Der kranke Staat im Belpaese

Politökonomische Betrachtungen (3)

Betrachtet man statt der privaten Haushalte (siehe „Der italienische Bürger wird ärmer“) die öffentlichen Haushalte, so sieht das Bild nicht rosiger aus. Die Staatsverschuldung war schon in der alten EU die höchste und ist auch in der auf 27 Staaten erweiterten EU die höchste geblieben. Sie ist im letzten Jahrzehnt trotz aller akrobatischen Finanzkunststücke der zuständigen Minister stetig gestiegen. Gegenwärtig wird es mit knapp 117 Prozent des Bruttoinlandsprodukts angegeben (ca. 1800 Milliarden in 2010) und wird im nächsten Jahr nach Schätzung der italienischen Zentralbank auf rund 120 Prozent ansteigen. Tatsächlich dürfte der Prozentsatz um einiges höher liegen. Da die offiziellen Stellen in Brüssel, der Internationale Währungsfonds und auch die Ratingagenturen an diese Zahl glauben wollen, wird daran auch nicht gerüttelt. (Zumal es auch für einen italienischen Parlamentarier im Finanzausschuss nahezu unmöglich ist, an genaues Zahlenmaterial heranzukommen. Aus politischen Gründen ist auch der Rechnungshof keine wirkliche Hilfe.)

Diese enormen Schulden verschlingen einen beständig steigenden Anteil der staatlichen Einnahmen (2010 war der Staatshaushalt mit rund 8o Milliarden Euro belastet, die als Zinsen auf die Schulden zu zahlen waren. Diese wurden weitgehend durch Neuverschuldung aufgebracht). Die enormen Zinszahlungen tragen nicht wenig zum guten Gesundheitszustand des italienischen Bankgewerbes bei, das ansonsten zu den ineffizientesten in den Industrieländern gehört. Den größten Teil der Schulden finanziert der italienische Bürger über Staatspapiere, einen Teil der Schuldverschreibungen halten Banken, Versicherungen, Finanzierungsinstitute. Die Verschuldung des italienischen Staats gegenüber dem Ausland ist allerdings (im Vergleich zu Griechenland, Irland oder Spanien) relativ gering, was (neben anderen Faktoren) Italien bisher davor bewahrt hat, ins Visier der Finanzspekulanten zu geraten.

Aber nicht nur die Staatsverschuldung ist gestiegen. Da weniger produziert wird, die Arbeitslosigkeit steigt, das Prekariat enorm zugenommen hat und die Steuerhinterziehung weiterhin exorbitant hoch ist (das Censis schätzt die Summe für 2010 auf rund 100 Milliarden Euro), sind auch die staatlichen Einnahmen gefallen und somit das Haushaltsdefizit gestiegen. (2009 lag es bei 5,3 Prozent gegenüber einem Mittelwert von 3,5 Prozent in der Euro-Zone). Es würde noch höher ausfallen, hätte der italienische Staat nicht durch abnehmende Leistungen die Ausgaben verringert und den Bürger durch gesteigerte verdeckte Abgaben neben den Steuern zusätzlich zur Kasse gebeten.

Was die staatlichen Ausgaben in Prozent vom BIP für Familie und Mutterschutz anbetrifft, liegt Italien in der Euro-Zone inzwischen an letzter Stelle. Deutschland und Frankreich geben dafür doppelt soviel aus bzw. an eingenommenen Steuergeldern an die Familien zurück. Im Schnitt bittet der deutsche Staat seine Bürger pro Jahr und Kopf mit 6.900 Euro zur Kasse, der italienische mit 7.400 und der französische mit 7.430 Euro. In Form von sozialen Dienstleistungen gibt Frankreich davon 3.340 Euro, Deutschland 2.250 und Italien nur 664 Euro an seine Bürger zurück. Dazu kommt, dass der italienische Bürger, wenn er vom Staat öffentliche Dienstleistungen kauft oder kaufen muss, er dafür das Doppelte an Tarifen oder Gebühren zu zahlen hat wie in Frankreich oder Deutschland. Der italienische Staat verlangt also nicht nur mehr (und immer mehr) an finanziellen Aufwendungen von seinen Bürgern als anderswo in der EU, sondern gibt auch weniger (und immer weniger) an Leistungen zurück.

Ein beträchtlicher Teil der nicht zurückgegebenen Steuergelder versickert – insbesondere unter den Berlusconi-Regierungen – in den Taschen der „parasitären Politikerkaste“. Die unzähligen Skandale – wie kürzlich der um das Erdbebengebiet L’Aquila oder die Mülldeponien im Großraum Neapel – legen davon Zeugnis ab.

Teil 1: Wie bedrohlich ist die Wirtschaftslage in Italien?
Teil 2: Der italienische Bürger wird ärmer