen. Die hat leider schon zu oft enttäuscht.

  • Hartwig Heine

    Sehr geehrter Herr Stegmann,

    leider war ich unterwegs und komme erst jetzt dazu, ihren freundlichen Kommentar zu beantworten.
    Ich glaube, Sie haben leider weitgehend recht und mich bei einer Schludrigkeit erwischt. Es gibt zwar auch in Italien eine Tradition der Legalität und individuellen Ehrlichkeit, aber abgesehen von einigen Richtern ist sie wohl dabei auszusterben. Eine Zeit lang glaubte ich, Di Pietros Italia dei Valori sei ein Ansatz für eine „moralischere“ Politik, mit der Chance auf wachsende Breitenwirkung, auch in Richtung auf die Opposition insgesamt. Aber angesichts der jüngsten Zersetzungserscheinungen in der IdV bin ich mir da wieder unsicher geworden.
    Alles in allem ist die Rätselfrage, woher eigentlich Berlusconis Wählerpotenzial kommt, sicherlich nur annäherungsweise zu beantworten. Wenn Ihnen dazu – aufgrund Ihres Wissens oder eigener Erfahrung – noch etwas Weiterführendes einfällt, habe ich einen Vorschlag: Machen Sie daraus für unseren Blog einen kleinen Beitrag (möglichst nicht über 3500 Zeichen, Leerzeichen inklusive). Es muss ja nicht die ultimative Antwort sein. Wir würden uns freuen!

    Mit freundlichen Grüßen

    Hartwig Heine

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