Rücktritt Bersanis, PD im Chaos

Es schien gar nicht so schwierig. Für die Wahl des Staatspräsidenten gibt es 1007 Wahlleute, und Mittelinks stellt – aufgrund ihrer absoluten Mehrheit in der Deputiertenkammer – davon immerhin 496. In den ersten drei Wahlgängen muss der Kandidat/die Kandidatin, um gewählt zu werden, zwei Drittel der Stimmen bekommen. Ab dem vierten Wahlgang reicht die einfache absolute Mehrheit. Das sind 504 Stimmen, also nur 9 mehr, als allein Mittelinks auf die Waage bringt. Das müsste zu schaffen sein. Unter normalen Umständen.

Es begann damit, dass Bersani nach der Wahl, die ihm im Parlament eine absolute, im Senat aber nur eine relative Mehrheit bescherte, erst einmal „zweigleisig“ verfahren wollte. Staatspräsident Napolitano drängt auf eine Politik der „breiten Verständigung“ (mit Berlusconi). Bersani wollte sich diesem Rat bei der Regierungsbildung nicht beugen, sondern stattdessen eine „Regierung der Veränderung“ bilden, wofür er – allerdings mit wenig Erfolg – den Grillo-Block zu umwerben begann. Bei der ebenfalls anstehenden Neuwahl des Staatspräsidenten wollte er jedoch die „breite Verständigung“ suchen, sich also mit Berlusconi auf einen Kandidaten einigen.

Kammerpräsidenten Boldrini und Grasso bei der Auszählung

Kammerpräsidenten Boldrini und Grasso bei der Auszählung

Eine selbstmörderische Taktik

Das ging so schief, dass es schon fast weh tut. Erstens, weil Bersanis Taktik selbstmörderisch war. Und zweitens deshalb, weil ihn dabei auch seine eigene Partei im Stich ließ. Gegen Prodi, der Berlusconi zweimal im Wahlkampf geschlagen hat, legte der Cavaliere schon im Vorfeld sein Veto ein (lieber werde er „ins Ausland emigrieren“), ebenso wie gegen zwei Verfassungsrichter, die Bersani noch in letzter Minute aus dem Hut zauberte. Ergebnis: Bersani strich aus seiner Vorschlagsliste, die er B. vorlegte, alle Namen, die für Veränderung standen. Und noch gravierender: Er überließ B. die endgültige Entscheidung. Jetzt standen auf der Liste nur noch 3 Kandidaten: der Sozialist Giuliano Amato, der ehemalige Führer der christdemokratischen Gewerkschaft CISL, Franco Marini, der während der Prodi-Regierung Senatspräsident gewesen war, und der alte PD-Haudegen Massimo d‘ Alema. Diese Liste präsentierte er Berlusconi (PdL) und Monti (Scelta Civica), zur freien Auswahl.

B.s Entscheidung hieß Franco Marini, von dem B. sich am wenigsten Widerstand versprach. Marini ist ein honoriger Mann mit politischer Erfahrung und sozialer Sensibilität. Aber keine herausragende Persönlichkeit und auch kein Mann der Erneuerung. Vor allem war er nun zu einem Kompromisskandidaten von B.s Gnaden geworden.

Im Mittelinks-Lager erhob sich ein Sturm des Protests. Zumal Grillos 5-Sterne-Bewegung, die bei den Absprachen zwischen Bersani und Berlusconi außen vor geblieben war, einen Kandidaten ins Rennen geschickt hatte, der durchaus ernst zu nehmen war: Stefano Rodotà, ein herausragender Verfassungsrechtler, der auch in der Zivilgesellschaft hoch angesehen ist. Sowohl SEL als auch ein Teil des linken PD-Flügels erklärten, sie würden nicht Marini, sondern Rodotà wählen. Auch Renzi lehnte Marinis Kandidatur ab. Die PD-Basis, die in Marinis Kandidatur eine Kapitulation vor Berlusconi sah, organisierte Protestdemonstrationen und rief im Web die Abgeordneten zum Nein auf. Andere verbrannten vor dem Parlament demonstrativ ihre Mitgliedsausweise. Im ersten der drei Wahlgänge, bei denen noch eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist, bekam Marini aus dem Mittelinks-Lager ca. 250 Stimmen weniger als erwartet, nur PdL und Lega stimmten für ihn. Ein Teil der PD wählte Rodotà, andere enthielten sich. Für Bersani – und die Glaubwürdigkeit der PD insgesamt – ein Debakel.

Eine gespaltene Partei

Aber es kam noch schlimmer. Am Donnerstagabend, dem Abend nach den ersten beiden Wahlgängen, wollte Bersani aus allem die Konsequenz ziehen. Er kündigte die totale Kehrtwende an. Statt Marini sollte nun Prodi ins Rennen gehen. Große Wut bei Berlusconi, große Erleichterung und Zustimmung bei der Linken, standing Ovations. Nur SEL kündigt an, zunächst noch für Rodotà und erst im vierten Wahlgang, wenn die absolute Mehrheit ausreicht, für Prodi stimmen zu wollen.

Der vierte Wahlgang am Freitagnachmittag wurde zur Stunde der Wahrheit. Diesmal verfehlte Prodi nicht nur die absolute Mehrheit um die schon vorher bekannten 9 Stimmen, sondern um weitere 100. Nicht wegen der fehlenden Stimmen von SEL, sondern wegen der Spaltung der PD. Sie zerfiel in „Linke“, „Renziani“, „Popolari“ (alte DC-Fraktion), „Prodiani“. Noch am gleichen Abend trat Prodi von seiner Kandidatur und Rosy Bindi von ihrem Amt als Präsidentin der PD zurück. Und Bersani kündigt seinen Rücktritt als Generalsekretär an. Auflösungerscheinungen.

Damit ist offensichtlich: In den vergangenen zwei Tagen ist mehr passiert als nur das vorläufige Misslingen einer Präsidentenwahl. Die PD, die eigentlich angetreten ist, um den Berlusconismus zu überwinden, hat ihre Reifeprüfung nicht bestanden. In dem Moment, in dem sie Verantwortung übernehmen müsste, löst sie sich in ihre Bestandteile auf. Unsere römischen Freunde sagen: Spaltung nicht ausgeschlossen.

Das ist der Stand der Dinge am Freitag, den 19. April, abends um 23 Uhr. Am Samstag finden die nächsten Wahlgänge statt. Die noch amtierende PD-Führung hat die Parole ausgegeben: weiße Stimmzettel abgeben, erst einmal intern beraten. Kandidaten: bisher unbekannt.

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