Nach den Primarie

„Primarie“ gibt es in Italien noch nicht lange, hier sind sie ein Alleinstellungsmerkmal der Linken. Sie schaute sie den Amerikanern vor einem guten Jahrzehnt ab (daher das Wort „Primarie“ als italienisierte „Primaries“). Es gab Momente, da schaffte sie es, mit ihnen halb Italien zu elektrisieren. Während die zentristischen und rechten Parteien ihre Kandidaten für wichtige politische Ämter (Regierungschef, Bürgermeister) weiterhin „von oben“ bestimmten, tat es nun die Linke demonstrativ „von unten“. Das Verfahren war umständlich. Ging es z. B. um einen neuen Spitzenkandidaten bei Neuwahlen, wurde darüber zuerst innerhalb der PD diskutiert und abgestimmt. Aber das war nur die Vorauswahl. Die Liste der drei oder vier Kandidaten, die hier die meisten Stimmen erhielten, wurde nun dem gesamten mittelinken Lager zur Abstimmung vorgelegt – auch Nicht-Mitgliedern. Erreichte hier niemand auf Anhieb über 50 %, gab es noch eine Stichwahl.

Schlange vor dem Wahlstand

Schlange vor dem Wahlstand

Ein Verfahren, das Wochen dauern konnte. Aber wo es funktionierte, wurden daraus Festwochen der Demokratie, denen gegenüber auch Grillos Mausklick-Demokratie wie eine Farce erscheint. An den ersten Primarie im Oktober 2005, die Romano Prodi auf den Schild hoben, beteiligten sich 4,3 Millionen. An den Primarie von 2007, in denen es um die Wahl des neuen Generalsekretärs der frisch gegründeten PD ging (Walter Veltroni), 3,5 Millionen. Als im November 2012 erstmals Renzi antrat (aber noch von Bersani geschlagen wurde), waren es 3,1 Millionen. Als Renzi 2013 seinen zweiten, erfolgreicheren Anlauf nahm (Bersani kandidierte nicht mehr), waren es noch 2,8 Millionen. Für den Sieger ging es dabei nicht nur darum, mit möglichst eindrucksvollen Prozentzahlen seine Konkurrenten zu distanzieren. Sondern auch um die absolute Höhe der Beteiligung. Sie gab seinem Sieg die eigentliche Legitimation. Sie bedeutete, dass in seine Auswahl Millionen von Menschen einbezogen waren, die ihn von nun an als „ihren“ Kandidaten betrachten konnten.

Niedrige Erwartungen

In diesem Frühjahr waren die Erwartungen niedrig, besonders im Hinblick auf die Beteiligung. Es spricht nicht gerade für Selbstbewusstsein, dass die PD-Führung diese Erwartung – ein alter Trick! – vorsichtshalber weit herunterschraubte. „Wenn sich diesmal eine Million beteiligt, dann ist das auch schon was“, so ungefähr Renzi wenige Tage vor der Abstimmung. Die Skepsis hatte Gründe: Erstens hat die PD in den letzten Jahren bei ihrer Wählerschaft an Ansehen und Bindekraft verloren – immer mehr Wähler bleiben zu Hause, ein Drittel der bisherigen Mitglieder hat das Mitgliedsbuch zurückgegeben. Zweitens hat Renzi parteiintern kaum noch Konkurrenten, da viele von ihnen die PD inzwischen verlassen haben. „Primarie“ leben von den großen Duellen – die beiden nominellen Mitkonkurrenten, die diesmal gegen Renzi antraten, wirkten nicht einmal „ernst gemeint“. So fehlte die Spannung, Beobachter sprachen von „Langeweile“. Drittens drängte sich vielen Teilnehmern an den diesjährigen Primarie der Verdacht auf, zu Statisten eines Politmanövers degradiert zu werden: Nachdem Renzi im vergangenen Dezember als Ministerpräsident zurückgetreten war, will er nun der wieder Spitzenkandidat der PD werden – und da nun einmal das Parteistatut vorschreibt, dass die Kandidatur zum Regierungschef die Wahl zum Generalsekretär voraussetzt, musste er auch von diesem Posten zurücktreten, um gleich erneut für ihn zu kandidieren. Viertens konnte man den Zweck des Ganzen auch darin sehen, Renzis Nachfolger, Parteigenossen und angeblichen Freund Gentiloni von vornherein als Mitkonkurrenten auszuschalten, obwohl er vielleicht die besseren Wahlchancen hatte: Gegenüber dem einst charismatischen, inzwischen entzauberten Renzi verkörpert er nicht nur Solidität, sondern auch einen Neuanfang. Mit den Primarie hat ihn Renzi erfolgreich in die Rolle einer Übergangslösung eingemauert, die (spätestens) im Frühjahr 2018 endet.

Renzis doppelter Erfolg

Renzi brachten die Primarie vom 30. April das erwartete und erwünschte Ergebnis, nämlich den haushohen Sieg. Schon im ersten Wahlgang bekam er 70 Prozent. Er ist wieder Generalsekretär seiner Partei und – vor allem darum ging es ihm – deren Spitzenkandidat für die nächste Wahl. Angesichts der heruntergeschraubten Erwartungen steckte im Ergebnis aber auch eine Überraschung: An der Abstimmung beteiligten sich immerhin 1,85 Millionen. Das ist zwar eine Million weniger war als bei den Primarie vor knapp 4 Jahren, die Renzi an die Macht brachten. Aber immer noch „mehr als nichts“ – und mehr als die eine Million, die Renzi noch schnell zum Maßstab des Erfolgs gemacht hatte. Ich glaube nicht, dass es sich bei den 1,3 Millionen, die diesmal für Renzi stimmten, nur um „Hundertprozentige“ handelte (von ihnen gibt es nicht mehr viele). Sondern vor allem um Menschen, die dem Zerfallsprozess des linken Lagers noch etwas entgegensetzen wollen. Die italienische Linke (nicht nur Renzi) hat in den letzten Jahren einen großen Teil ihres politischen Tafelsilbers verramscht. Aber etwas ist davon noch geblieben.

Metamorphose der PD

Leider gibt es Anzeichen, dass auch dieser Rest schnell zerrinnen wird. Eine Stichprobe unter den diesjährigen Teilnehmern ergab, dass sich für die PD fast nur noch alte Leute interessieren. 15 % der Teilnehmer waren zwischen 16 und 34 Jahre alt, 9 % zwischen 35 und 44 Jahre, 13 % zwischen 45 und 54, 21 % zwischen 55 und 64. Und 42 % waren über 65. Vor allem sie hat Renzi noch einmal mobilisiert. Die Masse der Jüngeren ist davongelaufen, meist zur 5-Sterne-Bewegung. Die Wahlforscher sagen aber auch, dass im Vergleich zu 2013 die Beteiligung vor allem dort einbrach, wo die PD bisher am stärksten war: im Norden. Insbesondere in den traditionell „roten“ Regionen Emilia Romagna, Toskana, Umbrien. Hier hat sich die Beteiligung faktisch halbiert. Die Abnahme im Süden fiel geringer aus – in einigen Regionen wie Apulien, Basilicata und den Abruzzen gab es sogar Zuwächse. Die bisherigen PD-Mitglieder des Nordens prägte vor allem die KPI-Vergangenheit, die „ideale“ Bindung, der Entwurf einer Gegengesellschaft. Im Süden überwiegt die „klientelistische“ Bindung, d. h. der utilitaristische Tausch Stimmenpakete gegen lokale Wohltaten. Dass sich vor allem hier die PD hielt, spricht eher für ihre „Demochristianisierung“ als für die Sozialdemokratisierung des Südens. Die Entkernung der PD setzt sich fort, sie wird durch die Gewichtsverlagerung in den Süden noch „flüssiger“, noch mehr zur „Partei Renzis“.

Fazit? Der noch politisch handlungsfähige Teil von Mittelinks ist die PD, aber er ist geschrumpft. Der linke Flügel ist zersplittert und weggebrochen. Renzis Hoffnung, mit seiner Rest-PD eine die italienische Politik bestimmende Kraft zu bleiben, verliert weiter an Substanz. Er schafft es nicht, der PD im Zentrum und auf der Rechten neue Wählerschichten zu erschließen. Die Linke mauert sich immer mehr in ihrem Sektierertum ein. Renzi hat sein einstiges Charisma verloren und beginnt, sich zu wiederholen. Um dem Mitte-Links-Lager eine einigende Perspektive zu geben, hat er weder den Willen noch die Statur. Und obwohl die „Primarie“ seine Stellung innerhalb der PD festigten, ist von ihm keine Erneuerung der Partei zu erwarten. Stattdessen ist seine Abhängigkeit von den Granden des Südens weiter gewachsen.

Renzis Chancen, die kommenden Wahlen zu gewinnen, bleiben schlecht.

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