Versprochener Rücktritt

Wirft B. das Handtuch? Nein, er hat es nur versprochen. Am späten Dienstagnachmittag ergab eine Art Probeabstimmung über den Rechenschaftsbericht 2010, dass er im Parlament keine Mehrheit mehr hat (von 316 Abgeordneten, die zur absoluten Mehrheit nötig sind, stimmten nur 308 für die Regierung, einer „war gerade auf dem Klo“). Daraufhin begab sich B. zu Napolitano, der anschließend offiziell verlautbaren ließ:

„Staatspräsident Giorgio Napolitano empfing heute Abend den Ministerpräsidenten, den ehrenwerten Silvio Berlusconi… im Quirinal… Der Ministerpräsident erläuterte dem Staatspräsidenten, dass er sich der Implikationen des heutigen Abstimmungsergebnisses im Parlament bewusst ist; gleichzeitig hat er seine große Besorgnis zum Ausdruck gebracht, dass es dringend erforderlich ist, den Erwartungen der europäischen Partner durch die Verabschiedung eines Stabilitätsgesetzes zu entsprechen, das in angemessener Weise die Verbesserungen enthält, die durch die Kommentare und Vorschläge der Europäischen Kommission nahe gelegt werden. Nach Erfüllung dieser Aufgabe wird der Ministerpräsident dem Staatspräsidenten sein Amt zur Verfügung stellen, welcher daraufhin mit den üblichen Beratungen beginnen wird, und zwar unter höchstmöglicher Beachtung der Standpunkte und Vorschläge aller politischen Kräfte, sowohl der Mehrheit, die sich aus den Wahlen von 2008 ergeben hat, als auch der Opposition“.

Auch wenn diese Verlautbarung B. ebenso freundlich wie unzutreffend unterstellt, er sei zu verantwortlichem Handeln fähig, möchte man sagen: Endlich! Er tritt zurück, der Alptraum hat ein Ende. Auf den zweiten Blick entdeckt man die Achillesferse:

  1. B. tritt nicht sofort zurück, sondern erst nach Verabschiedung des Sparprogramms. Wann das sein wird, ist unklar. B. hofft vielleicht, das bis dahin noch viel geschehen kann – der Druck der Finanzmärkte, der Italien auf den Abgrund zutreibt und die politische Klasse zum schnellen Handeln zwingt, verstärkt sich allerdings stündlich.
  2. Das Sparprogramm, das ist abzusehen, wird auch in Italien „Blut und Tränen“ kosten. Es wird nun von einer Regierung formuliert, die sich in einer komfortablen Lage befindet: Da sie es nicht mehr selbst zu exekutieren hat, muss sie auf Gesichtspunkte wie soziale Gerechtigkeit noch weniger Rücksicht nehmen. Den Volkszorn wird die nächste Regierung ausbaden. Zumal B. die Parteien, die es verabschieden müssen – dazu werden auch Parteien der Opposition gehören -, damit erpressen kann, dass sie sich im Weigerungsfall nicht nur der Rettung Italiens in den Weg stellen, sondern auch ihn als Ministerpräsidenten im Amt halten würden.
  3. B. tritt nicht aufgrund einer verlorenen Vertrauensabstimmung zurück, sondern „freiwillig“, nachdem er vorher ein wichtiges Gesetz durchgebracht hat. Womit er noch am ehesten Einfluss auf die folgenden Entscheidungen nehmen kann, z. B. über seinen Nachfolger. Der er übrigens auch selbst sein könnte – oder einer seiner Lakaien. Denn immerhin stellt ja die PdL noch die größte Parlamentsfraktion.
  4. Oder es gibt nach der Verabschiedung des Sparprogramms Neuwahlen. Genau dies fordert B., und versucht sich dabei als „guter Demokrat“ zu präsentieren. Vermutlich mit drei Hintergedanken: Erstens können auch Neuwahlen erst in einigen Monaten stattfinden – bis dahin müsste er noch im Amt bleiben (im Moment denkt er eher in kurzen Fristen). Zweitens könnte bis dahin das Wahlgesetz nicht geändert werden, womit ihm noch eine kleine Chance bliebe, zumindest im Senat eine Mehrheit zu behalten. Die Kandidaten würden weiterhin von den Parteizentralen bestimmt, für B. ein wichtiges Herrschaftsinstrument. Drittens bliebe im Fall der – im Moment wahrscheinlichen – Wahlniederlage die tröstliche Aussicht auf den Volkszorn, der die nächste Regierung bald hinwegfegen könnte wie Zapatero in Spanien oder Papandreou in Griechenland. Und B. könnte wie Phoenix aus der Asche wieder auferstehen.

Bei B. darf man keinen Augenblick lang das Interesse vergessen, das sein Handeln bestimmt. Bossi hat es auf den Punkt gebracht: die Sorge um seine Unternehmen und – vor allem – die Angst vor den Gerichten. B. wird um jeden Preis versuchen, im politischen Geschäft zu bleiben. Er muss es. Noch hat sich Italien, noch hat sich Europa nicht von ihm befreit.

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