Vergiftetes Erbe

Immer wieder vergleichen die italienischen Medien die Welle von Korruptionsskandalen während und nach B. mit „Tangentopoli“ Anfang der 90er Jahre, als die „Erste Republik“ und das damalige Parteiensystem zusammenbrachen. Dabei verweist man aber auch auf die Unterschiede, die auf den einfachen Nenner gebracht werden können: Während der „Ersten Republik“ füllten Politiker mit Korruptionsgeldern ihre Parteikassen, in der „Zweiten Republik“ die eigenen Taschen.

Die Feststellung charakterisiert den weiteren Verfall der politischen Kultur und öffentlichen Moral während der letzten zwanzig Jahre. Es wäre zu einfach, deren Ursachen allein im ‚Berlusconismus‘ zu suchen, aber es ist unbestreitbar, dass dieser sie beflügelt hat. Die offensive Überschreitung von Regeln zum eigenen Vorteil; die Vermischung politischer und persönlicher Interessen; die Verachtung staatlicher Institutionen und Umgehung öffentlicher Kontrollinstanzen; die mediale Verbreitung eines Lebensmodells, der den eigenen materiellen Erfolg und persönliche Bedürfnisbefriedigung – auch auf Kosten anderer – an die erste Stelle setzt: Das hat der Berlusconismus auf höchster staatlicher Ebene fast zwei Jahrzehnte lang vorgelebt und als Erfolgsrezept für das ganze Land präsentiert.

In ihrer Verantwortungs- und Maßlosigkeit folgen auch die die jetzt publik werdenden Korruptionsfälle diesem Vorbild. Nicht im Sinne bewusster Nachahmung, sondern weil den Korrupten offenbar jegliches Unrechtsbewusstsein fehlt. Es ist schon fast von soziologischem Interesse, wie selbstverständlich sich Politiker verschiedenster Couleur teure Immobilien, dicke Autos, Luxusurlaube, Diamanten und Goldbarren, Abendessen zu surrealen Preisen und Vergnügungen mit kostspieligen Prostituierten durch Steuergelder aus der Parteikasse oder von halbkriminellen Geschäftsmachern und Lobbyisten finanzieren ließen. Über 23.000 Euro für ein Abendessen mit Parteifreunden, Karibikurlaube der Extra-Klasse für läppische 47.000 Euro die Woche, Wohnungen am Kolosseum, falsche Diplome in der Schweiz (wenn man selber zu dämlich ist, um irgendein Studium abzuschließen, aber Papa Parteichef ist). Die Liste könnte man fortsetzen, bis es einem übel wird. Natürlich erwarten die großzügigen Sponsoren dafür auch Freundlichkeiten: Bevorzugung bei der Vergabe von Aufträgen, lukrative Beraterverträge von höchstem öffentlichen Interesse wie z. B. „Erforschung der Möglichkeiten eines Lebens auf dem Mars“ (vergeben von Sektion Gesundheitswesen der Region Lombardei) und – vor allem – Posten und Pöstchen.

Armer Wulff, mit seinem bieder-hässlichen Häuschen, dem Oktober-Fest und Sylt-Urlaub im „Hotel Hamburg“. Mit einem Urlaub auf Antigua (47.000 die Woche) und einem Abendessen, bei dem eine Portion Spaghetti mit Kaviar 180 Euro kostet, kann das nicht konkurrieren.

Sicher bergen solche haarsträubende Geschichten die Gefahr der Verallgemeinerung und des Schürens von Ressentiments gegen „die gesamte Politik“, zumal wenn sie medial entsprechend in Szene gesetzt werden. Mit der fatalen Folge, dass sich viele Bürger angewidert von der Politik abwenden oder populistischen Schreihälsen Beifall klatschen. Zu Recht warnte Napolitano am 25. April, dem nationalen Feiertag zur Befreiung vom Nazifaschismus durch die „Resistenza“, vor dieser Gefahr. Genauso eindringlich rief er aber die Parteien auf, sich „von der Fäulnis“ zu befreien und ihren in der Demokratie unverzichtbaren Aufgaben für das Gemeinwohl gerecht zu werden.

Denn der populistischen Gefahr kann nicht begegnet werden, indem man die grassierende Korruption und die faulen Verquickungen zwischen Politik, Wirtschaft, Lobbyisten und organisierter Kriminalität verschweigt oder verharmlost. Schon gar nicht in einer Zeit, in der Rezession und harte soziale Einschnitte vielen Bürgern Existenzgrundlage und Zukunftsperspektive nehmen. Während sich die einen wahnwitzig teure Abendessen spendieren lassen, pilgern die anderen von Supermarkt zu Supermarkt, um billige Sonderangebote zu erwischen. Während sich skrupellose Geschäftsmacher durch Bestechung Millionenaufträge sichern, gehen Kleinunternehmer bankrott und such junge Talente ihr Glück im Ausland. Es muss für die Parteien eine nationale Aufgabe sein, diese unerträglichen Zustände zu beenden. Parteien sind für Demokratie und Politik konstitutiv und unverzichtbar, das stimmt. Aber sie müssen dem Volk – und sich selbst – auch beweisen, dass sie dessen würdig sind.

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