Läuten die Kommunalwahlen die Wende ein?

Am Sonntag wurde in Italien gewählt. Es betraf gut 25 % der wahlberechtigten Italiener, die in 1.342 Gemeinden (darunter 25 Provinz- und 7 Regionalhauptstädte) neue Bürgermeister und Gemeinderäte wählen konnten. Wie das gesamte italienische Wahlrecht steht auch das kommunale unter dem Imperativ der „Regierbarkeit“: Wer zum Bürgermeister gewählt wird, bekommt die Mehrheit. Das Verfahren: Bekommt er/sie im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen, ist alles klar. Anderenfalls gibt es zwei Wochen später eine Stichwahl zwischen dem Kandidaten mit den meisten und dem Kandidaten mit den zweitmeisten Stimmen. Die Liste des Bürgermeisters, ob er es mit oder ohne Stichwahl geworden ist, bekommt 60 % der Sitze („Mehrheitsprämie“).

Diesmal wurde auch in Rom, Mailand und Neapel gewählt. Da Renzi die Prognosen kannte, versuchte er vorzubeugen: Es gehe hier um keine Wahl für oder gegen Renzi, sondern um die Frage, wer die Kommunen regiert. Auf die Regierung werde das Ergebnis keine Auswirkung haben. Formal hat er Recht. Ein „Test“ ist es trotzdem.

Ergebnis der ersten Runde

Was am vergangenen Sonntag stattfand, war in den Gemeinden, in denen niemand auf Anhieb die absolute Mehrheit erreichte, der erste Wahlgang, dem am 19. Juni eine Stichwahl folgen wird. Vor allem in den 143 größeren Gemeinden mit mehr als 15.000 Einwohnern ist dies fast die Regel: In 121 von ihnen gibt es Stichwahlen. So auch in den (bisherigen) PD-Hochburgen Turin und Bologna. Und in den Millionenstädten Rom, Mailand und Neapel. Hier brachte der erste Wahlgang (bei einer Wahlbeteiligung von 54 bis 56 %) folgende Ergebnisse:

Rom:
Virginia Raggi, M5S, 35,2 %; Roberto Giachetti, ML, 24,9 %; Giorgia Meloni, R, 20,6 %

Mailand:
Giuseppe Sala, ML, 41,7 %; Stefano Parisi, R, 40,8 %; Corrado, M5S, 10,1 %

Neapel:
Luigi De Magistris, L, 42,8 %; Gianni Lettieri, R, 24,0 %; Valeria Valente, ML, 21,1 %.

(M5S = 5-Sterne-Bewegung, ML = von der PD geführtes Mittelinks-Bündnis, L = unabhängige Linke, R = Rechts-Bündnis. Die kursiv geschriebenen Kandidaten gehen am 19. Juni in die Stichwahl).

Das römische Wahlergebnis bestätigt, dass sich dort Mittelinks durch Korruption, Unfähigkeit und tölpelhafte Rettungsversuche der Parteizentrale selbst zerlegt hat. Gleichzeitig ist die Rechte tief zerstritten, zumal sie sich in den Zeiten, als sie in Rom an der Macht war, als noch unfähiger und korrupter erwies. Für die M5S-Kandidatin ist damit die Bahn frei. Für die PD wurde es in Rom zum Waterloo: In 2117 von den 2600 römischen Wahllokalen lag die 5-Sterne-Bewegung vorn. Bei der parallel laufenden Listenwahl stürzte die PD gegenüber 2011 von 26,3 auf 17,2 % ab, die 5-Sterne-Bewegung kletterte von 12,8 auf 35,6 %. Es sei ein „Wunder“, dass Giachetti überhaupt die Stichwahl schaffte, sagt jetzt die PD-Zentrale. Man ist bescheiden geworden.

PD in der Krise

In Neapel ist sie aus dem Rennen (ihre Kandidatin wurde Dritte). Für Mailand, wo der bisherige Bürgermeister Pisapia viel Vertrauenskapital für die Linke angesammelt hat, setzte Renzi in der Person von Sala einen moderaten Kandidaten ohne Ausstrahlung durch, der auf die „Mitte“ zielt. In die Stichwahl geht er mit einem Kandidaten der Rechten, der nur hauchdünn zurückliegt.

Renzis PD ist in der Krise. In Mailand siegte sie in der ersten Runde knapp, das Ergebnis der Stichwahl ist ungewiss. In Turin geht sie mit ihrem charismatischen Bürgermeister Fassino mit 42 % in die Stichwahl. Aber auch dieser Glanz trügt: Bei der Listenwahl liegt hier die 5-Sterne-Bewegung einen Prozentpunkt vor der PD. In Neapel ist die PD fast bedeutungslos geworden. Auch in Rom dürfte sie keine Chance haben, obwohl Giachetti an der Stichwahl teilnimmt. Denn die 20 %, die an Meloni gingen und nun „frei“ sind, werden nicht gerade ihn wählen. Der Hass auf die „Linke“ ist zu groß. Raggi liegt jetzt schon fast uneinholbar vorn. Und die 5-Sterne-Bewegung ist bekanntlich „weder links noch rechts“.

Die Kommunalwahlen zeigen aber auch, dass Berlusconis FI weiter zerfällt, obwohl dieser Prozess noch dauern kann. In Rom machten bei ihr nur noch 4 % der Wähler ihr Kreuz. Mailand zeigt zwar, dass es in Italien einen starken Rechtsblock geben könnte, wenn man sich wenigstens auf eine Person einigt. Aber unter wessen Führung und mit welchem Projekt?

Vereint gegen Renzi – Zusammenschluss von unten?

Die spannende Frage des 19. Juni wird es sein, wie sich bei der Stichwahl die Wähler der ausgeschiedenen Kandidaten verhalten. Für wen werden in Mailand die 10 % stimmen, die im ersten Wahlgang ihr Kreuz bei der 5-Sterne-Bewegung machten? Sie können entscheidend sein, denn die Kandidaten von links und rechts liegen gleichauf. In Turin geht die Kandidatin der 5-Sterne-Bewegung mit respektablen 31 % als Zweite in die Stichwahl, 11 Punkte hinter Fassino. Wie verhalten sich dort die rechten Wähler, die keinen eigenen Kandidaten mehr im Rennen haben und zu denen auch Anhänger der Lega gehören?

Die Antwort der Wähler hat eine Bedeutung, die über die Kommunalwahlen hinausgeht. Es könnten Probeläufe für die noch anstehenden wichtigeren Abstimmungen sein: im Herbst über das Referendum, und bei den politischen Wahlen im Frühjahr 2018, wo es wohl ebenfalls zur Stichwahl kommen wird. In Italien gibt es drei etwa gleich große politische Lager: 1) Mittelinks um Renzi, 2) die zumindest zahlenmäßig immer noch starke Rechte und 3) die 5-Sterne-Bewegung. Renzis bisherige relative Dominanz hing daran, dass er einem politisch tripolaren Italien ein Wahlgesetz oktroyierte, das eigentlich nur auf ein bipolares System passt. Und dass sich die beiden anderen Lager nicht gegen ihn zusammenschlossen. Das könnte sich ändern, zumindest auf der Ebene der Wähler. Es könnte Renzis Ende sein.

Virginia Raggi, der neue Stern

Virginia Raggi, der neue Stern

Zurzeit scheint alles auf ein Duell zwischen der angeschlagenen PD und der aufstrebenden 5-Sterne-Bewegung hinauszulaufen. Wer an Europa und dem Euro festhalten will und die populistische Stimmungsmache gegen die Flüchtlinge ablehnt, aber gleichzeitig überzeugt ist, dass Italien eine Reinigungskur gegen die Korruption braucht, befindet sich im Dilemma. Wem ersteres am Herzen liegt, kann in Grillo nur den Gegner sehen. Aber im Kampf gegen die Korruption, auch in der eigenen Partei, erweist sich Renzi als Versager. Ein Sieg der Raggi bei der römischen Bürgermeisterwahl könnte hier ein Signal sein. In der PD werden die Stimmen lauter, die Renzi zur Aufgabe seines zusätzlichen Amts als PD-Generalsekretär auffordern.

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