Der Anti-Berlusconi

„Über Mario Monti gibt es nicht viel zu erzählen, was auch normal ist, denn es gibt keinerlei skandalträchtige Geschichten über ihn“, sagt Umberto Burani, Finanzexperte und Freund des frischgebackenen Ministerpräsidenten. Wie bitte?? Ein italienischer Regierungschef ohne Skandale? Schon allein deswegen bin ich fast versucht, voreilig zum glühenden Monti-Fan zu werden.

„Kompetent“, „ruhig aber durchsetzungsstark“, „nüchtern“, „bescheiden“, „ein unabhängiger Geist“, „ein Italiener angelsächsischen Stils“: so und ähnlich wird der 68-Jährige charakterisiert. Man kann hinzufügen: nicht gerade medienwirksam, eher etwas dröge im Auftreten. Wenn er mit ruhiger, leicht monotoner Stimme redet, wirkt er auf mich ein bisschen wie meine ehemalige Yogalehrerin in der Entspannungsphase: wohltuend und eher einschläfernd. Man kann sich bei ihm beim besten Willen nicht vorstellen, dass er das Volk in Wallung bringt. Weder aus Begeisterung noch aus Abneigung. Das Gegenprogramm zu seinem schrillen Vorgänger.

Monti, Sohn eines Bankiers und praktizierender Katholik, ist ein überzeugter „Europeista“ und (parteiloser) Liberalkonservativer. Nach dem Studium an der privaten Wirtschaftsuniversität „Bocconi“ in Mailand (deren Präsident er zuletzt war) wurde er in Yale zum Schüler von James Tobin, dem Nobelpreisträger und „Erfinder“ der sog. Tobin Tax zur Besteuerung finanzieller Transaktionen. Als Monti EU-Wettbewerbkommissar wurde, haben sich an ihm bekanntlich Magnaten wie Microsoft die Zähne ausgebissen, was ihm den Spitznamen „Super-Mario“ einbrachte. Er ist kein radikaler Neoliberaler, sein Credo ist eine liberal geprägte Version der sozialen Marktwirtschaft. „Die Steuerlast hat sich unverhältnismäßig auf Arbeitseinkommen und Unternehmen verschoben, während die Finanzrenditen geschont wurden“, erklärte er vor Kurzem. Aber auch: „Wenn es sein muss, bin ich bereit, jeden Italiener ein bisschen unglücklich zu machen, um Privilegien abzuschaffen“. Auch hier das Gegenprogramm zum Populisten B., der alle Italiener glücklich machen wollte, indem er sie zur Steuerhinterziehung und Durchsetzung eigener Interessen auf Kosten des Gemeinwohls ermunterte, mit ihm selbst als leuchtendem Vorbild.

Dass Super-Mario ein kluger Kopf, ein international anerkannter Wirtschaftsfachmann und eine integre Person ist, wird von niemandem angezweifelt. Das ist schon viel und Balsam für die durch jahrelange B.-Herrschaft malträtierte italienische Seele. Ob es allerdings ausreicht, um mit einer rein „technischen Notregierung“ aus lauter Professoren und Verwaltungsfachleuten erfolgreich zu regieren und so das Vertrauen sowohl der Italiener als auch der internationalen Finanzmärkte zu gewinnen, steht auf einem anderen Blatt.

Ein paar Kostproben, wie hürdenreich auch für den klügsten Fachmann das politische Terrain sein kann, wurden Monti bereits geboten: sein Versuch, in seine „technische Regierung“ ein paar politische Schwergewichte aus beiden Lagern einzubinden, um die parlamentarischen Kräfte stärker in die Verantwortung zu nehmen, scheiterte am gegenseitigen Veto der Parteien. Und B. und seine PdL-Bankrotteure drohen bereits unverhohlen, der Monti-Regierung jederzeit „den Stecker rauszuziehen“, wenn sie nicht spurt.

Ob Super-Mario standhaft bleibt und ob er in der Lage sein wird, seinem Regierungsprogramm die nötige parlamentarische Unterstützung zu sichern, hängt auch vom Rückhalt in der Bevölkerung ab. Und den wird der neue Ministerpräsident nur haben, wenn er die Einsicht und die Kraft hat, Opfer nicht allein den Arbeitnehmern, den Rentnern und der Mittelschicht abzuverlangen, sondern auch den privilegierten Schichten, die bisher konsequent geschont wurden. Und wenn seine Regierung nicht nur zu drastischen Einschnitten, sondern auch zu wirksamen Maßnahmen zur wirtschaftlichen Entwicklung und Erneuerung fähig ist. Ich wünsche ihm dafür eine glückliche Hand, im Interesse Italiens, Europas und darüber hinaus.

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