Pyrrhus-Sieg?

Die Gänse haben nun doch – in erster Lesung – ihre Schlachtung entschieden. Nach konvulsivischen Diskussionen beschloss der Senat am 8. August, sich selbst die politische Macht, die finanziellen Pfründe und die Legitimation (aus Wahlen) zu entziehen. Er lag damit in dem von der PD-Führung vorgegebenen Zeitplan, und Renzi konnte erneut seinen Ruf festigen, Italiens Speedy Gonzales (die „schnellste Maus der Welt“) zu sein. Allerdings gab es nur 183 Ja-Stimmen, viel weniger als es die Summe der den Beschluss tragenden Fraktionen von PD, ihren Koalitionspartnern und Berlusconis FI erwarten ließ, und auch viel weniger als die Zweidrittelmehrheit, die nötig gewesen wäre, um eine Verfassungsänderung allein durch die Kammern zu beschließen. Schlimmer noch: Die 183 Ja-Stimmen liegen nur knapp über der Grenze, bei der die „einfache“ absolute Mehrheit beginnt (der Senat hat 320 Mitglieder) – unter der die Reform schon jetzt gestorben wäre.

So muss es, wenn die noch anstehenden Lesungen (zwei in der Abgeordnetenkammer, eine im Senat) zum gleichen Ergebnis führen, ein „konfirmatives Referendum“ geben, in dem das Volk zu dieser Verfassungsänderung befragt wird. Bis es so weit ist, wird noch viel Wasser den Tiber hinunterfließen. Und es ist durchaus möglich, dass es dabei auch noch inhaltliche Änderungen an der Reform geben wird.

Die ökonomischen Reformen

Draghi, der Levitenleser

Draghi, der Levitenleser

Nun beginnt jedoch Renzis eigentlicher Tanz, dem gegenüber sich die Schlacht im Senat nur als „Pyrrhus-Sieg“ darstellen könnte. Wäre Renzi aus Berlusconis Holz geschnitzt, würde er wohl von „Verschwörung“ reden, denn als die Auseinandersetzung im Senat ihren medialen Höhepunkt erreichte, kam es aus anderer Richtung plötzlich knüppeldick: Entgegen den Prognosen der Regierung, die für 2014 ein Wachstum des Bruttosozialprodukts von 0,8 % prognostizierte, konstatierte das italienische Statistikamt, dass hier wohl der Wunsch der Vater des Gedankens gewesen sei: Das BSP sei im zweiten Quartal 2014 noch einmal um 0,3 % gesunken. Die Ratingagentur Moody’s zog nach und prognostizierte Italien für 2014 weiteres Minuswachstum. Und schließlich verkündete am Vorabend der Senats-Abstimmung Mario Draghi, der Chef der Europäischen Zentralbank, institutionelle Reformen seien ja schön und gut, aber nun müsse Italien schleunigst ökonomische Reformen für Produktivität, Konkurrenzfähigkeit und Wachstum in Angriff nehmen.

Zu allem Überfluss wurde dann noch ein Brief bekannt, den die Brüsseler Kommission schon im Juli der italienischen Regierung geschrieben hatte und in dem sie ihr bescheinigte, „keine Strategie“ für ihre Zukunftsinvestitionen zu haben. Wobei es hier nicht nur um Brüsseler Besserwisserei geht, sondern um immerhin 41,5 Mrd. €, die Italien von 2014 bis 2020 zufließen, wenn es in verschiedenen von Europa geförderten Bereichen (Digitalisierung, Innovationen, Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, Kultur und Bildung) langfristige Struktur- und Kofinanzierungspläne vorlegt. Es bedeutet schon eine heftige Ohrfeige, dass die Brüsseler Kommission einen ersten Strukturplan, den ihr die Renzi-Regierung im April geschickt hatte, zur Überarbeitung zurückschickte – mit der stillschweigenden Drohung, die Strukturhilfen für Italien könnten ja auch ganz gestrichen werden.

Das Gespenst der Deflation

Das Gespenst, das derzeit in Italien umgeht, heißt Deflation. Die Preise für Konsumgüter sinken, und der Ökonom Tito Boeri legte in der „Repubblica“ dar, welcher Teufelskreis damit in Gang gesetzt wird: Überall, wo es möglich ist, schieben die Haushalte den Erwerb von Konsumgütern auf, weil sie auf noch niedrigere Preise warten. Die Unternehmen, die diese Güter herstellen, bleiben auf ihren Produkten sitzen, zahlen ihren Arbeitern weniger Lohn oder entlassen sie. Worauf die Nachfrage nach Konsumgütern weiter sinkt, usw. Wenn die Regierung diese Negativspirale durchbrechen will, steht sie vor einer Herkulesaufgabe, denn das Austeritätsregime, das ihr Europa auferlegte, bindet ihr weitgehend die Hände.

Dass die Linke zwar sozial gerechter, die Rechte aber wirtschaftlich kompetenter sei, ist auch in Deutschland ein verbreitetes Stereotyp. Demgegenüber schien für die italienische Linke eine Figur wie Berlusconi ein Glücksfall zu sein, denn irgendwann wusste (fast) jeder, dass er trotz seiner Milliarden unter ökonomischem Realitätsverlust leidet. Wie bei Monti und Letta beruhte Renzis anfänglicher Erfolg auf der Hoffnung, bei ihm auf Kompetenz zu stoßen. Sie bekommt nun erste Kratzer – seine Ankündigungen, das 80 €-Programm werde nicht nur die Konsumneigung, sondern auch der italienischen Wirtschaft nutzen, und das BSP werde schon in diesem Jahr um 0,8 % wachsen, erwiesen sich als eklatante Fehleinschätzungen. Und nun bescheinigt ihm Brüssel auch noch ökonomische Planlosigkeit.

Politische Fallen

Auch politisch ist das Gelände, auf dem Renzi agieren muss, verminter denn je. Denn wenn er Italien für Investitionen attraktiv machen soll, geht es nicht nur um eine Bürokratie, welche „ungeschmiert“ alle Genehmigungen bis ins Uferlose verschleppt, und eine Justiz, welche die Zivilverfahren Jahrzehnte liegen lässt. Es geht auch um den Arbeitsmarkt, in dem die rechtlichen Hürden für die Entlassung regulär Beschäftigter aus Sicht der Unternehmer zu hoch sind, so dass sie jüngere Arbeitnehmer nur noch in prekäre Beschäftigungsverhältnisse übernehmen. Die neoliberale Antwort ist klar: Der verhasste Art. 18 des Beschäftigtenstatuts, der Entlassungen erschwert, muss weg. Eine Antwort, gegen die die Gewerkschaften Sturm laufen, und die die PD-Linke wohl endgültig aus der Partei treiben würde (Schröders Agenda 2010 lässt grüßen). Nun drängen sowohl Berlusconi, der im Spiel bleiben will, als auch die rechten Splitterparteien, mit denen Renzi in der Regierung sitzt, genau in diese Richtung. Renzi rettet sich erst einmal mit der Ankündigung, nicht nur den Artikel 18, sondern das ganze „Beschäftigten-Statut“ neu schreiben zu wollen. Was das auch immer heißen mag – es könnte z. B. bedeuten, dass Renzi nun auch in Italien zur Krisenbewältigung alle rechtlichen Bindungen zur Disposition stellt, die die italienische Arbeiterbewegung in den 60er, 70er und 80er Jahren erkämpft hat. Wir werden es sehen.

3 Kommentare

  • Es musste so kommen, denn alle andere Möglichkeiten, Italien aus dem Sumpf zu retten, hätten die grundlegende Frage beantworten müssen: wollen wir auf jeden Preis in der Eurozone bleiben? Dann müssen wir nach chinesischen Verhältnissen produzieren (wobei die Chinesen besser da stehen, denn sie haben die Herrschaft über ihre Währung behalten).
    Selbst eine Diktatur wie diejenige von Mussolini und eine Militarisierung der Arbeitsstätte würde jetzt Italien nicht mehr retten, ohne den Euro zu verlassen.
    BCE Chef Draghi ist ebenfalls mit seinem Latein am Ende, denn die „Märkte“ haben erkannt, welches Potential für Spekulationen in der brisanten Situation liegen.
    Der Unterschied in der Entwicklung zwischen den freien Ökonomien mit eigener Währung und diejenigen im Zwangskorsett einer gemeinsamen Währung kann ich sehr gut sehen hier in St. Petersburg, wo ich z.Z. wohne und studiere. Alles weckt hier den Eindruck, in Italien der 80-90 Jahren zu sein, denn trotz Sanktionen fehlt es an nichts, und man sieht, dass die Leute für ihre Arbeit einen passenden Lohn erhalten, und ein gewisser Wohlstand einfach da ist.
    Wenn ich von hier dann nach Italien fahre, habe ich den Eindruck, ich komme in die Sovietunion der 80er Jahren.
    Dass Italien die Eurozone verlassen muss ist jetzt selbst Herrn Grillo klar geworden, leider zu spät, um seine Bewegung zu retten, aber immerhin, eine positive Entwicklung.
    Es gehört zu den traurigsten Wünschen, aber ich denke, die einzige Hoffnung ist z.Z. Frankreich. Denn dort ist nicht nur die Wirtschaft sondern auch die Regierung am Ende. Nach Hollande sind zwei Szenarien möglich: Marie Le Pen übernimmt die Regierung und Frankreich verläßt die Eurozone (und vielleicht sogar die EU und die NATO (dann würde ich sie auch wählen, wenn ich dürfte), oder eine neue Linke übernimmt aus dem Programm des Front National diese Punkte, also mindestens der Euroaustritt, (aber verwirft die rassistischen Fremdenfeindliche Parolen und Absichten der Rechte), gewinnt die Wahlen, und started die Lavine, die dann zu den Nationalwährungen in allen PIIGS-Ländern zurückführt.
    Diese Entwicklung wäre sehr bald wünschenswert, denn es droht an den Grenzen Europas eine Krigseskalation, die allein in Interesse der USA liegt, und zwar für Russland störend aber noch zu überwältigen ist, aber für die europäische Demoktratien und Wirtschaft sehr bedrolich ist. Es wird nämlich nicht bei den jetzigen Sanktionen bleiben, denn wie es bekannt wurde, haben die USA ihre „Quisling Regierung“ in der Ukraine gezwungen, ihnen die Gas-Pipelines zu verkaufen, und Russland kann unmöglich dies akzeptieren, denn gleichzeitig haben die USA mit Hilfe der EU Vassallen auch Bulgarien dazu bewegt, den Bau der russischen Pipeline nach Europa, um die Ukraine herum, abzustellen. Die Absicht ist eindeutig: die EU soll alle wirtschaftliche Bindungen mit der Russichen Föderation (und mit der Asiatischen Wirtschaftsunion , die Gruppe von Staaten der ehem. Sovietunion die jetzt wieder wirtschaftlich vereinigt sind) unterbrechen, und Russland wieder als Feind und nicht als Kooperationspartner sehen.
    Es sind also strategische und wirtschaftliche immense Probleme die zu der schon schlimm genug galoppierende Rezession in der EU hinzu kommen: die USA suchen mit allen Mitteln die Konfrontation mit Russland, um von ihrer gescheiterten Politik in Afganistan, Pakistan, Irak, Syrien und Lybien und Palestina abzulenekn, und die EU an den Kosten ihrer militärischen Feldzüge zu beteiligen. In Europa droht ein Szenario wie in der Ukraine: wenn die Wirtschaft am Ende ist, sehen die Faschisten ihre Chance gekommen. Davon sind wir leider nicht mehr weit entfernt.

  • manella schlitter

    wahrheiten kommen stets erst ans licht, wenn uns die konsequenzen vergangener taten und entscheidungen klar werden. die uns zu weiteren handlungen zwingen, deren konsequenzen wir nicht kennen.
    wenn wir die zukunft die konsequenzen unserer entscheidungen) voraussehen koennten, wie wuerden wir dann handeln? gar nicht. denn wir wuessten ja immer, was passieren wird oder passieren muss. koennten, beispielsweise den aktienmarkt voraussehen, waeren alle reich.
    wir entscheiden nach erfahrungen und/oder hoffnungen. da wir weniger klug sind, weniger intuition haben, als die uns umgebenden lebewesen, dazu noch zu dumm, um das zu merken. und wundern uns staendig, in unsere eigene existenzenz bedrohende streitereien bis zu kriegen zu geraten.

    krone der schoefung, die die welt sich untertan machen sollte? so dumm sind wir, das je geglaubt zu haben und, trotz naturerkenntnissen noch immer zu glauben.

    spannende zeiten.

  • albert

    „Das Gespenst, das derzeit in Italien umgeht, heißt Deflation. Die Preise für Konsumgüter sinken, und der Ökonom Tito Boeri legte in der „Repubblica“ dar, welcher Teufelskreis damit in Gang gesetzt wird: Überall, wo es möglich ist, schieben die Haushalte den Erwerb von Konsumgütern auf, weil sie auf noch niedrigere Preise warten.“

    Früher war das so: Sinkt die Nachfrage bei gleichbleibendem Angebot oder steigt das Angebot bei gleichbleibender Nachfrage, dann sinken die Preise. Heute ist es so: Erst senken menschenfreundliche Unternehmer die Preise (weil sie auf Gewinn nicht soviel Wert legen) und als Dank hungern die Käufer lieber heute, weil das Essen ja morgen noch billiger sein kann. Wenn sie dabei mal nicht alle verhungern …
    Zumindest in Deutschland (meinem Wohnort) steigen die Preise für Wohnraum und Energie. Die Kosten machen bei einem durchschnittlichen Haushalt den größten Anteil der Ausgaben aus. Also bleibt für andere Konsumgüter weniger übrig. Und auf einigen Märkten gibt es heftige Konkurrenzkämpfe (Lebensmittel, Handyverträge usw.) Vielleicht sinken diese Preise deshalb?
    Mal abgesehen von der Logik – einen statistischen Nachweis für Kaufzurückhaltung bei sinkenden Preisen sind die Vertreter dieser Theorie bisher auch schuldig geblieben.

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