Salvinis Dekret

„Ich finde es seltsam, dass man die Migration innerhalb eines Gesetzesdekrets zur öffentlichen Sicherheit behandelt. Damit wird der Migrant von vorneherein als eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit definiert, nur wegen seines Migrantenstatus und nicht aufgrund konkreter Verhaltensweisen“, so Monsignor Nunzio Galantino, der Generalsekretär der Italienischen Bischofskonferenz, zum Gesetzesdekret von Innenminister Salvini (Lega), das Anfang Oktober von der Regierung einstimmig beschlossen und dem Parlament jetzt zugeleitet wurde.

Migranten als „Gefährder“

Der Monsignore hat recht. „Seltsam“ ist die Kopplung der Themen Migration und Sicherheit in der Politik allerdings nicht. Dahinter steht das politische Kalkül, die „gefühlte“ Unsicherheit und die Ängste innerhalb der Bevölkerung zu schüren. Das tun zurzeit alle rechtspopulistischen Parteien in Europa – ob in der Regierung oder in der Opposition.

Koch (Salvini) und Kellner (Conte)

Koch (Salvini) und Kellner (Conte)

Salvinis Dekret reiht sich da ein. Seine Überschrift lautet: „Dringende Bestimmungen zu den Gebieten Öffentliche Sicherheit, Immigration, Prävention und Bekämpfung von Terrorismus und mafioser Kriminalität.“ Zuwanderung als Gefahr für die öffentliche Sicherheit, im Kontext von Terrorismus und organisiertem Verbrechen. Dass hier von Integration keine Rede ist, ist konsequent. Denn diese Regierung vernachlässigt nicht „nur“ (wie schon die Vorgängerregierungen) die Integration, ihr erklärtes politisches Ziel ist es, Integration zu verhindern. Womit sie paradoxerweise die öffentliche Sicherheit verringert, statt sie zu erhöhen.

Asylrecht ausgehöhlt, Integration ungewollt

Hier die Zusammenfassung der wesentlichen Punkte des Dekrets (der ursprüngliche Entwurf wurde auf „inoffiziellen“ Druck des Präsidentenamts an mehreren Stellen, die eklatant verfassungswidrig waren, „entschärft“):

1. Der humanitäre Schutz für Migranten, die nicht zu den politisch Verfolgten gehören, aber besonders schutzbedürftig sind (z.B. Schwangere oder junge Migranten, die als Minderjährige eine Strafe verbüßt haben und danach an Integrationsprogrammen teilnehmen), wird abgeschafft und in eine – grundsätzlich nur zeitlich befristete – Duldung für begrenzte Ausnahmefälle verwandelt (z. B. lebensgefährliche Erkrankungen, extreme Fälle von Ausbeutung, Opfer häuslicher Gewalt und von Naturkatastrophen im Herkunftsland).

2. Bei Straftaten können bereits erteilte Aufenthaltserlaubnisse schon nach einer erstinstanzlichen Verurteilung im Eilverfahren von der Asylanerkennungsbehörde zurückgenommen werden.

3. Italienischen Staatsangehörigen ausländischer Herkunft kann die Staatsangehörigkeit aberkannt werden, wenn sie wegen terroristischer Straftaten rechtskräftig verurteilt werden (der ursprüngliche Text sah diese Möglichkeit schon nach der Einleitung von Ermittlungen vor).

4. Die Aufenthaltsdauer in den „Centri per il rimpatrio“ (Abschiebezentren) wird von drei auf sechs Monate verlängert.

5. Asylbewerber werden nur noch in zentralen Sammelunterkünften untergebracht, eine dezentrale Unterbringung in den Kommunen ist nicht mehr zulässig.

6. Die Mittel für die Rückführung in die Herkunftsländer werden erhöht, die für Integration drastisch gekürzt. Die bisherigen örtlichen Integrationsprogramme in kleinen Gemeinden, die von der öffentlichen Hand gefördert und vor Ort in Kooperation von Behörden, Verbänden und NGOs realisiert wurden, werden auf unbegleitete Minderjährige und anerkannte Flüchtlinge beschränkt, Asylbewerber dürfen nicht mehr daran teilnehmen.

Mattarellas Mahnbrief

Dass Staatspräsident Mattarella bei diesem Gesetzesdekret, der auf die Herausforderungen der weltweiten Migrationsbewegungen nur mit Abschottung und Diskriminierung reagiert, heftige Bauchschmerzen bekam, darf man annehmen. Doch seine verfassungsrechtliche Rolle besteht nicht darin, politische Urteile über das Regierungshandeln abzugeben, sondern darüber zu wachen, dass die Grundsätze der Verfassung nicht angetastet werden.

Aus diesem Grund hat er noch vor der Beschlussfassung im Kabinett seine Juristen beauftragt, den Ministerpräsidenten und Innenminister Salvini darauf hinzuweisen, dass der Entwurf an mehreren Stellen wegen gravierender verfassungsrechtlicher Bedenken geändert werden müsse. Andernfalls bestehe die Möglichkeit, dass er dem Dekret seine Unterschrift verweigert und ihn an das Verfassungsgericht zur Prüfung weiterleitet.

Nach der „Entschärfung“ (in rechtlicher Hinsicht ) der dicksten Brocken hat Mattarella nun unterschrieben. Begleitet allerdings von einem Mahnbrief an Ministerpräsident Conte mit einigen Anmerkungen. Ein ungewöhnlicher Vorgang. In dem Schreiben unterstreicht der Staatspräsident: „Hinsichtlich des Asylrechts werden die verfassungsmäßigen und internationalen Pflichten bekräftigt, insbesondere mit Bezug auf Art. 10 der Verfassung“ (dieser lautet: „Die italienische Rechtsordnung richtet sich nach den anerkannten Normen des internationalen Rechts. Die Rechtsstellung des Ausländers wird in Gesetzen geregelt, die den internationalen Bestimmungen und Verträgen entsprechen“, Anm. MH).

Der Ministerpräsident ist zwar der offizielle Adressat, aber der Brief richtet sich indirekt auch an andere. Neben Innenminister Salvini auch an die beiden Parlamentskammern, die in den kommenden Wochen das Dekret behandeln werden. Und nicht zuletzt an die Institutionen, die für die Umsetzung der neuen Bestimmungen zuständig sind: Präfekte, Bürgermeister, Polizei, Justizbehörden. Die präsidentielle Botschaft lautet in Wahrheit: „Das Gesetzespaket liegt beim Asylrecht schon scharf am Rande der Verfassungswidrigkeit, achtet jetzt in der Umsetzungspraxis darauf, dass es nicht völlig ausgehöhlt wird“.

Ob die Botschaft ankommt, hängt wesentlich davon ab, wie stark sich sowohl die demokratischen Kräfte, die zu der Opposition gehören, als auch die Zivilgesellschaft einmischen und versuchen, zu dem xenophoben und reaktionären Kurs der Regierung ein Gegengewicht zu bilden. Ob das gelingt, ist alles andere als sicher. Doch einige Ereignisse in den letzten Wochen zeigen, dass das „andere Italien“ beginnt, wieder seine Stimme zu erheben.

Zeichen von Widerstand? Das Beispiel Lodi

Wie in der lombardischen Kleinstadt Lodi: Dort hatte eine besonders eifrige Lega-Bürgermeisterin verordnet, dass Kinder von Migrantenfamilien weder die Schulmensa noch den Schulbus in Anspruch nehmen dürfen, wenn ihre Eltern – zusätzlich zur Einkommensbescheinigung – nicht mit Nachweisen aus den Herkunftsländern belegen, dass sie dort keine Immobilien oder sonstige Güter besitzen. Eine schikanöse und völlig unpraktikable Bestimmung, die faktisch zu einem Ausschluss der Kinder von Schulessen und Schulbus geführt hätte. Doch die Antwort kam: Eltern, Bürger und Wohlfahrtsverbände starteten eine Spendenaktion – über Lodi hinaus – und sammelten in kurzer Zeit 145.000 Euro für die Gebühren, die die betroffenen Familien hätten zahlen müssen. Es kam zu Kundgebungen vor dem Rathaus und medienwirksame Aktionen. Bis die Bürgermeisterin „zugestand“: Zum Nachweis der Bedürftigkeit reiche künftig, wenn die Eltern selbst schriftlich erklären, dass sie keine Güter im Herkunftsland besitzen. Ein kleiner, aber wichtiger „Halbsieg“.

Trotz solcher Ansätze zum Widerstand wird das diskriminierende Gesetzesdekret das Parlament passieren, dafür sorgt die Regierungsmehrheit von Lega und 5SB, unterstützt von den Neofaschisten von „Fratelli d‘ Italia“. Berlusconis Forza Italia wird sich wahrscheinlich enthalten. Ob die PD als stärkste Oppositionskraft in der Lage ist, vehement gegen dieses Gesetz anzugehen, darf bezweifelt werden. Denn schließlich hatte zu ihrer Regierungszeit ein Dekret ihres Innenministers Minniti einige von Salvinis Verschärfungen bereits vorweggenommen.