Mit der Keule des Konkordats

Am 17. Juniüberreichte ein Mitglied des vatikanischen Staatssekretariats dem Botschafter Italiens im Kirchenstaat eine Verbalnote. Sie bezieht sich auf den Entwurf für ein neues Gesetz, das sich noch im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren befindet, „Zan-Gesetz“ („Legge Zan“) genannt wird und sich gegen Gewalt und Diskriminierung im Bereich der sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Selbstbestimmung wendet. Die Note ist höflich im Ton, aber massiv im Inhalt, und fordert eine Neuformulierung („diversa modulazione“) des Entwurfs, der in der vorliegenden Form das Konkordat verletze, welches der katholischen Kirche eine Reihe von Freiheitsrechten einräume, unter anderem auf dem Gebiet der Organisations- und Meinungsfreiheit.

Hieran ist dreierlei bemerkenswert:

  • dass sich der Vatikan in ein laufendes Gesetzgebungsverfahren einmischt,
  • dass er sich dabei auf das Konkordat beruft,
  • und dass er sich gegen ein Gesetzesvorhaben wendet, welches die Diskriminierung von Minderheiten verhindern will – mit der bemerkenswerten Begründung, dass dies die katholische Meinungsfreiheit einschränke.

„Legge Zan“

MANIFESTAZIONE A SOSTEGNO DELLA LEGGE ZAN

Das inkriminierte Gesetzesvorhaben, dessen Urheber der PD-Abgeordnete und LGBT-Aktivist Alessandro Zan ist, steht derzeit zur Beratung im Senat an, nachdem es bereits im vergangenen November von der Abgeordnetenkammer verabschiedet worden war. Es will ein seit 1993 bestehendes Gesetz gegen rassistische Straftaten („Legge Mancino“) durch den Straftatbestand „homotransphober“ Vergehen ergänzen, deren Spielarten der Titel des Entwurfs aufführt: „Maßnahmen zur Prävention und Bekämpfung von Diskriminierung oder Gewaltanwendung wegen der sexuellen Zugehörigkeit (‚sesso‘), des Geschlechts (‚genere‘), der sexuellen Orientierung (‚orientamento sessuale‘), der geschlechtlichen Identität (‚identità di genere‘) und der Behinderung“. Die Einbeziehung der „geschlechtlichen Identität“ zielt auf Personen, die sich mit einem anderen Geschlecht identifizieren, als es ihrer biologischen Ausstattung entspricht („Transgender“). Die vom Gesetzentwurf vorgesehenen Strafen reichen bei Diskriminierung bis zu anderthalb, bei Gewaltanwendung bis zu vier Jahren Gefängnis. Als zusätzliche Neuerung will das Gesetz einen „nationalen Tag gegen Homotransphobie“ einführen, der jedes Jahr am 17. Mai in den Schulen begangen werden soll, um eine „Kultur des Respekts und der Inklusion zu fördern“ – wobei „in den Schulen“ bedeutet: in allen Schulen, seien sie öffentlich oder privat, konfessionell oder nichtkonfessionell.

Der katholische Einspruch

Man mag sich zunächst wundern, warum ein solches Gesetz von einer Kirche missbilligt wird, die doch eigentlich den Anspruch erhebt, auf der Seite der Schwachen zu stehen. Die Verbalnote sagt dazu, die Kriminalisierung der im Gesetz genannten Diskriminierungen habe „negative Auswirkungen auf die Freiheiten, die der katholischen Kirche und ihren Gläubigen durch das geltende Konkordat zugesichert wurden. In der Heiligen Schrift und in der kirchlichen Tradition gibt es über den Unterschied der Geschlechter Aussagen…, hinter der eine Anthropologie steht, welche die Katholische Kirche für nicht verhandelbar hält, da sie göttlicher Offenbarung entspringt“. Dabei garantiere das Konkordat „den Katholiken, ihren Vereinigungen und Organisationen die volle Freiheit der Versammlung, ebenso wie die Freiheit, die eigene Meinung in Wort, Schrift und jedem anderen Medium zu verbreiten“.

Die Verfasser der Verbalnote sehen also im gesetzlichen Schutz für Menschen, die sich nicht in ihr Bild von der gottgewollten Geschlechterordnung fügen, eine Gefährdung katholischer Freiheitsrechte. Dass der Entwurf nicht nur Homosexuelle, sondern auch weitere Varianten sexueller Zugehörigkeit und geschlechtlicher Selbstidentifizierung gegen Diskriminierung und Gewalt schützen will – und damit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte folgt –, dürfte dieses Unbehagen noch vergrößern. Weil darin, so interpretiert es die Soziologin Chiara Saraceno (am 26. 6. in der „Repubblica“), „eine gefährliche Legitimierung der Verflüssigung nicht nur der geschlechtlichen, sondern auch sexuellen Orientierung“ gesehen werden kann, eine „Öffnung zur sexuellen und geschlechtlichen Identität à la carte“

Ob es eine solche gesellschaftliche Tendenz gibt und das Ergebnis einer sozialen Fehlentwicklung ist, und bis zu welchem Punkt die geschlechtliche Identität von der sexuellen Dualität trennbar ist (weil, so ein gegenwärtiges Mode-Argument, alles sowieso nur „Konstruktion“ ist), sind Gegenstände einer Debatte, die auch außerhalb der Kirche geführt wird (siehe Christoph Türcke, „Natur und Gender, Kritik eines Machbarkeitswahns“). Die Frage ist nur, ob dies ein hinreichender Grund ist, um Transgender-Personen von dem Schutz vor Diskriminierung und Gewalt auszunehmen.

Was aber die Autoren der Verbalnote zusätzlich auf die Barrikaden getrieben haben dürfte, ist die Einführung eines nationalen Tages gegen Homotransphobie, der alle – also nicht nur die staatlichen – Schulen zu Aktivitäten verpflichtet, welche der Aufklärung und Einübung von Toleranz denen gegenüber dienen soll, die anders sind als man selbst.

Der Kontext

Der Einspruch der katholischen Kirche zeigt, dass die scheinbar salomonische Entscheidung der italienischen Verfassung, in Art. 7 sowohl dem Staat als auch der Katholischen Kirche in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereichen „volle Unabhängigkeit und Souveränität“ zuzusichern, Konflikte nicht ausschließt. Das Schulwesen ist ein solcher Konfliktbereich – zum Beispiel wenn ein von staatlich erlassenes Toleranzgebot im Bereich der Konfessionsschulen keine Geltung haben soll.

Dabei ist die Frage, ob und inwieweit z. B. Homosexualität eine Sünde ist, längst auch zum Streitpunkt innerhalb der Kirche selbst geworden. Der „liberalen“ Auffassung von Papst Franziskus, dass die umfassende väterliche Liebe Gottes auch Homosexuelle einschließt, stehen Hüter der reinen Lehre wie Joseph Ratzinger gegenüber, die unter Berufung auf die Bibel (v. a. das Alte Testament) in den Homosexuellen Menschen sehen, die sich dem Plan Gottes sündhaft widersetzen. Insofern könnte die vatikanische Verbalnote auch ein Schachzug zur Korrektur der von Franziskus vorgegebenen Linie sein. Eine direkte Antwort hat Franziskus, der sich auf eine schwere Operation vorbereitete, darauf bisher nicht gegeben.  Aber eine indirekte: Vier Tage nach der Übergabe der Verbalnote des Vatikans schrieb er dem amerikanischen Priester James Martin aufmunternd, er bete dafür, dass dieser seine Arbeit fortsetzen könne. Martin ist dafür bekannt, dass er sich für Homosexuelle einsetzt,  was ihn zur Zielscheibe heftiger innerkirchlicher Anfeindungen machte.

Politische Instrumentalisierungen

Im Parlament und in der Öffentlichkeit hat die Verbalnote des Vatikans ein mittleres Erdbeben ausgelöst – so dass der Katholik Draghi, offenbar nach Rücksprache mit Mattarella, im Parlament feierlich erklärte, dass Italien ein „laizistischer Staat“ sei und dies auch bleiben werde. Was wiederum den vatikanischen Staatssekretär zur beschwichtigenden Erklärung veranlasste, dass er keineswegs das Zan-Gesetz blockieren wolle, sondern nur ein paar allzu vage und missverständliche Formulierungen beheben wolle. Woraufhin Salvini, der bekanntlich die Madonna zur italienischen Tribalgöttin und Benedikt XVI zu seinem persönlichen Schutzheiligen ernannt hat, seine Stunde für gekommen hielt: Er, der zunächst gegen das gesamte Gesetz war, erklärte nun, auch dafür zu sein, wenn man nur die paar textlichen Retuschen vornehmen werde, die sich der Vatikan wünsche und für die er gern die Redaktion übernehme. Dies rief einen anderen Politiker auf den Plan, der ihm an Wendigkeit nicht nachsteht: Matteo Renzi. Noch vor wenigen Monaten hatte dessen Fraktion das Zan-Gesetz in der Abgeordnetenkammer unterstützt, und noch vor wenigen Tagen hatte Renzi die Verbalnote des Vatikans zum „Selbsttor“ erklärt. Nun verkündete er plötzlich, dass auch er zu  solchen Retuschen bereit sei, um das Gesetz zu „retten“, und sich bereits mit Salvini geeinigt habe, den Transgender-Bezug wieder aus dem Gesetz herauszuoperieren. Dass er plötzlich das Gesetz „retten“ will, setzt einen von ihm selbst herbeigeführten Notstand voraus: indem sich seine Senatsfraktion aus dem Bündnis verabschiedet, welches das Zan-Gesetz in seiner ursprünglichen Form verabschieden wollte. Die PD weigert sich, sich auf dieses Spiel einzulassen, zumal eine Änderung des Gesetzentwurfs seine endgültige Verabschiedung auf unbestimmte Zeit hinausschieben könnte, weil die Abgeordnetenkammer dann auch noch dieser Änderung zustimmen müsste.

Der Hintergrund: die Präsidentenwahl

Der Eindruck drängt sich auf, dass es Renzi schon gar nicht mehr um die Sache geht. Der „Fatto Quotidiano“ gibt am 6. 7. eine ebenso einfache Erklärung: Renzis Intrigen, die er stolz „macchiavellistisch“ nennt und im Sturz von „Conte2“ gipfelten, haben sein Ansehen in der Mittelinks-Wählerschaft gen Null sinken lassen. Was ihm bleibt, ist mit dem Pfund zu wuchern, das er noch hat: seine Senatsfraktion, mit der er jedes Gesetz zu Fall bringen kann, das noch die Handschrift von Mittelinks und seines verhassten Rivalen Letta trägt. Womit er sich für die Rechte als zentristisches Zünglein an der Waage interessant machen kann.

Aus dieser Perspektive könnten die Ereignisse um das Zan-Gesetz eine Art Generalprobe sein: für die im nächsten Frühjahr anstehende Wahl des Staatspräsidenten. Die Rechte hat die Wahlleute für die einfache Mehrheit, die am Schluss erforderlich sein wird, fast beisammen – aber nicht ganz. Die Renzi-Truppe könnte die Lücke füllen und steht zu Verhandlungen bereit. Berlusconi scharrt schon seit einiger Zeit vernehmlich mit den Hufen. Die Idee schien bisher spinnert, niemand gab ihm bisher eine wirkliche Chance. Aber vielleicht geht’s nun doch? Es gibt ja offenbar nichts, wozu Renzi nicht bereit ist.