Die zweite Kammer ist (fast) abgeschafft

Renzi hat es wieder einmal geschafft. Die angekündigte Senatsreform nahm am Dienstag eine wichtige Hürde, die erste Lesung im Senat. Es war die größte Hürde, weil Renzi in dieser Kammer nur über eine knappe Mehrheit verfügt und bei dieser Lesung inhaltlich noch etwas verändert werden konnte (in der zweiten Lesung in sechs Monaten gibt es zu ihr nur noch ein Ja oder Nein). Und zwar mit einer letztlich doch deutlichen Mehrheit: Von 320 Senatoren stimmten 179 dafür, eine verschwindende Minderheit dagegen, während es der größte Teil der Reformgegner vorzog, den Saal zu verlassen.

Vergiftetes Angebot

Zeitweise schien die ganze Reform auf der Kippe zu stehen, nicht nur aufgrund des Neins der Grillini und der Truppe um Berlusconi und Salvini, sondern weil auch ein Teil der PD-Linken aus der Regierungsmehrheit auszuscheren drohte. Der PD-interne Streit hatte sich auf die Frage zugespitzt, ob die Mitglieder der neuen Länderkammer nur dadurch legitimiert sein sollten, dass sie von den Regionalparlamenten entsandt wurden, oder ob sie auch weiterhin direkt vom Volk gewählt werden – für das erste war Renzi, für das zweite die PD-Minderheit. Als nach wochenlangem Tauziehen die Reform zu scheitern drohte, kam aus dem Berlusconi-Lager ein Hilfsangebot, das man auch als Danaergeschenk betrachten konnte: Berlusconis alter Strippenzieher Verdini, der in 5 Korruptionsverfahren verwickelt ist (ein sechstes ist in Vorbereitung), lief mit einer Truppe von etwa 10 bisherigen FI-Senatoren zu Renzi über. Um ihm, wie Verdini öffentlich erklärte, gegenüber der Opposition in den eigenen Reihen den Rücken zu stärken. Wohl mit dem kleinen Hintergedanken, dass die Nähe zur Macht Verdini auch persönlich ein wenig mehr Schutz gegen die Justiz bieten würde. Als Renzi das Angebot nicht abwies, sondern fromm erklärte, im Interesse Italiens begrüße er jede Unterstützung, erhöhte dies in der PD die Spaltungsgefahr.

Aber dann wurde doch noch eine Lösung gefunden, die den Frieden in der PD-Fraktion wieder halbwegs herstellte: Man einigte sich auf einen Kompromiss. Die künftigen Senatoren sollen parallel zu den Regionalwahlen – also „direkt vom Volk“ – auf einer eigenen Liste gewählt werden, um dann noch von den Regionalparlamenten bestätigt zu werden. Nach diesem Kompromiss überstand die Mehrheit alle Obstruktionsversuche.

Keine Meisterleistung

Renzi hat sich einmal mehr als Macher erwiesen, der nicht – wie Berlusconi – nur Luftblasen produziert, sondern „wirklich was verändert“. Den Zauber dessen, der Italien im Sauseschritt mit einer Reform pro Monat umkrempelt, hat er verloren. Aber obwohl inzwischen klar ist, dass ihm die Tugenden reflexiver Bescheidenheit und kluger Diplomatie nicht in die Wiege gelegt wurden, scheint er zumindest über eine Gabe zu verfügen: Zähigkeit. In den Umfragen wird sie noch honoriert. Obwohl der Abstand zu Grillo knapper wird (allzu jämmerlich ist das Bild, das gegenwärtig die PD bietet, deren Generalsekretär Renzi nebenbei immer noch ist).

senato2Die Reform selbst ist keine Meisterleistung. Zwar war die Abschaffung des „perfekten Bikameralismus“ überfällig – in Zukunft wird nur noch die Abgeordnetenkammer für den größten Teil der Gesetzgebung und (mit dem Staatspräsidenten) für Ein- oder Absetzung der Regierung zuständig sein. Dass die Verfassungsarchitektur trotzdem in eine Schieflage gerät, liegt am neuen Wahlgesetz. Denn wenn es in Zukunft nur noch eine gesetzgebende Kammer gibt, müsste diese erst recht den Volkswillen repräsentieren. Gerade dies wird nicht der Fall sein, weil 1) die Mehrheitsprämie – um der „Regierbarkeit“ willen – die Mehrheitsverhältnisse in der Bevölkerung im Parlament bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, und weil 2) ein großer Teil der Abgeordneten aus Leuten besteht, die von den Parteizentralen ausgewählt werden.

Würfelspiel

Die Reform ist ein Schritt von einem parlamentarischen zu einem ministerpräsidialen System. Wohin Renzi seine Partei drängt, dahin drängt er institutionell auch die Demokratie: in die One-Man-Show. Man kann der Meinung sein, dass sich Italien in einer Notlage befindet, in der dies notwendig ist. Aber wenn Italien mit der Reform vielleicht dem Regen entkommt, kann es mit ihr in die Traufe geraten. Wenn bei der nächsten Wahl keine Partei 40 % der Wählerstimmen erhält (was wahrscheinlich ist), gibt es eine Stichwahl zwischen der „besten“ und der „zweitbesten“ Partei. Da es aber in der italienischen Wählerschaft (außer den Nichtwählern) gegenwärtig nicht zwei, sondern drei große miteinander verfeindete Lager gibt, wird es zum Würfelspiel, wem das große Los zufällt: Renzi, Grillo oder Salvini (mit Berlusconi im Schlepptau). Denn dann werden bei der Stichwahl Millionen von „freien“ Wählern aus dem dritten Lager ihre Stimme vor allem unter dem Gesichtspunkt abgeben, wer ihnen aus den beiden ersten Lagern am verhasstesten ist. Statt eines Zuwachses an Rationalität und „Regierbarkeit“ kann das Gegenteil herauskommen.

Nur der erste Schritt

Übrigens: So ganz ist die Senatsreform noch nicht über den Berg. Zuerst muss auch noch die Abgeordnetenkammer dem im Senat gefundenen Kompromiss zustimmen. Außerdem schreibt die italienische Verfassung vor, dass bei derartigen Verfassungsänderungen in der ersten Lesung die absolute Mehrheit der anwesenden Mitglieder beider Kammern reicht. Bei der zweiten Lesung, die 6 Monate später stattfindet, kann zwar am Inhalt des Vorhabens nichts mehr verändert werden. Aber nun muss ihm die absolute Mehrheit aller Mitglieder beider Kammern zustimmen. Im Senat müsste es dann mindestens 161 Ja-Stimmen geben. Was nach den Abstimmungsverhältnissen in der ersten Lesung keineswegs so sicher ist, wie es scheint. Aber Renzis Reformpolitik lebt von der Hand in den Mund, 6 Monate sind noch lange hin.

Schließlich schreibt die Verfassung vor: Wenn eine solche Verfassungsänderung nicht in beiden Kammern mit Zweidrittelmehrheit verabschiedet wird, muss es ein Referendum geben, wenn es eine Partei verlangt. Renzi hat bereits angekündigt, dass er aus der Not eine Tugend machen will, indem er seine Senatsreform auf jeden Fall mit einem Referendum verbindet, das etwa im September 2016 stattfinden soll. Er erhofft sich davon nicht nur Zustimmung, sondern auch Rückenwind für die verbleibenden Amtsjahre bis 2018.

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