Nach der Wahl unregierbar?

Spätestens im nächsten Frühjahr stehen in Italien Wahlen an. Fast alle Parteien verkünden, dass dann natürlich das Interregnum der „Techniker“ um Monti ein Ende haben und wieder eine „politische“ Koalition ans Ruder kommen müsse. Die Frage ist: welche?
 
Italien befindet sich wirtschaftlich in der Krise. Zu dem von der Regierung Monti verordneten harten Sparprogramm tritt eine lähmende Rezession. Immer mehr Unternehmen schließen, immer mehr Arbeitslosigkeit, immer mehr Verzweiflung. Erst vor wenigen Tagen versuchte ein Sprecher sardischer Minenarbeiter, deren Unternehmen dicht gemacht werden soll, sich vor laufenden Fernsehkameras die Pulsadern aufzuschneiden.
 
Die Politik ist fast handlungsunfähig, ihre Spielräume zum kurzfristigen Gegensteuern sind aufgrund des Sparprogramms minimal. Gäbe es jetzt Wahlen in Italien, würden viele einfach zu Hause bleiben. Von denen, die trotzdem hingehen, bekäme die sozialdemokratische PD etwa 25 %, Berlusconis PdL (immer noch!) 20, Grillos 5-Sterne-Bewegung zwischen 12 und 15, Casinis UDC 7, Vendolas SEL und Di Pietros IdV jeweils 6, die Lega 5 % der Stimmen.
 
Schon die Zahlen lassen ermessen, wie schwer es sein wird, in Italien eine handlungsfähige Regierung zustande zu bringen. Denn selbst wenn vielleicht 10 % der abgegebenen Stimmen unter den Tisch fallen, weil sie für Splitterparteien abgegeben werden, muss ja jede handlungsfähige Regierung in beiden (!) Kammern von einer absoluten Mehrheit der Abgeordneten getragen werden.
 
Grillos populistische 5-Sterne-Bewegung treibt hier die Preise: Sie wird sich an den nationalen Wahlen beteiligen und eine Fraktion bilden, die nicht nur straff von Grillo gesteuert wird, sondern sich auch hüten wird, in irgendeine Koalition einzutreten.
 
Nun gut, könnte man meinen, dann steigt eben der Druck für die verbleibenden politischen Parteien, eine handlungsfähige Koalition zu bilden. Die klassischen Optionen wären hier (A) Mitterechts oder (B) Mittelinks. Oder etwas „Drittes“ (C).
 
A) Gegen die Mitterechts-Option sprechen derzeit die Zahlen. PdL und Lega kämen gemeinsam auf etwa 25 %, und auch wenn es Berlusconi gelänge, durch einen populistischen Wahlkampf wieder einen Teil der in die Enthaltung oder ins Grillo-Lager abgewanderten Wähler zu sich rüberzuziehen, ist ein Wahlsieg kaum zu erwarten. Zumal es B. kaum gelingen wird, Casini in eine solche Koalition einzubinden, da sich dieser eine Wiederannäherung an B. politisch kaum leisten kann.
 
B) Größere Chancen hätte da schon eine Mittelinks-Regierung, denn sie käme rechnerisch zur Zeit auf etwa 44 %. Allerdings unter drei Voraussetzungen: innere Geschlossenheit; eine „Mehrheitsprämie“, Einbeziehung der zentristischen UDC. Ich beginne mit den ersten beiden Voraussetzungen:
 
(1) Obwohl die Mittelinks-Parteien gegenüber der Monti-Regierung politisch unterschiedliche Wege gehen, schien es eine Zeitlang möglich, dieses Bündnis nach der nächsten Wahl wieder aufleben lassen zu können. Eine Hoffnung, der Di Pietro (IdV) durch seine immer maßloseren Angriffe auf die PD und durch seinen Schmusekurs gegenüber Grillo weitgehend den Boden entzog. Was das klassische Mittelinks-Bündnis auf das Tandem PD – SEL reduzieren würde, das aber von sich aus nur 31 % auf die Waage bringt.
 
(2) Selbst wenn es der PD gelänge, wenigstens noch die UDC ins Boot zu holen, käme das Bündnis (ohne IdV) nur auf 38 %. Das wäre eine nur relative Mehrheit, für die Übernahme der Regierung müsste eine „Mehrheitsprämie“ in Anspruch genommen werden. Sie ist ein vom noch gültigen Wahlgesetz („Porcellum“) vorgesehener Notbehelf, um aus relativen Mehrheiten absolute zu machen, wovon zuletzt B. profitierte. Nach dem Entwurf für ein neues Wahlgesetz, das gegenwärtig in der Diskussion ist, soll sie vielleicht der Partei mit den meisten Stimmen zugesprochen werden.
 
C) Bisher unterstellte ich, dass es gelingen könnte, auch die zentristische UDC in ein erweitertes Mittelinks-Bündnis einzubeziehen. Aber das ist in den letzten Wochen wieder unsicher geworden. Die zentristische UDC, die sich nicht zum Anhängsel einer Mittelinks-Koalition machen lassen möchte, propagiert als Wahlziel die erneute Bildung einer „Großen Koalition“. Vielleicht ohne Monti, aber auf jeden Fall unter Einbeziehung sowohl der PD als auch einer Sammlungsbewegung der Mitte und gemäßigten Rechten, die zumindest Teile der bisherigen PdL umfasst und für die die UDC der Motor wäre. Auf den ersten Blick scheint dieser Plan attraktiv, denn zumindest zahlenmäßig hätte er die Chance, eine breite parlamentarische Regierungsmehrheit zu schaffen. Er würde auch jenen Appell an die „nationale Verantwortung“ aufnehmen, mit dem Staatspräsident Napolitano die „seltsame“ Parlamentsmehrheit von PdL, PD und UDC zusammen brachte, welche gegenwärtig die Regierung Monti stützt.
 
Erfahrungen mit „Großen Koalitionen“ gab es schon in vielen Ländern, auch in Deutschland. Sie sind nicht gut für den demokratischen Wechsel, sagt man, aber in Notzeiten manchmal unumgänglich. Eines ist sicher: Berlusconi böte sie eine Chance, im Spiel zu bleiben. Ich meine aber, dass es einen noch fundamentaleren Grund gibt, warum im Falle Italiens die Fortsetzung der gegenwärtigen Koalition katastrophal wäre. Dazu demnächst.

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