Grillos Demokratie kommt hinterher

„Ich will eine nüchterne Diktatur. Mich interessiert es nicht, mich demokratisch mit einem System zu unterhalten, das ich abschaffen will. Ich bin nur hier, weil sie es von mir verlangt haben“ (Beppe Grillo am 19. Februar zur Presse nach der Konsultation mit Renzi).

Es war gespenstisch, was dem italienischen Publikum am vergangenen Mittwoch per Streaming vorgesetzt wurde. Der Staatspräsident hatte Matteo Renzi den Auftrag erteilt, die Möglichkeiten zu einer neuen Regierungsbildung auszuloten, worauf Renzi, wie es Brauch ist, alle im Parlament vertretenen Parteien zu Konsultationen einlud, auch Grillos 5-Sterne-Bewegung. Eigentlich wollte Grillo ablehnen, überhaupt hinzugehen. Denn er ahnte, worauf dieses Treffen hinauslaufen konnte: eine Diskussion über Renzis Regierungsprogramm.

Die Befragung im Blog

Da Grillo überall verkündet, bei ihm gehe es urdemokratisch zu, beschloss er, in diesem Fall seine Basis zu befragen, d.h. die Netz-Gemeinde der von ihm zertifizierten Anhänger. Hingehen oder nicht, fragte er sie, nicht ohne gleich hinzuzufügen: Das Treffen könne sowieso nur eine „Farce“ sein. Jedoch nahmen immerhin gut 40 000 der 85 000 „Zertifizierten“ die Abstimmung ernst genug, um sich an ihr zu beteiligen. Und jetzt die Überraschung: Eine knappe Mehrheit klickte „Ja“, man solle hingehen.

Die "Konsultation&quot im Streaming;

Die „Konsultation“ im Streaming

Nun konnte Grillo das Treffen nicht mehr absagen, und musste es damit zur von ihm selbst angekündigten Farce machen. Natürlich hatte er gefordert, das Treffen im Streaming zu übertragen, und dieses zeigte dann Grillos Spezialität, ein mit Beleidigungen gespickter Schimpfmonolog (er nannte Renzi abwechselnd „Junge“ und „Jüngelchen“, „ragazzo“ und „ragazzino“). Als Renzi einwarf, ob Grillo ihm vielleicht „eine Minute“ geben könne, damit er sein Programm als Ministerpräsident darlegen könne, und damit gerade angefangen hatte, unterbrach ihn Grillo schon wieder: Jetzt gebe er ihm auch nicht mehr diese Minute, „è finito, caro“. So endete das Event, „Konsultation“ genannt, nach 10 Minuten.

Hinterher in der Pressekonferenz erklärte Grillo, warum er Renzi keine Sekunde zuhören konnte: Mit einem System, das er abschaffen wolle, unterhalte er sich nicht „demokratisch“. Was heißt: Demokratie gibt es morgen, wenn das „System“ weg ist. Als Nachtisch, wenn das Land seine Suppe – die ihm von Grillo verordnete Kur – erfolgreich ausgelöffelt hat. Vorher bestimmt ER, wo gesprochen werden darf oder wo Sprachlosigkeit zu herrschen hat.

Doch halt: Grillos „direkte Demokratie“ ist nicht nur eine Fata Morgana von morgen. Im eigenen Lager praktiziert er sie schon heute. Dafür stellt er seinen Blog zur Verfügung, befreites Gebiet außerhalb des „Systems“. In ihm wird nicht um drei Ecken entschieden, vermittelt durch Parteien und ausgehandelt im Hinterzimmer. Hier entscheidet das (eigene) Volk, direkt per Mausklick, Punkt und basta. In vollständiger Transparenz.

Eine Illusion von Demokratie

Grillo macht selbst vor, wie es funktioniert. Zum Beispiel bei dieser „Konsultation“. Obwohl er eigentlich keine Lust dazu hat, befragte Grillo als scheinbar guter Demokrat seine Anhänger im Netz, ob man da hingehen solle. Im Ja-Nein-Modus, Hingehen oder Nicht-Hingehen. Dass sich trotz Grillos deutlich geäußerter Unlust eine knappe Mehrheit fürs Hingehen aussprach, beweist dem überzeugten „Grillino“, wie toll seine Blog-Demokratie funktioniert: Es kann etwas herauskommen, was der große Grillo nicht will! Die Geschichte ist damit noch nicht zuende. Denn nun entschied Grillo: ER geht hin. Klugerweise hatte er ja in seinem Blog nicht gefragt, wer hingehen solle und warum. Wer mit „Ja“ stimmte, hatte vermutlich unterschiedliche Gründe: Einige mögen gehofft haben, man könne bei der Gelegenheit wirklich nach Schnittmengen gemeinsamen Handelns mit Renzi suchen, andere haben vielleicht gehofft, man könne Renzi durch geschicktes Fragen öffentlich „entlarven“, wiederum andere wollten Renzi richtig die Meinung zu geigen. Grillo entschied sich nur für die dritte Variante, durch die Begründung überhöht, mit dem „System“ rede er nicht „demokratisch“. Das wiederum hatte allein ER entschieden, ohne dazu durch irgendeinen Mausklick legitimiert zu sein. Die Basis hatte Marginales entscheiden dürfen (dass er überhaupt hingeht).

Die Illusion der Transparenz

Noch etwas erwies sich bei dieser Gelegenheit als Illusion: das Streaming als Mittel der Transparenz. „Transparenz“ verspricht Einblick in das, was wirklich geschieht. Aber was das Streaming am vergangenen Mittwoch transparent machte, war eine von Grillo genau für dieses Streaming zugerichtete Realität. Die Hoffnung, man begegne der Wahrheit, wenn man durchs Schlüsselloch schaut, funktioniert nur dann, wenn die Akteure dahinter nichts davon wissen. Sonst veranstalten sie eine Vorstellung für den Voyeur, und die Hoffnung auf Wahrheit wird zur Illusion. Die vollständige Transparenz macht die Welt inhaltslos, auch in der Politik Das erste Opfer des Streamings war am vergangenen Mittwoch Grillo selbst.

Es ist wahr: Die politische Realität, auch die der repräsentativen Demokratie, gleicht in vielerlei Hinsicht einem Spiegelkabinett. Aber Grillos Werkzeugkasten einer „direkten Demokratie“ – Blog-Abstimmungen, Transparenz, Streaming – führt aus diesem Spiegelkabinett nicht heraus, sondern fügt ihm nur eine weitere Illusion hinzu.

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