Savianos Aufruf gegen Gewalt


Vorbemerkung der Redaktion

Rechtfertigen Zorn und Verzweiflung Gewalt?

In Italien geht es derzeit nicht nur um den Kampf gegen Berlusconi, sondern auch darum, wie dieser Kampf zu führen ist. Am Tag der Vertrauensabstimmungen kam es zu Massendemonstrationen in Rom und in ganz Italien, bei denen nicht nur die Polizei, sondern auch Teile der Demonstranten gewalttätig wurden.

Wir dokumentieren im Folgenden auszugsweise einen offenen Brief von Roberto Saviano, dem Autor von „Gomorrha“, an die Demonstranten. Der von der Mafia zum Tode verurteilte Autor lebt unter permanentem Polizeischutz. Die „Repubblica“ veröffentlichte den Brief am 16. Dezember. Im Internet hat er eine breite Diskussion entfacht.


„Wer während der römischen Demonstration mit Steinen warf, warf sie auch gegen die Frauen und Männer, die auf die Straße gegangen waren. Wer einen Bancomat angriff, griff auch diejenigen an, die demonstrierten, dass sie ein neues Land, eine neue politische Klasse, neue Ideen wollen. Jeder Akt der Gewalt war ein Vertrauensvotum mehr für die Berlusconi-Regierung. Die Helme, die Knüppel, die brennenden Autos, die Schals zur Verdeckung des Gesichts, all das gehört nicht zu denen, die ein anderes Italien zeigen wollen. Ski-Masken, Pflastersteine, zu Bruch gehende Fensterscheiben sind altbekannte unerträgliche Reaktionen und haben nichts mit der vielgestaltigen Bewegung zu tun, die am Dienstag durch Rom und Italien zog. Polizisten, die sich zu kleinen Gruppen zusammenrotten und an Gestolperten ihre Wut, Frustration und Angst auslassen – ein Schauspiel, das es nicht mehr geben darf. Gruppen von Gewalttätern, die vereinzelte Polizisten zu Boden reißen und schlagen – auch das ein Schauspiel, das es nicht mehr geben darf. Wenn sich alles auf den bekannten Straßenkampf reduziert, hat diese Regierung noch einmal gewonnen…

Als erste muss man die Vermummten isolieren. Der „schwarze Block“, oder wie die Ultras des Chaos genannt werden, ist der Saboteur der Bewegung. Sie ziehen sich die Ski-Maske über, fühlen sich wie Subkommandant Marcos und terrorisieren die anderen Studenten, die auf der Piazza Venezia schrien, doch damit endlich aufzuhören. Sie verwandeln in einen Zusammenstoß der Schlagstöcke, was ein Zusammenstoß der Ideen, der sozialen Kräfte, der Projekte sein soll, dessen Funken nicht Autos, sondern Köpfe entzünden …

Diese Regierung, die sich in Schwierigkeiten befindet, wird alles daran setzen, um denjenigen die Legitimation zu entziehen, die auf die Straße gehen, und um die Jugendlichen und ihre Familien mit einer klaren Botschaft zu erschrecken: Lasst sie auf die Straße, und sie werden blutig und als Gewalttäter heimkehren. Die Schwachsinnigen mit der Maske und den Knüppeln interessiert das nicht…

Die Idee eines anderen Italiens ist es, die uns gehört und vereint. Es gab soviel Fröhlichkeit bei den Jugendlichen, die auf die Idee des Blocks der Bücher kamen, die Bücher, die Wachstum und Bewusstwerdung bedeuten, als Verteidigung. Sie drücken aus, dass die Worte dazu da sind, um zu schützen, dass alles mit Büchern, Schule, Bildung beginnt. Die Jugendlichen von der Universität, die neuen Generationen des Prekariats haben nichts zu schaffen mit den vermummten Feiglingen, die meinen, die Zerstörung eines Bancomats sei eine Kampfansage an den Kapitalismus. Aber auch von den polizeilichen Institutionen ist zu verlangen, dass sie nicht mehr solche Tragödien anrichten wie damals in Genua…

Es ist eine Falle, in die man nicht mehr gehen darf. Man muss sich organisieren und die Gewalttätigen entfernen. Mit dem Überziehen von Masken muss Schluss ein. Der Kopf dient dem Denken, nicht als Rammbock… Vermummt euch nicht, überlasst das anderen, lauft aufrecht und mit freiem Gesicht. Soll sich verstecken, der sich seines Tuns schämt…, der nicht sein Recht auf Studium, Forschung, Arbeit verteidigt. Wer demonstriert, versteckt sich nicht, sondern macht das genaue Gegenteil. Und wenn Polizeiautos den Weg zum Parlament blockieren? Dann haltet dort, die Worte erreichen die ganze Welt. Denn man demonstriert, um dem Land und denjenigen, die zu Hause oder auf den Balkons oder hinter den Fensterläden blieben, zu zeigen, dass es hier um Rechte geht, die verteidigt werden müssen. Und dass es jemanden gibt, der es auch für sie tut, und dabei dafür sorgt, dass alles auf zivilisierte, friedliche und demokratische Weise geschieht. Genau ein solches Italien soll aufgebaut werden, und dafür geht man auf die Straße.“

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