Die PD in der Zange

Gäbe es in Italien eine „bipolare“ Demokratie, wie die englische oder amerikanische, dann müsste es auch eine vereinigte Linke geben, die den Gegenpart zur Rechten übernimmt. Es ist noch nicht so lange her, dass italienische Politiker (auch von der Linken) glaubten, das politische System ihres Landes in diese Richtung verändern zu sollen, zumal ja auch die italienische Gesellschaft diesen beiden Lagern etwa hälftig zugeneigt zu sein scheint. Als Renzi vor fünf Jahren noch Ministerpräsident war, hatte er diese Idee, und zwar mithilfe eines neuen Wahlgesetzes, das die politischen Parteien prämiert, die sich noch vor der jeweiligen Wahl zu Kartellen zusammenschließen. Wie so mancher Plan von ihm ging auch dieser schief: Erstens musste Renzi kurz nach Verabschiedung des Gesetzes zurücktreten; zweitens gingen bei der anschließenden Wahl (im Frühjahr 2018) Grillos „Fünf Sterne“ auf, die „weder links noch rechts“ sein wollten und dafür über 30% der Stimmen bekamen. Drittens war es anderthalb Jahre später Renzi selbst, der seine Strategie wechselte: Nun entdeckte er, dass zwischen den beiden Polen von Links und Rechts das Wichtigste fehlte: ein Zentrum, das es zu stärken gelte. Was sein Verhältnis zur Linken und vor allem zur PD gründlich veränderte: Aus der einstigen politischen Heimat wurde eine Konkurrenz, die es von nun zu schwächen galt.

Was bei all diesen Wendungen unverändert blieb, war das Wahlgesetz, das ja eigentlich erfunden wurde, um der vereinigten Rechten eine ebenso zu vereinigende Linke gegenüberzustellen. Da Renzi von da an einen Großteil seiner politischen Energie dafür einsetzte, um Mittelinks zu spalten und zu schwächen, veränderte sich die Funktion des Wahlgesetzes fast ins Gegenteil: Es bringt die Rechte auch ohne gesellschaftliche Mehrheit an die Macht und wird ihr diese Macht erhalten, solange Mittelinks weiter in eine Pluralität miteinander konkurrierender Bestandteile zerfällt. Die Chance, dass sich daran bald etwas ändern könnte, steht nicht gut.

Bürgergeld und Frieden: die Wiedergeburt der 5-Sterne-Bewegung

Noch zum Jahreswechsel 2021/22 schien absehbar zu sein, dass bei der nächsten Wahl die 5SB zu einer der kleineren Kräfte zurückgestutzt werden müsse: Die Umfragen gaben ihr noch 10 Prozent, mit fallender Tendenz, während die PD auf das Doppelte kam, Tendenz steigend. Alle, die der populistischen 5SB die Lebenskurve eines strahlend aufgegangenen, aber ebenso schnell verglühenden Sterns prognostiziert hatten, sahen sich bestätigt, und Renzi schien ihr den endgültigen Todesstoß zu geben, als er die Conte2-Regierung zum Rücktritt zwang. Daraufhin setzte Mattarella, der in diesem Moment Neuwahlen vermeiden wollte, als Notlösung Draghi ein, der von einer breiten Koalition getragen wurde, die von der PD bis zu Salvinis Lega reichte. Wobei die PD – aus heutiger Sicht – den Fehler beging, sich als Musterschülerin der Draghi-Regierung aufzuführen (wohl im Glauben, dass dabei etwas von ihrem hohen Ansehen für die PD abfallen müsse). Was ihr aber in der öffentlichen Wahrnehmung ein Stück eigenes Profil kostete, zumal die PD die Angst unterschätzte, welche die Kritik der Rechten am sog. „Bürgergeld“ vor allem im sozial unterversorgten Süden hervorrufen musste.

Da verhielt sich die 5SB erkennbar anders: Als die erste Kritik von rechts und teilweise auch von der Mitte (Renzi) am Bürgergeld kam – es prämiere das Nichtstun und müsse zumindest „verbessert“ werden –, war es Conte, der am lautesten Alarm schlug und sich als intransigenter Verteidiger des Bürgergelds profilierte, auch auf die Gefahr hin, als Störenfried der Draghi-Regierung zu gelten. Was ihm im folgenden Wahlkampf den Startvorteil verschaffte, als die Kraft dazustehen, die sich am konsequentesten auf die Seite der sozial Schwächeren schlägt.

Als Conte dann auch noch in einem Ad hoc-Bündnis mit der Rechten den Sturz Draghis auslöste, beging Letta den weiteren Fehler, nun zu Conte alle Brücken abzubrechen, nachdem er ihn lange als potentiellen Bündnispartner umworben hatte. Was ihm das bis heute ungebrochene Ressentiment Contes (der durchaus fähig ist, nachtragend zu sein) einbrachte. Da Letta einen Moment lang am Bündnis mit dem „Terzo Polo“ festzuhalten suchte – um von seiner Einheitsfront gegen Rechts zu retten, was zu retten war –, wurde dies von der 5SB und auch von manchen Linken sofort als neoliberale Parteinahme gegen das Bürgergeld gedeutet. Dass Conte damit bei den Wählern auf das richtige Pferd setzte, zeigt sich nach der Regierungsbildung: Meloni will offenbar an ihren Plänen zu seiner Abschaffung festhalten, auch wenn sie diese jetzt um fast ein Jahr zurückstellen will – was Conte schon drohen ließ, dass dies zu sozialen Unruhen („disordini“) führen werde. Dass hier auch der Führungsanspruch der PD unter Druck gerät, zeigt Stefano Bonaccini, der vielleicht ihr nächster Generalsekretär wird: „Conte geht zu denen, die das Bürgergeld verlieren? Das müssten auch wir tun. Die PD sollte nicht populistischer, aber doch populärer sein“.

Conte hat noch eine zweite Karte im Ärmel , die ihm der Ukraine-Krieg zuspielte. Die in Italien besonders starke Friedensbewegung ist zwischen den Anhängern eines Friedens-um-jeden-Preis und den Befürwortern eines „gerechten“ Friedens gespalten, d. h. zwischen Ablehnern und Befürwortern weiterer Waffenlieferungen an Kiew. Hier hat sich Conte auf die erste Seite geschlagen, woran sich zeigt, dass er trotz seiner sozialen „Linkswende“ ein Populist blieb: prinzipienlos in Fragen des Menschen- und des Völkerrechts, aber mit Gespür für die Ängste, die der Krieg ausgelöst hat, vom Atomkrieg über die Energiekosten bis zur Inflation.

Das Ergebnis ist eine Art Wiedergeburt der 5SB: zunächst bei der Wahl, wo sie überraschend mit 15,4% zur drittstärksten Partei wurde. Und schon damit zumindest optisch in Reichweite der PD mit ihren 19,1% kam, deren Wahlziel es eigentlich war, möglichst mit Melonis FdI gleichzuziehen, aber mindestens auf deutlich über 20 % zu kommen. Noch beängstigender als dieses Ergebnis dürfte für die PD die anschließende Entwicklung sein: In den Umfragen ist seitdem die 5SB mit der PD nicht nur gleichgezogen, sondern hat sie sogar überholt. Conte, der seine Gegnerschaft zu Meloni mit apokalyptischen Vergleichen untermauert und gleichzeitig alle Versuche der PD, mit ihm zumindest zu Absprachen zu kommen, mit fast provozierender Arroganz beantwortet, verhält sich, als sei er schon die „wahre“ Opposition.

Prinzip Schaukelpolitik: der „Dritte Pol“ von Calenda und Renzi

Um die Wählerschaft der PD, wenn auch von einer anderen Seite her, geht es auch dem Bündnis, das sich bei der Wahl als „Terzo Polo“ präsentierte und dabei auf 7,8% der Stimmen kam. Zu ihm hatten sich erst in diesem Herbst Carlo Calendas „Azione“ und Renzis Minipartei „Italia Viva“ zusammengeschlossen, wobei es hier eher Renzi war, der mit seiner Splittergruppe „Italia Viva“, die in den Umfragen auf etwa 2% kam, Unterschlupf bei Calenda fand, der etwa 5% mitbrachte. Es gab Zeiten, in denen beide verkündeten, es vor allem auf die Splittergrüppchen und Wähler im Zentrum und im moderaten Mitterechts-Bereich (Teile der ehemaligen Gefolgschaft Berlusconis) abgesehen zu haben, aber die Analysen der letzten Wahl zeigen, dass sich in erster Linie Menschen aus dem PD-Lager angesprochen fühlten. Das Ergebnis von 7,8% scheint wenig (Calenda erhoffte sich mindestens 10%). Aber das Selbstbewusstsein ist ungebrochen: Da sich der „Dritte Pol“ im Zentrum positioniert, sehen ihn Renzi und Calend zumindest als potentielles Zünglein an der Waage, das im entscheidenden Moment die ganze Richtung bestimmen kann. Ihr politischer Ort ist eine Mischung von Liberalismus und Opportunismus, die Calenda „Pragmatismus“ nennt: „Liberal“ ist die Gegnerschaft zu Salvinis Flüchtlingspolitik, ebenso wie z. B. das Nein zum pädagogischen Konzept des neuen Erziehungsministers (der erklärte, dass Demütigungen in der Schule auch ihre gute Seite hätten, weil sie der Charakterbildung dienten). „Pragmatisch“ ist ein politisches Agieren, das seine Avancen möglichst gleichmäßig zwischen Rechts und Links verteilt.

Das Ergebnis ist Schaukelpolitik: Bei den anstehenden Regionalwahlen wollen sie hier eine rechte Kandidatin unterstützen, dort einen Linken; beim Bürgergeld unterstützen sie die Demontage-Absicht der Rechten, bei der Forderung nach Einführung eines Mindestlohns die Linke. Der neuen Ministerpräsidentin erklärte Calenda, dass er ihr beim Haushaltsgesetz helfen wolle, da ein schnelles Scheitern ihrer Regierung für Italien ein „Unglück“ wäre. Was ihm einen Termin bei Meloni einbrachte, die hinterher gnädig erklärte, das Treffen sei „konstruktiv“ gewesen, dem weitere folgen könnten. Woraufhin Calenda als Gegenleistung die Terzo-Polo-Abgeordneten anwies, im Parlament nicht für die Einführung eines Mindestlohns zu stimmen – den die PD und die 5SB gegen den Willen der Rechten beantragt hatten –, sondern sich der Stimme zu enthalten. Da Calenda vor dem Treffen mit Meloni auch noch Berlusconi wegen seiner für den Haushalt „überzogenen“ Forderungen kritisiert hatte, scheint er dabei einen weiteren Hintergedanken zu haben: Meloni zu signalisieren, dass es für ihre Unterstützung durch Berlusconis „Forza Italia“ im Notfall Ersatz gebe, und dabei auf sich selbst zu zeigen. In der Nervosität, mit der Berlusconi auf diese von außen kommende Anbiederung reagiert, kann man dafür eine Bestätigung sehen.

Kann sich die PD aus der Zange befreien?

Die PD scheint wie gelähmt. Sie verliert die Initiative: Links von ihr mobilisiert die 5SB die Straße gegen die Abschaffung des Bürgergelds und für den „Frieden“, rechts demonstrieren Renzi und Calenda, dass man auch mit einer reaktionären Regierung Politik machen kann. Für beide scheint die PD kaum noch mehr als ein Steinbruch zu sein, aus dem man nur die noch verwertbaren Teile für sich heraussprengen muss. Man spürt den Alptraum, wie die französischen Sozialisten in Bedeutungslosigkeit zu enden. Der Zerfall der Partei in eine Vielzahl von Seilschaften, die dort etwas vornehmer „Correnti“ (Strömungen) heißen und jeweils eigenen Organisationslogiken folgen, verstärkt ihre Unbeweglichkeit. Zumal die „Correnti“ oft auch einen Resonanzboden für die Konkurrenten bilden, über die sie in die Partei hineinwirken können.

Lettas Beschluss, der PD nach der Wahlniederlage noch einen Kongress zu verordnen, um dann als Generalsekretär zurückzutreten, scheint gegenwärtig die Lähmung zu vervollständigen. Wenn es hier eine Heilung geben soll, muss die Kur gründlich sein. Pünktlich zum zweiten Advent hat Elly Schlein ihre Kandidatur für Lettas Nachfolge angemeldet, sie scheint eine Alternative zum „Apparatschik“ Bonaccini zu werden. Zumindest zu Giorgia Meloni ist sie der fast allzu perfekte Gegenentwurf: feministisch, bisexuell, ökologisch und links. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

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