Der römische Gruß, der Putin gelegen kommt

Für Nostalgiker des Movimento Sociale Italiano (MSI), also der Partei, die nach dem Ende des Mussolini-Regimes sein Erbe bewahren wollte, ist der 7. Januar ein wichtiger Gedenktag: 1978, also vor 46 Jahren, wurden an diesem Tag zwei Mitglieder der MSI-Jugendorganisation beim Verlassen des römischen MSI-Sitzes von Aktivisten der linksradikalen „Lotta Continua“ und ein drittes Mitglied bei den anschließenden Unruhen von der Polizei umgebracht – ein Fall, der gerichtlich nie aufgeklärt wurde. Die diesjährige Gedenkveranstaltung hatte einigen Zulauf und erregte auch deshalb Aufmerksamkeit, weil die Mehrheit der etwa tausend Anwesenden den „saluto romano“ aufführten – also den Gruß, den wir in Deutschland den „Hitler-Gruß“ nennen, den Hitler aber 1925 von Mussolini kopiert hatte. Ihn hatte es bei dieser Gelegenheit auch schon im Vorjahr gegeben, aber diesmal scheint er besonders eindrucksvoll gewesen sein, wohl aufgrund der Menge, die ihn aufführte, und einer effektvollen Orchestrierung, die auf gute Vorbereitung schließen ließ.

Wie in Deutschland der Hitlergruß, so schien in Italien der Saluto Romano eigentlich seit 1952 durch das sog. „Scelba-Gesetz“ verboten zu sein, das den Faschismus „verherrlichende“ Aktivitäten untersagte. Wobei man das Wörtchen „eigentlich“ betonen muss, da wenige Tage zuvor (am 18. 1.) das oberste italienische Kassationsgericht dem Verbot eine neue Interpretation gab: Verboten sei der „Saluto romano“ nur dann, wenn er mit der Absicht der Neugründung einer faschistischen Partei einhergehe, während er im Kontext einer Gedenkveranstaltung nicht zu beanstanden sei. Eine klare Aufweichung des Verbots, denn es verschiebt die Strafwürdigkeit des faschistischen Grußes in die subjektive Absicht des Ausführenden, und damit in ein Zwischenreich, in dem es fast immer möglich sein wird, die Absicht auf die „Erinnerung“ zu verengen. Ins Deutsche übersetzt hieße es, nur auf die persönliche Trauer um den Führer oder Horst Wessel verweisen zu müssen, um straflos den Arm zu heben. Der offen faschistische Casapound nennt das Urteil des Kassationsgerichts denn auch einen „historischen Sieg“, und die italienischen Postfaschisten können es als Indiz dafür verbuchen, dass mit etwas Druck auch die Unabhängigkeit der Justiz weichgeklopft werden kann.

Echo aus Russland

Der Aufmarsch am 7. Januar erregte national und international Aufmerksamkeit. Im italienischen Parlament gab es eine Debatte, die ausging wie das Hornbacher Schießen, weil die Regierung erklärte, mit der Sache nichts zu tun zu haben. Auch in Straßburg wurde über den Aufmarsch diskutiert, wobei sich sogar Manfred Weber, der Generalsekretär der EVP und jahrelang Promotor von Giorgia Meloni, zu der Feststellung durchrang, dass der faschistische Gruß im heutigen Europa „nichts zu suchen“ habe. Immerhin!

Dann aber war ein Echo zu vernehmen, das überrascht, weil es von einer Seite kommt, die bisher das Aufkommen rechter Bewegungen und Parteien im Westen tatkräftig mit Fake-Nachrichten und Geld unterstützte (Salvini): aus Putins Russland. Hier ist es in den letzten Monaten zu einer Art propagandistischer Frontbegradigung gekommen: Während bisher das Argument, es seien nur „Nazis“, die sich der russischen Rettung widersetzen, eher auf die Ukraine zu zielen schien, werden sie nun in ganz Europa entdeckt. Das russische Fernsehen berichtete über den römischen Faschisten-Aufmarsch vom 7. Januar, mit der sarkastischen Feststellung, dass nun „Europa zu seinen Wurzeln zurückkehrt“ (ohne ein Wort über die Proteste zu verlieren, zu denen es anschließend in Italien und Europa kam).

Die Wiederentdeckung der „Achse“

Für die russische Führung sind die Bilder aus Rom eine willkommene Ergänzung für einen Feldzug, den Putin und seine Sprechpuppe Lawrow schon ein paar Wochen zuvor gegen Europa und den Westen begonnen hatten. Ihr Ausgangspunkt war die Weigerung der EU-Länder, eine von Russland am 18. Dezember in die UN-Vollversammlung eingebrachte und dort auch verabschiedete Resolution zu unterstützen, die zum „Kampf gegen die Heroisierung des Nazismus und Neonazismus“ aufruft, u. a. unter Hinweis auf die „Fackelzüge von Nazis und Neonazis“ (s. im Internet den Kommentar der Pressestelle des russischen Außenministeriums vom 19. 12. 2023).

Dass sich die EU-Länder bei der Abstimmung geschlossen der Stimme enthielten, war angesichts der hemmungslosen Instrumentalisierung des „Nazi“-Arguments für den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu erwarten – und der mörderischen Folgen, welche diese Etikettierung für die hier Betroffenen hatte. Offenbar hatte dies die russische Führung schon eingeplant, denn sie ermöglichte der russischen Propaganda eine Konstruktion, die Lawrow am 18. Januar in seiner Pressekonferenz zum Jahreswechsel vortrug: Es sei ja wohl kein Zufall, dass außer Deutschland und Italien auch Japan der Resolution nicht zugestimmt hätte, also die „Achse“, die den 2. Weltkrieg vom Zaun brach und nun mit der Nicht-Zustimmung zeige, dass sie an der „Wiedergeburt des Nazismus“ arbeite. Weshalb man sich „ernsthafte Gedanken darüber machen muss, in welcher Richtung sich diese ideologischen Prozesse nicht nur in diesen Staaten, sondern im ganzen Westen entwickeln“. Man erinnert sich: Auch zur Ukraine hatte sich die russische Führung zunächst „ernsthafte Gedanken“ gemacht – die Konsequenzen, die sie daraus zog, sind bekannt. Für eine Erweiterung des Konflikts mit der Ukraine auf ganz Europa hätte sie damit schon einmal die Legitimation gefunden.

Die baltische Drohung

Am 16. Januar ging Putin bei einem vom Fernsehen übertragenen Treffen mit russischen Bürgermeistern noch einen Schritt weiter. Wobei der Zeitpunkt ein Indiz dafür ist, welche Rolle in seinem Kalkül bereits die Hoffnung auf Trumps Wahl zum nächsten US-Präsidenten spielt: Es war der Tag, an dem dieser bei der Vorwahl in Iowa einen Erdrutschsieg errang. Als nächstes, so signalisierte Putin, werde er sich um die baltischen Staaten kümmern müssen, wo Entwicklungen im Gange seien, welche „die russische Sicherheit gefährden“: Auch diese Länder seien dabei, wieder ihre eigene Nazi-Vergangenheit schönzureden und die dort lebenden Russen auszuweisen, „was, wie ihr verstehen werdet, eine sehr ernste Angelegenheit ist“. Auch seinen Angriff auf die Ukraine hatte Putin mit der „Unterdrückung“ der russophonen Minderheit begründet – wie das „Nazi“-Argument gehört es zum legitimatorischen Kernbestand seiner Expansionspläne.

Der römische Gruß im russischen Kontext

So ist aus dem „römischen Gruß“ von knapp tausend italienischen Rechtsradikalen mehr geworden als nur ein lokales Ereignis, und auch mehr als nur ein Beispiel für die über Europa hinweggehende rechtsradikale Welle. Er wird zum willkommenen Mosaiksteinchen in de, Bedrohungsszenario, das der russische Neoimperialismus – so muss man ihn ja wohl nennen – jetzt an die Wand malt. Für Putin ist, dies wird immer deutlicher, der Angriff auf die Ukraine nur der erste Schritt für die Realisierung eines größeren Traums, die Wiederherstellung des von Russland dominierten und von Gorbatschow so leichtfertig verspielten Reichs. Die Gelegenheit dafür scheint günstig: Amerika, in dem Putin seinen Hauptgegner im Ukraine-Krieg sieht, ist schwach und könnte wieder von Trump übernommen werden, und Europa ist politisch und militärisch noch zu schwach, um es ersetzen zu können. Stattdessen liefert es frei Haus die Bilder von paradierenden Faschisten. Und damit eine zusätzliche Rechtfertigung dafür, dass Russland ein zweites Mal in einen großen vaterländischen Krieg ziehen muss, um den Nazismus nicht nur in der Ukraine, sondern in ganz Europa zu schlagen.

Was macht die italienische Führung?

Salvini, der sich bisher als treuester Lobbyist Putins profilierte, könnte das erste Opfer des russischen Kurswechsels sein, denn er wird durch ihn in einen Spagat gedrängt, von dem noch nicht abzusehen ist, wie er ihn bewältigen kann – die Ultrarechten gehören ja auch zu seiner Klientel. Und Meloni? Zu dem Aufmarsch der italienischen Faschisten schweigt sie, während sie an einer Reihe von Reformen bastelt, die das Land autoritärer machen sollen. Vor allem in Deutschland gibt es immer noch Journalisten, die sie für „halb so schlimm“ erklären, auch wenn sie noch zur Sicherheit ein Fragezeichen hinzufügen (das sie dann im folgenden Text de fakto wieder ausradieren). Sie übersehen, dass Melonis heutiges Vorbild weder Hitler noch der Duce ist, sondern Orban, der sein Land nicht durch einen Putsch, sondern durch einen Prozess der schrittweisen Vereinnahmung zur „illiberalen“ Autokratie machte. Ist Orban „halb so schlimm“?

Noch überspielt Meloni ihren antieuropäischen Nationalismus dadurch, dass sie sich als treue „Atlantikerin“ präsentiert, mit den Waffenlieferungen an die Ukraine als Beweis. Ihre eigentliche Nagelprobe wird der Moment sein, in dem Trump die nächsten US-Wahlen gewinnt. Als sie kürzlich gefragt wurde, wie sich dann Italien positionieren werde, war ihre Antwort scheinbar eindeutig, in Wahrheit aber vieldeutig: An der italienischen Außenpolitik gegenüber den USA werde sich dann „nichts ändern“. Heißt das, dass sie dann weiterhin die „Atlantikerin“ bleibt, mit besten Beziehungen ins Weiße Haus?

Sie sprach dabei nur von Italien. Dass dann Europa vor der Herausforderung stünde, eine Antwort zu finden, liegt jenseits ihres souveränistischen Horizonts.

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