Der Santoro-Komplex

Erst Ezio Mauro, dann Eugenio Scalfari (zwei Journalisten der „Repubblica“, A. d. R.). Aber wo sind wir denn? Sie greifen mich an, sprechen in den Kanälen des öffentlichen Fernsehens schlecht über mich. Aber ist das denn die Möglichkeit?“

(Telefongespräch von Berlusconi mit Giancarlo Innocenzi)

Im italienischen Rechtssystem gibt es Merkwürdigkeiten. Zu ihnen gehört, dass die Protokolle von gerichtlich angeordneten Abhöraktionen den Zeitungen zugespielt werden, die sie dann prompt – oft ungestraft – veröffentlichen. Auch wenn sich die Untersuchungen noch im Ermittlungsstadium befinden. Das ist nicht legal, aber es geschieht. Ich muss gestehen, ich lese diese Protokolle gerne, besonders wenn sie Silvio Berlusconi betreffen. Nirgends kommt so ungeschminkt zum Ausdruck, was er von Legalität und Meinungsfreiheit hält.

Berlusconi versucht, das italienische Staatsfernsehen zu einem Teil seiner persönlichen Propagandamaschine zu machen. Antonio Riccò berichtete in diesem Blog („Kranke Demokratie“), wie Berlusconi während des gerade laufenden Wahlkampfs die Absetzung sämtlicher politischer Talkshows durchsetzte. In 13 von den 20 Regionen Italiens werden neue Parlamente gewählt. Das Ergebnis gilt als wichtiger Test, die Prognosen für Berlusconis Bündnis sind nicht gut. Jetzt ist herausgekommen, dass es Berlusconi persönlich war, der die Absetzung der Talkshows durchsetzte, mithilfe eines Trommelfeuers von Telefonaten, in denen er Menschen unter Druck setzte und Institutionen, die eigentlich die Unabhängigkeit des Fernsehens kontrollieren sollen, in ihr Gegenteil umfunktionierte. Die Sache hatte nur einen Schönheitsfehler: Staatsanwälte hörten ihn dabei ab.

Die AGCOM ist, wörtlich übersetzt, eine vom Parlament eingerichtete „Behörde für Schutzrechte im Kommunikationswesen“. Sie wurde in guter Absicht ins Leben gerufen: Sie sollte eine unabhängige Kontrollinstanz ein, unter anderem zum „Schutz des sozialen, politischen und ökonomischen Pluralismus“ im Fernsehen. Was nicht gerade auf der Linie des Ministerpräsidenten liegt. Aber als umsichtiger Mann hat er Giancarlo Innocenzi, einen seiner Gefolgsleute, zum Kommissar in diesem Amt gemacht. Die abgehörten Telefongespräche belegen, wie Berlusconi ihn und die AGCOM unter Druck setzte, um den Fernsehmoderator Michele Santoro zum Schweigen zu bringen. Sein Vergehen: Er ist regierungskritisch und populär. Schon im November, als Santoro ein Feature über den Mills-Fall (siehe unsere Dokumentation, „Berlusconis Prozesse“) bringen wollte, ließ ihm Berlusconi eine Super-Klage androhen. B.s Feldzug gegen Santoro und andere Kritiker ging weiter. Indem er Innocenzi daran erinnerte, wem er seine Stellung zu verdanken hatte („Du weißt doch wohl, wer Dich in dieses Amt gehievt hat“), verlangte er immer dringlicher Ergebnisse: Die Talkshows von Santoro und anderen Journalisten sollten abgesetzt, missliebige Repubblica-Kommentatoren nicht mehr eingeladen werden. Und Hassgegner wie Di Pietro sollten ein grundsätzliches Auftrittsverbot bekommen („dessen Visage kann ich nicht mehr sehen!“).

In Berlusconis Italien gehen die demokratischen Freiheiten und Garantien Stück für Stück verloren. Eigentlich will Berlusconi ja nichts Böses, sondern Italien nur wie sein eigenes Unternehmen führen. Die noch vorhandenen demokratischen Strukturen Italiens erweisen sich dafür als zu komplex? Dann weg mit ihnen. Man muss ja regieren können.

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