Krach um Garibaldi

Giuseppe Garibaldi landete am 11. Mai 1860 mit einer 1067 Mann starken Truppe aus Freiwilligen, die auch als „Zug der Tausend“ bezeichnet werden, auf Sizilien. Seine improvisierte Armee schlug die Truppen des Königs von Neapel und leitete damit Italiens nationale Vereinigung ein. Garibaldi ernannte sich zum Diktator Siziliens. Eigentlich war er jedoch nationalistisch-demokratisch gesonnen und plante, schon bald zugunsten einer Italienischen Republik abzudanken. Im Schlepptau hatte er auch viele einheimische Aufständische aus den unterprivilegierten Schichten der Kleinbauern und Landarbeiter, sein Feldzug war also auch geprägt von der Sehnsucht nach sozialer Gerechtigkeit. Das passte den tonangebenden Adligen in der Politik gar nicht und selbst Camillo Benso, Graf von Cavour, Ministerpräsident des Königreiches Piemont-Sardinien, schäumte vor Wut über Garibaldis Husarenstück auf Sizilien. Obwohl auch er die nationale Einheit Italiens wollte. Aber mit diplomatischen Mitteln, nicht mit Gewalt.

Heute, 150 Jahre nach Garibaldis Ankunft im Hafen von Marsala, gibt es wieder Streit in Italien.

Lega Nord-Politiker halten die Feierlichkeiten für Garibaldi und den Jahrestag der Vereinigung Italiens im nächsten Jahr für überflüssig und zu teuer. Er sei an der Misere des Landes schuld, schimpfen die Politiker der separatistischen Partei Lega Nord, die den Norden vom Süden abspalten will. Von wegen Vereintes Italien. Um die Wogen zu glätten und den Jahrestag der Landung Garibaldis auf Sizilien mit Würde zu begehen, hat sich Staatspräsident Giorgio Napolitano in die Diskussionen eingeschaltet ein:

„Es ist weder Zeit- noch Geldverschwendung, die nationale Einheit zu feiern. Arbeiten wir daran, unsere Probleme zu überwinden, geben wir den verschiedenen Sichtweisen auf die Geschichte Raum, aber ehren wir auch die Patrioten, die vor 150 Jahren aus Genua kamen.“

Was die Lega Nord heute gerne vergisst: es waren Norditaliener, hauptsächlich Lombarden, Venetier und Piemontesen, die vor 150 Jahren den Weg zur nationalen Einheit ebneten. Das wirtschaftliche Gefälle zwischen dem industrialisierten Norden und dem landwirtschaftlich geprägten Süden konnte in 150 Jahren nicht überwunden werden. Immer noch hängt das finanzielle Ueberleben von Regionen wie Kalabrien, Apulien, Basilikata oder auch Sizilien an Transferleistungen aus Rom. Das konnte sich Giuseppe Garibaldi freilich nicht ausmalen, als er vor 150 Jahren in Marsala an Land ging, um Sizilien von dem korrupten, rückständige Regime der Bourbonen zu befreien. So sieht es ein Teil der Italiener heute. Der andere Teil interpretiert die Geschichte anders. Für den Informatiker Francesco Strana aus Kalabrien war Garibaldi nicht Befreier, sondern Besatzer: „Als die Tausend Sizilien erobert hatten, enttäuschten die Generäle Garibaldis die Bevölkerung, weil sie ihre Versprechen nicht einhielten. Seitdem hätte man vieles besser machen können, aber das hat man nicht geschafft.“

Italiens Gegenwartsprobleme haben viel zu tun mit der Vergangenheit. Der Weg zum Nationalstaat ähnelte einem Puzzlespiel: zuerst trat das von Garibaldi „besetzt-befreite“ Süditalien dem Königreich Sardinien-Piemont bei, dann zogen die Österreicher aus Norditalien ab und zum Schluss verzichtete der Papst auf seinen Kirchenstaat. Mit der nationalen Einheit verschwanden aber weder die sozialen Konflikte im Land noch Korruption und Misswirtschaft. Und das frustriert viele Bürgerinnen und Bürger heute. Eine junge Frau in der Fussgängerzone von Como bringt die Stimmung auf den Punkt: „Wo man hinschaut, sieht man nur Schlechtes. Alle Bereiche des politischen und oeffentlichen Lebens sind von Betrugsskandalen durchzogen: der Sport, die Kultur, das Gesundheitswesen. Nichts funktioniert so wie es sollte. Und da sollen wir auf die Einheit Italiens stolz sein? Vielleicht sollten wir noch einmal ganz von vorne anfangen.

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