Rechte Verdauungsbeschwerden nach US-Wahl

Salvini liebt die Macht, je uneingeschränkter und brutaler sie ausgeübt wird, desto besser. Und es ist eine seiner Primärerfahrungen, damit Erfolg zu haben: Seine Spezialmischung von frömmlerischem Madonnenkult, immer wieder geschürter Migrantenangst und Repression brachte seiner Lega bei den Europawahlen im Mai 2019 Zustimmungswerte von 35 % (und dem von ihm geführten Rechtsblock 50 %). Ein Erfolg, der ihn im Sommer 2019 aber auch zu seinem bisher größten politischen Fehler verführte: die Aufkündigung seines Bündnisses mit der 5-Sterne-Bewegung, da er den Moment für gekommen hielt, nun die „ganze Macht“ fordern zu können.

Der falsche Griff zur Trump-Mütze

Die Liebe zur Macht zeigt sich auch bei der Auswahl seiner politischen Leitbilder. In Europa ist es neben Marine Le Pen vor allem Viktor Orban, mit dem er gern vor dem ungarischen Stacheldraht posiert; auf globaler Ebene sind es Putin und Trump, die er zu geistesverwandten Schutzheiligen erklärte, in der Annahme, damit nicht nur ihre Gunst, sondern auch bei seinen Wählern etwas von ihrem Nimbus auf die eigenen Mühlen leiten zu können. Aber beide Annäherungen standen zumindest längerfristig unter keinem guten Stern. Irgendwann kamen die Pferdefüße zum Vorschein: Putin zeigte seine Gunst in einem durch Ölgeschäfte kaschierten Finanzierungsangebot an die Lega, das mehr Schaden als Nutzen brachte, weil es inzwischen aufgeflogen ist. Und aus Trumps Lager kam Steve Bannon angereist, der Salvini zunächst heftig umwarb – bis die Trump-Administration entdeckte, dass ihr die traditionell guten Beziehungen Salvinis zu Putin doch suspekt waren, zumal sich die in Salvini gesetzten Hoffnungen auf eine schnelle Liquidation der EU vorerst nicht erfüllten. Dass es nicht Salvini, sondern Giorgia Meloni von den Fratelli d’Italia war, die man in diesem Februar in die USA zur republikanischen Traditionsveranstaltung „National Prayer Breakfast“ einlud, werteten viele Beobachter als Indiz, dass die Trump-Administration bei der italienischen Rechten ihren Favoriten gewechselt hatte.

Trumps italienischer Wahlkämpfer

So wirkte es schon fast wie ein verspäteter Anbiederungsversuch, dass sich Salvini in den letzten Tagen vor der amerikanischen Präsidentenwahl eine Pro-Trump-Kappe aufsetzte und sich dann auch noch voller Übereifer an dessen Märchen vom „Wahlbetrug“ anhängte. Wobei er Hasard spielte, weil er die Anzeichen, dass es Trump vielleicht doch wieder schaffen könnte, offenbar einen Moment lang für bare Münze hielt. Umso auffälliger sein Schweigen, seitdem am Samstagnachmittag die Nachrichten über den Wahlausgang in den Swing-States Pensylvania und Nevada kamen – er hatte mit seiner offenen Parteinahme für Trump nicht nur gegen den politischen Verhaltenskodex verstoßen, der in solchen Momenten Zurückhaltung verlangt, sondern auch noch aufs falsche Pferd gesetzt. So dass Giancarlo Giorgetti, der strategische Kopf der Lega, zur Schadensbegrenzung am 8. November in einem Interview verlauten ließ, dass es natürlich wichtig sei, auch mit der „neuen Administration der USA in einen Dialog einzutreten, wenn die Lega dieses Land einmal wirklich regieren will“. Woraufhin auch Salvini beidrehte und verkündete, dass die USA-Wahl einen „großen Beweis für die dortige Demokratie“ darstelle, „die Wähler natürlich stets Recht haben“ und „für die Lega Italien immer ein Freund der Vereinigten Staaten sein wird“. Statt der Rede vom Betrug also Rückzug auf die Feststellung, dass das offizielle Endergebnis noch nicht vorliege – und ansonsten nur noch Beteuerungen der Freundschaft.

Meloni und Berlusconi reagieren verhaltener

Giorgia Meloni, die mit ihren postfaschistischen „Fratelli d’Italia“ (FdI) in der italienischen Rechten immer mehr zu Salvinis Rivalin aufrückt und seit zwei Monaten auch Präsidentin der europäischen Konservativen im Straßburger Parlament (ECR) ist, nutzte die Gelegenheit, um sich durch Betonung der eigenen Seriosität abzugrenzen, wobei man dreimal raten kann, von wem: „Ich glaube nicht, dass Italien mit all diesen lärmenden Cheerleadern eine gute Figur macht. Unsere Sicht der Außenpolitik gründet auf dem nationalen Interesse Italiens und verzichtet auf Parteinahmen von Politfans“. Was der Brüsseler FdI-Mann Carlo Fidanza so variierte: „Zwischen unseren beiden Ländern (Italien und USA, HH) gibt es eine historische Beziehung der Freundschaft, die nicht in Frage gestellt wird. Wenn Biden Präsident wird, werden wir auch mit ihm in einen Dialog eintreten. In der Hoffnung, dass er zu China und zum Mittleren Osten an Trumps Entscheidungen festhält“.

Und Berlusconi, der Dritte im rechten Bunde? Obwohl er hier die schwächste Kraft ist, sieht er sich noch am ehesten durch Trumps Wahlniederlage bestätigt – so dass er sogar den Mut fand, die Ursache in Trumps „Arroganz“ zu suchen, für die dieser nun „bezahlen“ müsse. Für Berlusconis außenpolitischen Berater Valentino Valentini steckt in dem Ergebnis aber auch Ambivalenz: Trump wurde geschlagen, aber dies gelte nicht für den „Trumpismus“, in dem sich die gesellschaftliche Polarisierung in den USA ausdrücke. Umso wichtiger sei es, so Berlusconi, dass Biden die „Notwendigkeit erkannt“ habe, „der Präsident aller Amerikaner zu sein – und ich denke, dass dies für uns alle etwas Gutes sein würde“. Will sagen: Obwohl auch unsere Gesellschaft gespalten ist, schaue ich im Unterschied zu meinen rechten Partnern aufs Zentrum. So hat jeder bei der Reaktion auf die amerikanischen Wahlen vor allem die eigene Innenpolitik im Blick, jeweils auf eigene Weise.

Das Dilemma der Souveränisten

Die souveränistische Doktrin, welche die Außenpolitik der italienischen Rechten dominiert, lebt in einem Widerspruch. Im Grunde ist sie antieuropäisch, weshalb die Annäherungen an Russland, China und nicht zuletzt auch an die trumpistischen USA stets die Tendenz zu nationalen Alleingängen zeigen. Die Versuchung zu solchen Alleingängen ist umso größer, als sie bei diesen Mächten fast immer auf ein herzliches „Willkommen!“ stoßen, unter anderem weil sie in ihnen die Chance sehen, die verhasste EU schwächen, wenn nicht gar aufbrechen zu können. Aber da Italien selbst keine solche Großmacht ist, werden in diesen Alleingängen fast immer auch das Angebot gesehen, von nun an der Vasall einer dieser Supermächte zu werden. Das Schicksal, das dem Versuch der Conte I-Regierung beschieden war, sich im Frühjahr 2019 an dem chinesischen Seidenstraßen-Projekt zu beteiligen, ist lehrreich: Seitdem Trump aus innenpolitischen Gründen zu China immer mehr auf Distanz ging, forderte er ultimativ auch Italien zum Bruch mit Peking auf (zum Überbringen dieser Botschaft kam Pompeo vor wenigen Wochen noch einmal nach Rom). Die überraschenden „Deals“, die Trump auf der internationalen Bühne liebt, wollte er seinen Vasallen nicht zubilligen (quod licet Jovi, non licet bovi). So schlägt Souveränität in ihr Gegenteil um, die Aufforderung zur Unterordnung.

Alles in allem brachten also die Versuche zu einer national-„souveränen“ Außenpolitik nicht den erhofften Erfolg, blieb bei der US-Wahl der Antieuropäer auf der Strecke und scheint die EU aus der Pandemie die EU eher gestärkt hervorzugehen – eigentlich Erfahrungen, die auch die italienische Rechte zurück nach Europa führen könnte. Aber Ideologie bremst Lernfähigkeit, vor allem bei Matteo Salvini. Während Giorgia Meloni und ihrem Klub der europäischen Konservativen täglich neu bewiesen werden muss, dass die EU vielleicht doch im „nationalen Interesse“  liegt, erweist sich Berlusconi als der noch wendigste Kopf. Aber er ist 84, seine Zukunft liegt hinter ihm.

Ein Kommentar

  • Stefan Fink

    Salvini ist ein politisches Auslaufmodell. Zu den dringenden Problemen Italiens fällt ihm außer populistischen Geschwätz nichts ein. Selbst in der Lega wurde er inzwischen auf ‚Rudis Resterampe“ gehandelt. Wohin sich die FI nach dem Ausscheiden Berlusconis entwickelt, wird man sehen. Auffallend ist, daß Matteo Renzi mit seiner Bewegung „Italia Viva“ offen um die Wähler der Forza wirbt. Möglicherweise wird sich daraus eine neue Partei der Mitte – rechts der PD, aber links der Lega – entwickeln.

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