Ich oder sie

„Dieser Mann, der die Fäden der wirtschaftlichen, politischen und medialen Macht in Händen hält, kann es sich nicht erlauben, die Regierung aus der Hand zu geben. Nur das Regieren, die Macht, die Instrumente der Herrschaft sind es, womit er das Dunkel seiner Geschichte, die Verantwortungslosigkeit seiner Handlungen, seine Zukunft schützen kann… Was auch immer geschieht, was ihm auch immer nachgewiesen wird, was auch immer das Wohl des Landes erfordert: Dieser Mann wird niemals freiwillig den Regierungssitz verlassen“.

(Giuseppe D’Avanzo, „La Repubblica“, 20. 1. 11)

Caesar hat den Rubikon überschritten und nutzte am vergangenen Mittwoch seine Kanäle für eine direkte Kampfansage. Ihr Adressat sind die Mailänder Staatsanwälte, die gegen ihn wegen Amtsmissbrauchs und Förderung der Prostitution Minderjähriger ermitteln: „Sie wollen die Wahl des Volkes auf den Kopf stellen“. Soll heißen: Als „vom Volk Gewählter“ steht er über dem Gesetz. „Das ist Gewalttätigkeit, für die sie angemessen zu bestrafen sind“. Das wäre das Ende der Gewaltenteilung. Der Beklagte bestraft die Ankläger, die Exekutive die Justiz. Über das Wort „Bestrafung“ gab es vorher mit seinen Beratern eine Diskussion: B. schrieb es in den ursprünglichen Rede-Entwurf, sie wollten es zu „angemessener Reaktion“ abmildern. Er benutzte es trotzdem, in vollem Bewusstsein. Er will die Zuspitzung, er will den Bruch.

Natürlich, so ließ B. in der gleichen Botschaft verlauten, sei er zu jedem Prozess bereit, aber nicht zu diesem, denn die Mailänder Staatsanwälte seien „inkompetent“. Soll heißen: Seine Gerichte sucht er sich selbst aus. Abschließend versicherte er seinen Zuschauern, sie könnten „ruhig und heiter“ sein („state sereni“). Soll heißen: Ich bestrafe die Störenfriede, die Party geht weiter. Gewöhnt euch daran, dass beides zusammen gehört.

Damit begann die Gegenkampagne. Hier zieht B. alle Register, er hat dazu die Mittel. Die Nachrichten des staatlichen Fernsehsenders RAI 1 hat er in der Hand. Sie unterschlagen alle B. belastenden Details, die sich aus den Mailänder Ermittlungsakten ergeben. Stattdessen gab es in B.s Sender Canale 5 ein mehrstündiges Interview mit Ruby, dem Mädchen aus Marokko, um das sich alles dreht. Sie erzählte eine herzzerreißende Geschichte. Schon mit 9 Jahren sei sie von zwei Onkeln väterlicherseits vergewaltigt worden, mit 12 habe sie ihr Vater mit kochendem Öl übergossen, weil sie die Religion wechseln wollte. Eine Prostituierte sei sie nie gewesen, mit B. habe sie nie Sex gehabt und von ihm auch nie 5 Mio. Euro für ihr Schweigen verlangt, und er habe ihr dafür auch nie Geld angeboten. Alles Dinge, die sich in den abgehörten Telefonaten noch anders anhörten. Aber die Sendung erreichte ihr Publikum, über zwei Millionen schauten zu. Ruby ist eine Berühmtheit. Hier wurde sie zur Heldin einer Telenovela, die im richtigen Moment auch Tränen produzierte.

Die Kampagne läuft. Während die Fernsehkanäle das Bild einer heilen Welt zeigen, mit B. als gütigem Übervater, werden die aufmüpfigen Richter nach unten gedrückt. B. nimmt sich exemplarisch einzelne vor. Vom öffentlichen Ankläger in den gegen ihn anhängigen Prozessen, Fabio De Pasquale, redet er grundsätzlich nur als dem „Berüchtigten“. Jetzt wollte das oberste Selbstverwaltungsorgan der Justiz (CSM) beraten, wie es sich schützend vor ihn stellen kann. Aber zum CSM gehören sog. „Laien“-Vertreter, die laut Satzung bei den Sitzungen in ausreichender Anzahl zugegen sein müssen. Die 5 PdL-Vertreter unter ihnen kündigten an: Sollte das Thema De Pasquale auf die Tagesordnung gesetzt werden, blockieren wir die Sitzung durch Auszug. Also keine Ehrenerklärung. Stattdessen ein Vorgeschmack auf das, was B. mit der Justiz noch vorhat.

Am Ende des anfangs zitierten Artikels schreibt Giuseppe D’Avanzo: „Berlusconi legt Hand an unsere Demokratie. Zu entscheiden bleibt nur, wann das Maß voll ist“. Er hat Recht. Aber auch die Frage bleibt, ob es das „Wir“, das diese Entscheidung treffen müsste, überhaupt noch gibt.

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