„Sonst nehmen wir die Afrikaner“

Die Männer bekommen zwischen 2 und 3 Euro die Stunde, die Frauen 2, die Kinder 1 Euro. Es sind Roma aus Bulgarien, Flüchtlinge aus Afrika, Sikhs und andere aus Indien, Pakistan und Bangladesh. Sie arbeiten als Landarbeiter und Erntehelfer, meist schwarz, auf den Feldern und in Gewächshäusern, 10 bis 12 Stunden am Tag. Die meisten in Süditalien, aber nicht nur. Sie wohnen in primitiven Barackensiedlungen oder in heruntergekommenen Gebäuden, oft 15 und mehr in kleinen Wohnungen, für 100 Euro pro Person.

Unter der Knute der „caporali“

Am frühen Morgen warten sie vor ihren „baraccopoli“ oder auf den Plätzen von Kleinstädten und Dörfern auf den „caporale“. Der kommt mit dem Kleinbus, sucht die Leute aus und fährt sie in mehreren Touren zu ihren Arbeitsplätzen. Er ist für das Anheuern und den Transport der Landarbeiter zuständig und kassiert dafür einen Teil ihres Tageslohnes (5 Euro pro Fahrt). Oft steht hinter den Korporalen die organisierte Kriminalität: Mafia, N’drangheta und Camorra, je nach Region. Manchmal ist der Korporal selbst ein „aufgestiegener“ Migrant oder Flüchtling, der seine Landsleute nicht nur gut kennt, sondern auch unter Druck setzen kann, mit Drohungen, Misshandlungen und bei Frauen oft Vergewaltigungen.

Bei zwei Kleinbussen – die maximal für 4-5 Personen vorgesehen sind, in denen aber Dutzende zusammengepfercht werden – kam es vor einigen Wochen in Apulien zu tödlichen Unfällen, 16 junge Migranten starben. Das geschieht nicht zum ersten Mal. Polizeikontrollen gibt es kaum. Wenn die Polizei Präsenz zeigt, dann nicht am frühen Morgen, wenn „das Geschäft“ schon voll im Gange ist, sondern in den Mittags- oder Nachmittagsstunden, wenn nichts mehr los ist. Kein Zufall, sondern aufgrund „stiller Absprachen“, mit denen die Form gewahrt wird, ohne dass die Geschäfte leiden.

"Wir sind Arbeiter, kein Schlachtvieh"

„Wir sind Arbeiter, kein Schlachtvieh“

Inzwischen beginnen die Landarbeitergewerkschaften und NGOs, die für die Integration von Migranten tätig sind, sich stärker um die Belange der „neuen Sklaven“ zu kümmern. Sie stoßen dabei auf große Schwierigkeiten, werden von den caporali bedroht und wegjagt, aber sie geben nicht auf. Sie gehen auf die Felder und in die Barackensiedlungen, wenn kein Wächter oder caporale in Sicht ist, und verteilen Flugblätter in den Landessprachen der Migranten, um sie über ihre Rechte zu informieren und zu ermuntern, bei Problemen auf die Gewerkschaften zuzugehen. Die Landarbeiter fragen nach, sind interessiert, klagen über ihre Lage. Aber sobald der caporale oder der Arbeitgeber erscheint, bücken sie sich wieder über ihre Arbeit, schütteln abwehrend den Kopf und sind nicht mehr ansprechbar.

Die Rolle der Landwirte

Und wie reagieren die Landwirte, also die Arbeitgeber? Das sei unterschiedlich, antworten die Gewerkschaftler und Sozialarbeiter. Manche sind aggressiv und drohen auch mit Gewalt, wenn man nicht sofort verschwindet. Andere klagen über ihre eigene Lage und erzählen, sie bekämen für ihre Tomaten, Gurken und Melonen auch nur ein paar Cent, zwei Drittel des Endpreises kassierten die Zwischenhändler. Sie hätten keine andere Wahl, höhere Löhne könnten sie nicht zahlen, sie würden sonst pleite gehen. Und schließlich gibt es diejenigen, die betonen, sie würden ihre Leute mit korrekten Verträgen beschäftigen und den vorgesehenen Tariflohn (7.30 Euro die Stunde) zahlen. Untersuchungen zeigen, dass sie eine Minderheit sind. Zwei von drei landwirtschaftlichen Betrieben (die meist klein oder mittelgroß sind) lassen schwarz arbeiten, zu sklavenähnlichen Bedingungen. Und auch die wenigen, die „formal“ regulär beschäftigen, tun es oft nur halb: denn sie zahlen zwar den Tariflohn von 7.30 Euro die Stunde, lassen aber dafür ihre Landarbeiter statt der vorgesehenen 7-8 Stunden bis zu 12-13 Stunden am Tag arbeiten.

Viele der illegalen Landarbeiter sind Flüchtlinge aus afrikanischen Ländern, deren Verfahren noch laufen oder negativ beschieden wurden. Andere, wie die Migranten aus Indien, Bangladesh und Pakistan, kommen legal mit Visum, aber nach dessen Ablauf bleiben sie illegal im Land und fallen den caporali in die Hände. Für diejenigen, die schon seit Jahren vor allem in Süditalien in der Landwirtschaft arbeiten, sind die Neuankömmlinge aus Afrika eine starke Konkurrenz. Vor ca. zwei Jahren traten vielerorts die Sikhs mit Unterstützung der Gewerkschaften in den Streik und schafften es, damit ihre Hungerlöhne bis auf 4,50 die Stunde zu steigern. Jetzt sagen die padroni: „Entweder seid ihr mit 2,50 Euro einverstanden, oder wir nehmen die Afrikaner“. Oder Roma-Frauen und -Kinder aus Bulgarien.

Das „Capolarato“-Gesetz greift nicht

2016 verabschiedete die damalige Renzi-Regierung ein Gesetz gegen das kriminelle Geschäft mit ausländischen Landarbeitern. Das so genannte „Caporalato-Gesetz“ sieht schärfere Strafen für die caporali und für die Arbeitgeber vor, die Migranten illegal und zu Hungerlöhnen beschäftigen, mit Geldstrafen von 500 bis 1.000 Euro pro illegal Beschäftigtem und Haftstrafen von 1 bis 8 Jahren. Bei Landwirten, die sich strafbar machen, können die Güter bzw. Verdienste aus den illegalen Geschäften konfisziert werden. Und staatliche „Begleitkommissare“ können bis zum Ende der Strafverfahren in die Leitung der Betriebe abgeordnet werden, um über gesetzeskonforme Abläufe und Beschäftigungsverhältnisse zu wachen.

Der Haken bei diesem überfälligen und begrüßenswerten Gesetz liegt – wie so oft in Italien – bei der Umsetzung. Die notwendigen Kontrollen sind unzureichend, manchmal dulden die Kontrolleure die Gesetzesverstöße oder machen gar mit den caporali und illegal beschäftigenden Arbeitgebern gemeinsame Sache. Das vom Gesetz vorgesehene „Qualitätsnetz landwirtschaftlicher Betriebe“, in dem die „korrekt“ arbeitenden Unternehmen aufgelistet sind und das eigentlich flächendeckend ausgebaut werden soll, funktioniert in Wirklichkeit nicht: Für die Betriebe besteht keine Pflicht, sich dort einzutragen, das bleibt ein freiwilliger Akt. Bisher haben sich von ca. 200.000 Unternehmen lediglich 3.600 dort registrieren lassen.

In der jetzigen Regierung gibt es über das Caporalato-Gesetz keine Einigkeit. Während es die Lega kritisiert, weil es zu „kompliziert“ sei und „die Arbeit der Betriebe behindere“, sieht die 5-Sterne-Bewegung Handlungsbedarf bei der Umsetzung und fordert mehr staatliche Kontrollen und Inspektoren.

Keine politische Priorität

Doch für keinen von beiden hat das Thema politische Priorität. Für Salvini nicht, weil eine Verbesserung der Arbeits- und Lebenssituation von Migranten mit seinem restriktiven und fremdenfeindlichen Kurs bei der Zuwanderung kollidiert. Und er andererseits weiß, dass zu seiner Klientel auch die Klein- und Mittelbetriebe zählen, deren Existenz auf der Ausbeutung von ausländischen Schwarzarbeitern beruht. Für Di Maio nicht, weil er bei der Zuwanderungs- und Flüchtlingspolitik das Feld Salvini und seiner Lega überlassen hat (und die 5SB selbst fremdenfeindliche Ressentiments bedient). Prioritär für ihn ist der Versuch, die 5SB, die unter dem Druck der erstarkten Lega steht, mit klassischen grillinischen Themen wie dem „Bürgergeld“ und der Kürzung von„Luxusrenten“ und Abgeordnetenpensionen zu profilieren.

Die wichtigste Oppositionspartei PD, die das Gesetz gewollt und für deren Umsetzung sie eintreten müsste, ist zu desorientiert und mit ihren internen Auseinandersetzungen beschäftigt, um hier kraftvollen Druck auf die Regierung auszuüben. So bleiben vor allem die Gewerkschaften, die NGOs und nicht zuletzt die katholische Kirche die wichtigsten Streiter für die Rechte der ausländischen Landarbeiter. Doch zunehmend sind es auch die Migranten selbst, die ihre Stimme öffentlich erheben. Wie im Juni bei den Demonstrationen nach der Ermordung von Soumaila Sacko aus Mali, dem Aktivisten einer Landarbeitergewerkschaft, oder im August nach den Unfällen mit den Kleinbussen, bei denen 16 ihrer Kollegen ihr Leben verloren haben.