Der Tanz um die geheime Abstimmung

Voraussichtlich Anfang Oktober wird der italienische Senat darüber abstimmen, ob Berlusconi aufgrund seiner Gefängnisstrafe (Steuerbetrug) sein Abgeordnetenmandat verliert. Als die für B. zuständige Kammer muss der Senat dem seinen Segen geben. Eigentlich eine Formsache, denn nach dem „Severino-Gesetz“, das Ende 2012 beide Kammern fast einstimmig verabschiedeten, verlieren Abgeordnete ihr Mandat, die rechtskräftig zu mindestens 2 Jahren Gefängnis verurteilt werden. Die PdL, die dem Gesetz zustimmte, läuft jetzt dagegen Sturm, weil es auf ein Weltgenie wie B. natürlich nicht anwendbar sei.

Die Stunde der Heckenschützen

Solche Abstimmungen finden üblicherweise geheim statt. Aber hier zeigt sich, wie versumpft die politische Landschaft Italiens ist. Denn nun schlägt die Stunde der „Heckenschützen“, d.h. derjenigen Abgeordneten, die unter dem Deckmantel der geheimen Abstimmung ihr eigenes Süppchen kochen. Das hat in Italien eine lange Tradition.

Gefahr aus dem Hinterhalt

Gefahr aus dem Hinterhalt

Natürlich gibt es für geheime Abstimmungen ein starkes Argument: die Gewissensfreiheit der Abgeordneten. Leider zeigt die Praxis, dass die Motive der „Heckenschützen“ meist weniger edel sind: persönliche (Ab-)Rechnungen, Tauschgeschäfte, Geld. Wenn es dann noch um unermesslich reiche Leute wie B. geht, von dem bekannt ist, dass er bedenkenlos alles besticht, was Beine hat, liegt der Verdacht nahe, dass auch diesmal wieder „Heckenschützen“ in Stellung gehen.

Grillo, dessen Propaganda davon lebt, die PD mit der PdL gleichzusetzen, fordert die Öffentlichkeit der Abstimmung. Denn die PD werde die geheime Abstimmung nutzen, um B. zu „retten“. Zwar schwört die PD-Führung, dass dies nicht der Fall sein werde, zumal es gegenüber der eigenen Basis, die das Bündnis mit der PdL sowieso nur schwer erträgt, politischer Selbstmord wäre. Trotzdem trifft der Grillo-Verdacht einen wunden Punkt: Bei der gescheiterten Wahl Prodis zum Staatspräsidenten gab es in der PD sogar 101 „Heckenschützen“, die seine Wahl verhinderten und sich bis heute nicht zu erkennen gaben. Obwohl kurz zuvor noch die gesamte PD – scheinbar begeistert – seine Kandidatur begrüßt hatte. Seitdem hält sich in der Linken der hartnäckige Verdacht, dass diese Hundertschaft genau das beabsichtigte, wozu es dann auch kam: die Wiederwahl Napolitanos als letzten Nothelfers, und mit ihm die Wiederauflage der „Großen Koalition“ mit Berlusconi.

Der schwache Punkt der PD

Nun das Erstaunliche: Obwohl es sich bei der Öffentlichkeit der Abstimmung im Senat um eine fragwürdige Regeländerung handeln würde, scheint sich die Fraktionsführung der PD auf sie einlassen zu wollen. Und wenn es schon nicht möglich ist, auf die Schnelle die Regularien der geheimen Abstimmung zu ändern, dann soll sie zumindest de facto unterlaufen werden, indem mit Tricks (und inoffiziell installierten Kameras) das Abstimmungsverhalten der PD-Senatoren kontrollierbar wird. Ein Verfahren mit üblem Beigeschmack, das nicht gerade von Selbstbewusstsein zeugt. Denn

• erstens scheint sich die PD-Führung ihrer eigenen Leute nicht sicher zu sein – niemand weiß, wie viele von der Hundertschaft, die gegen Prodi stimmte, auch im Senat sitzen;
• zweitens gibt es ein Gerücht, das auf den ersten Blick absurd erscheint: Wenn die Abstimmung geheim bleibt, werde Grillo einem Teil seiner Fraktion befehlen, für B.s Amtserhalt zu stimmen, um anschließend zu behaupten, das seien die von Grillo prophezeiten Berlusconi-„Retter“ der PD gewesen.

Die Angst vor der Falle

Auch das wäre nicht unplausibel, denn Grillo muss stets aufs Neue die Verkommenheit der PD nachweisen, um zu legitimieren, warum er mit ihr kein Bündnis eingeht. Wie B. hat jetzt auch Grillo die Vorzüge des „Porcellum“ entdeckt, das er jahrelang als Inbegriff eines undemokratischen und nur der „Kaste“ nützenden Wahlgesetzes bekämpfte. Schnee von gestern. Man braucht nur das Interview zu lesen, das Grillo letzte Woche Peter Schneider in der ZEIT gab. Sein großartiger Plan: Er will jetzt das „Porcellum“ unangetastet lassen, um mit ihm die alleinige Macht zu erringen. Erst danach will er es abschaffen. Seine Anhänger mögen solche Prinzipienlosigkeit „furbo“ finden. Aber es zeigt, dass das erwähnte Gerücht vielleicht doch nicht ganz außer der Welt ist.

Das Traurige an dieser Geschichte: Aus Angst vor der Falle und eigener Unsicherheit droht auch die PD in den Sumpf der Trickserei und umgangenen Regeln zu geraten.

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