Ist die Rechte noch zu stoppen?

Die nationale Wahl wird nun schon am 25. September stattfinden, also in weniger als zwei Monaten, und die Aussicht, bei ihr noch einen Kantersieg der Rechten verhindern zu können, scheint gegen Null zu gehen. Aus welchem Holz diese Rechte geschnitzt ist, zeigt die „bella compagnia“, d. h. das Triumvirat, das sie anführt und das sich gerade zu einem Gipfeltreffen traf, um unter sich schon mal die Posten zu verteilen: die Postfaschistin und Trump-Freundin Meloni wird Ministerpräsidentin; der Madonnenbildchen schwenkende Putin-Verehrer Salvini, der Italien wieder „flüchtingsfrei“ machen will, wird Innenminister; und der vorbestrafte 86-jährige Medien-Tycoon und Bunga-Bunga-Löwe Berlusconi wird zumindest Senatspräsident, als Vergoldung seines Lebensabends und Entschädigung für das ihm von der Justiz lebenslang angetane Unrecht.

Wenig Bewegung in den Prognosen

Die links gehegte Hoffnung, Draghis Sturz werde vielleicht einen Erdrutsch in der Meinung der Wähler auslösen, wurde durch die neuesten Umfragen erst einmal nicht bestätigt. Laut der letzten Umfrage der Euromedia-Research Group finden zwar 62% der Italiener diesen Sturz schlecht und nennen Conte (65%) und Salvini (58,5%) als Hauptverantwortliche. Aber nach entsprechenden Verschiebungen in der Wählergunst sucht man noch vergeblich: Zwar verliert die Lega, die schon vorher auf 14 % gesunken war, weitere 1,6%, und Berlusconis Forza Italia 0,3%, so dass sie jetzt bei 7,1% steht; aber diese Verluste gleichen Melonis Fratelli d’Italia durch den Anstieg auf nunmehr 25% aus. Insgesamt stagniert die Rechtskoalition, aber mit 45,5% auf einem Niveau, das – aus Gründen, die gleich zu nennen sind – hoch genug ist, um die bevorstehende Wahl mit absoluter Mehrheit zu gewinnen.

Zwar kann auch die PD, die am entschiedensten die Draghi-Politik mittrug, einen Zugewinn von 22,1 auf 23,2% verbuchen. Aber sie gewann damit nur genau die 1,1% hinzu, die die 5SB in der gleichen Woche verlor (sie sank von  11,2 auf jetzt 10,1%). Die Hoffnung Contes, seine Grillini mit dem Paukenschlag der Draghi-Abwahl wieder ins Gespräch zu bringen, hatte die gegenteilige Wirkung – ihr Abstieg geht weiter -, aber er zerschlug damit auch das letzte ihm noch verbliebene politische Porzellan: das Bündnis, das ihm die PD anbot, die er aber nun sogar zum „Hauptfeind“ erklärt. Womit sich die Situation für die PD fundamental verändert hat: Abgesehen von zwei oder drei linken Splittergruppen steht sie nun der übermächtig scheinenden Rechten weitgehend allein gegenüber, mit den Überbleibseln der 5-Sterne-Bewegung neben sich, von denen sie aber nun bekämpft wird. Und dazwischen mit den frei flottierenden Teilstücken eines „Zentrums“, das sich aber bisher durch das Gockel-Gehabe ihrer Leader (Calenda, Renzi usw.) und wechselseitige Vetos politisch lahmlegt.

Und dann auch noch das Wahlgesetz

Die beiden Kontrahenten

Was den Anschein der Hoffnungslosigkeit vollendet, ist das Wahlgesetz. Es ist ein Mix von Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht, wobei knappe zwei Drittel der Abgeordneten beider Kammern nach dem Verhältniswahlrecht und ein gutes Drittel nach dem Mehrheitswahlrecht gewählt werden. Wenn die Verhältniswahl vielleicht noch zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen führen könnte (so die Hoffnung der Linken), entscheiden die Direktmandate über das reale Ergebnis. Hier befindet sich der Rechtsblock eindeutig im Vorteil, denn wo er – zumindest bisher – von vornherein über fast die Hälfte der aktiven Wählerschaft verfügt, geht die PD mit gut 20 % ins Rennen und müssen sich die Kräfte von Mittelinks erst einmal mit politischen Splittergrupen und Vertretern der Zivilgesellschaft zusammenraufen, um überhaupt Listen und Koalitionen zu bilden und gemeinsame Kandidaten aufstellen zu können. Die Rechte hat bereits entschieden, welche Partei ihres Blocks in welchem Wahlkreis für die Aufstellung der Direktkandidaten zuständig ist, wobei sich Meloni den Löwenanteil sicherte (die jeweiligen Parteizentralen müssen dann noch über die Personen entscheiden). Auch die rechten Leaderscheinendavon auszugehen, dass ihnen der größte Teil der Direktmandate am 25. Septeber wie reife Früchte in die Körbe fällt – die Frage ist nur noch, in welchen.

Die Bedeutung eines rechten Wahlsiegs

Der Sieg einer von Meloni geführten Rechten scheint wahrscheinlich. Die Auswirkungen sind teilweise absehbar. Das Modernisierungsangebot, das die EU Italien mit dem PNRR-Plan macht und für dessen Umsetzung Draghi der ideale Garant war, ist gefährdet – der Erfolg dieses Programms würde ja nicht nur Italien, sondern auch Europa stärken, was in der souveränistischen Rechten nicht gerade auf Begeisterung stößt. Alle drei Parteiführer sind Bewunderer Orbans, das heißt einer autoritäreren Staatsform, in der die Menschenrechte und elementare Bürgerrechte auf der Strecke bleiben, und sie haben Pläne in der Schublade, um mit Hilfe einer Verfassungsänderung Italien zu einer Präsidialdemokratie zu machen. Kann man wenigstens hoffen, dass die Zerstrittenheit der Rechten, die ja durch den gemeinsamen Willen zur Macht nur überdeckt wird, dafür sorgen werde, dass „alles nicht so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird“?  Ein Blick auf die Außenpolitik zeigt, wie viel diese Hoffnung wert ist: Salvini und Berlusconi stehen für die Option, mit fliegenden Fahnen ins Putin-Lager überzuwechseln, während sich Meloni eher als „Atlantikerin“ hervortut. Wobei es ihr, der guten Freundin von Steve Bannon, ziemlich egal zu sein scheint, ob in Washington Biden oder Trump residiert. Unklar ist die Haltung gegenüber der Fortsetzung des Ukraine-Kriegs: Die Putin-Freunde Salvini und Berlusconi drängen schon jetzt ihm gegenüber aufs Appeasement, während Meloni weiter Selenskij unterstützen will – solange in Washington Biden am Ruder ist. Gemeinsam ist allen drei Parteiführern die Gleichgültigkeit gegenüber der Forderung, dass hier die EU mit einer Stimme sprechen müsse.

Schimmer der Hoffnung

Die Aussicht darauf, den Sieg dieser Rechten noch verhindern zu können, scheint düster zu sein. Gibt es etwas, was das einschränkende „Scheint“ noch rechtfertigen kann? Letta, der sich mit seiner 23%-Partei PD einem rechten Machtblock von gut 45% entgegenstemmen muss, hat dafür nur noch knapp zwei Monate Zeit. Obwohl ihm gerade auch noch der wichtigste Bündnispartner weggebrochen ist, kann er sich keinen Defätismus erlauben.

Es gibt tatsächlich noch ein paar Hoffnungsgründe:

  • Der erste ist das hohe Ansehen, über das Draghi immer noch verfügt. Die PD hat ihn bis zum Schluss fast vorbehaltslos unterstützt, und von den Anhängern der Parteien, die an seinem Sturz beteiligt waren, könnte bei ruhigerer Überlegung nun doch ein Teil ins Grübeln kommen.
  • Das Vertrauen in die EU ist in der italienischen Bevölkerung immer noch stärker verankert, als es den Rechtsparteien lieb ist, und das PNRR-Programm müsste dieses Vertrauen eigentlich noch verstärken.
  • Die Zahl von denjenigen, die sich bei der Umfrage des Euromedia-Erhebung noch nicht entschieden hatten, ist mit 41 %  hoch – dies kann dazu führen, dass es bei der Wahl viele Enthaltungen gibt (was eher der Rechten nutzen wird); aber es kann auch bedeuten, dass sich viele erst im weiteren Verlauf des Wahlkampfs entscheiden, wem sie ihre Stimme geben.
  • Viel wird davon abhängen – so Lettas Überlegung -, ob es im Wahlkampf gelingt, das Bewusstsein durchzusetzen, dass es bei dieser Wahl um eine Entscheidung zwischen zwei Lagern handelt, von denen sich das eine an die Vergangenheit klammert, während das andere die Zukunft gestalten will (Arbeit und soziale Gerechtigkeit, Umwelt und nachhaltige Entwicklung, Bürgerrechte, Europa).

Wer mobilisiert?

Darin stecken Ressourcen, die aber erst einmal mobilisiert werden müssen. Auf die Frage nach dem Wie scheint Letta zwei Antworten geben zu wollen. Die eine besteht in der klassischen Bündnispolitik, die jetzt vor der Aufgabe steht, den ursprünglich geplanten Partner, die 5SB, durch einen oder mehrere Partner aus dem immer noch vorhandenen „Zentrum“ zu ersetzen (wobei er sich im Moment auf Calendas „Azione“ konzentriert). Die andere ist die Hoffnung auf eine Art Volksbewegung in Gestalt von „hunderttausend“ Wahlhelfern, die sich aus vor allem jüngeren PD-Mitgliedern, Sympathisanten und Freiwilligen rekrutieren. Sie sollen schaffen, was in Italien bisher undenkbar erschien: einen Wahlkampf im Sommer, im „heiligen August“, wobei das Heer der Freiwilligen von Haus zu Haus, von Strand zu Strand und vielleicht auch von Berg zu Berg zieht.

Der Gedanke im Hinterkopf ist die Erinnerung an eine Regionalwahl, die im Januar 2020 in der Emilia-Romagna stattfand und der für die Lega nur eine weitere Station auf einem unaufhaltsamen Siegeszug zu werden schien. Damals waren es ein paar Studenten aus Bologna, von denen der Anstoß zur Entstehung der „Sardinen“ ausging, einer Bewegung, die in ganz Italien vor allem jüngere Leute erfasste. Nachdem sie in der Emilia-Romagna wider Erwarten eine linke Regierung an die Macht gebracht hatte, schien sie einen Moment lang zu einem wichtigen Faktor der italienischen Politik werden zu können. Heute sind die „Sardinen“ nur noch Erinnerung, in der aber eine Hoffnung steckt: Dass es in der italienischen Gesellschaft ein ungenutztes Potenzial gibt, dem rechten Dominanzanspruch Paroli zu bieten, und das nur darauf wartet, von den richtigen Leuten im richtigen Moment aktiviert zu werden.

Die Frage ist allerdings, ob dies ein PD-Generalsekretär schaffen kann, der von seinem Schreibtisch aus „hunderttausend“ Wahlhelfer in Marsch setzt. Zur Faszination der „Sardinen“-Bewegung gehörte auch ihre Eigenverantwortlichkeit und Autonomie. Die Kristallisationskerne dafür werden noch gesucht.

Letzte Meldung: Am vergangenen Donnerstag wurde in der Kleinstadt Civitanova in der Region Marche ein bettelnder Nigerianer auf offener Straße mit seiner eigenen Krücke zu Tode geprügelt (das Opfer ging wegen eines früheren Verkehrsunfalls an einer Krücke). Der Täter, ein italienischer Arbeiter, der mit seiner Verlobten unterwegs war, fühlte sich und seine Begleiterin von den insistierenden Bitten des Opfers belästigt Es geschah auf der Hauptstraße der Kleinstadt, der Tater brauchte vier Minuten. Es war Mittagszeit, viele schauten zu, einige filmten die Tat mit dem Handy. Keiner half.