Mit Kreuzen und Baggern

– Wie die Lega versucht, Ferrara eine „neue Identität“ zu verschaffen –

Man stelle sich einmal vor, nach Jahrzehnten einer sozialdemokratisch bestimmten Lokalpolitik wird eine Stadt wie Gelsenkirchen plötzlich im Stadtrat von einer AfD-Mehrheit regiert. Zugegeben, der Vergleich hinkt. Gelsenkirchen ist nicht Ferrara. Die SPD ist keine kommunistische Partei, in deren Tradition die italienische PD mehr oder weniger steht. Das Ruhrgebiet und die norditalienische Emilia sind grundverschiedene Regionen. Zwar verbindet die „Alternative für Deutschland“ mit der italienischen Lega der ruppige Umgangston gegen die politischen Gegner, vor allem gegen Emigranten und deren Helfer, aber ansonsten sind beide Parteien in ihrer Geschichte und in ihrer Wählerklientel nicht deckungsgleich. Trotzdem deutet dieser Städtevergleich für deutsche Leserinnen und Leser ungefähr an, mit welchem Schock in Ferrara das Kommunalwahlergebnis vom Juni 2019 aufgenommen wurde. Nach gut siebzig Jahren (!) wird eine Hochburg von „Centro Sinistra“ (Mitte-Links) mit großer Mehrheit von einem Wahlbündnis erobert, dem auch Vertreter der extremen Rechten angehören. Jahrelang war die Lega in Ferrara eine unbedeutende Splitterpartei, die an jedem Samstag auf der Piazza ihren kleinen Propaganda-Stand aufbaute. Ansonsten nahm sie niemand zur Kenntnis. Berlusconis „Forza Italia“ existierte zwar schon einige Jahre in Ferrara, aber präsentierte von Wahl zu Wahl ein immer lächerlicher werdendes Personal. In Ferrara ließ sich Berlusconi nur anläßlich einer nächtlichen Haartransplantation blicken. Die Stadt wie die gesamte „rote“ Emilia Romagna galt für „Centro Destra“ als vollkommen uneinnehmbar. Zwar machten sich immer die extrem rechten „Fratelli d’Italia“ lautstark in der Stadt bemerkbar, aber bei den Wahlen blieben sie stets auf dem Niveau einer kleinen Splitterpartei.

Im letzten Jahr vor den Kommunalwahlen änderte sich dieses Szenario jedoch von Monat zu Monat immer spürbarer. Das rechte Wahlbündnis fokussierte seine Propaganda auf nur wenige, aber in der Stadt brennend aktuelle Themen. Von dem Zusammenbruch der „Cassa di Risparmio di Ferrara“ waren viele Kleinsparer und Bankkunden aus den sozialen Schichten betroffen, die einmal zur festen Klientel der Pci, später der PD gehörten. Und da Funktionärer der PD auch im Aufsichtsrat der Bank saßen, ergoss sich über sie der ganze Zorn der „kleinen Leute“ in der Stadt. Besonders die Lega schaffte es, die – nicht dramatisch – gewachsene Anzahl von Emigranten in der Stadt mit immer neuen Horrormeldungen extrem zu politisieren. Und entgegen den eher moderierenden Stellungnahmen aus Kreisen der lokalen Polizei wurde die Stadt Ferrara von den lokalen Lega-Ideologen zu einer Hochburg des Drogenhandels und der Gewaltkriminalität erklärt. Die örtliche PD wehrte sich gegen diese vollkommen überzeichneten Gewaltszenarien mit Statistiken und Erfolgsmeldungen der von einem linkskatholischen Sindaco geführten Stadtregierung. Statt aber nach Gründen für die sich immer mehr ausbreitende „Gefühlspolitik der Rechten“ zu suchen, verirrten sich die Parteien und Gruppierungen von „Centro Sinistra“ unentwegt in interne Streitereien. Während jenseits der Parteigrenzen niemand mehr die Differenzen innerhalb des lokalen linken Milieus verstand, bastelten die „Rechten“ erfolgreich an einem Wahlprogramm, das außer der Abwehr von Emigranten und mehr Polizeipräsenz kaum weitere inhaltliche Aussagen enthielt. Vielleicht hätte ein Bündnis der PD mit Gruppen der lokalen Zivilgesellschaft den Sieg der politischen Rechten noch verhindern können. Aber dazu waren die realitätsblinden und machtverliebten Funktionäre der PD nicht bereit. Für sie war dann auch das Wahlergebnis vom Juni 2019 ein einziges Desaster, während die Repräsentanten der „Lista Civica“ mit ihren Warnungen vor einem absehbaren Machtwechsel in der Stadt recht behielten.

Besucht man jetzt nach dem historischen Machtwechsel in Ferrara die Stadt, die einst so stolz auf ihre große Renaissancetradition und jahrzehntelang so selbstbewußt anti-faschistisch war, dann hat sich ‚a prima vista’ wenig verändert. Die Polizeipräsenz ist stark, aber war auch bereits in den letzten „Centro Sinistra“-Jahren zumindest auf den größeren Plätzen immer sichtbar. Die rechte Stadtregierung hat auch das auffällig große Transparent von Amnesty International zur Erinnerung an den in Ägypten brutal ermordeten Giulio Regeni nicht vom Rathaus entfernt. Die städtische Unterstützung des jährlich stattfindenden und sehr erfolgreichen Festivals der linksliberalen Zeitschrift „Internazionale“ wurde nicht gekürzt. Der neu gewählte Lega-Bürgermeister Alan Fabbri (ein enger Salvini-Vertrauter) eröffnete das Festival mit der Erklärung, daß die Stadt sogar stolz darauf sei, für ein verlängertes Wochenende die „Welt zu Gast zu haben“. Aber nur für ein Wochenende, müsste man ergänzen. Und an den wöchentlichen „Friday for Future-Demos der Ragazzi“ nahmen auch schon mal Assessoren der rechten Stadtregierung teil.

Lodi: Das Werk ist vollbracht

Lodi: Das Werk ist vollbracht

Diese scheinbar so selbstverständlich demonstrierte „liberale Weltoffenheit“ des „neuen Ferrara“ kontrastiert aber auffällig mit einer Häufung von symbolpolitischen Aktionen. So sollten in allen öffentlichen Gebäude erkennbar Kreuze als Symbol der christlichen Identität der Stadt angebracht werden. Eine Aktion, die besonders von dem örtlichen Bischof Perego (ein Emigrationsexperte, der in der katholischen Machthierarchie dem Bergoglio-Flügel nahesteht) als eine allzu durchsichtige politische Instrumentalisierung scharf kritisiert wurde. Als Zeichen des entschlossenen Kampfes gegen den Drogenhandel in der Stadt ließ die rechte Stadtadministration die Bänke im Umkreis von Emigrantenunterkünften abschrauben. In der Stadt wurde zwar gegen diese lächerlichen Aktionen „zur Wiederherstellung der Sicherheit“ protestiert. Die Kommune aber ließ sich von der Symbolpolitik nicht abbringen. Während sich Bürgermeister Alan Fabbri als besonders volksnaher Politiker (und wie man ihm auch ansieht, Freund der emilianischen Pasta) auf den verschiedenen Strassen- und Stadtteilfesten zeigt, übernimmt Vizebürgermeister Nicola Lodi die Rolle als rechter „Rambo“ der Stadtregierung. Groß wurden in den örtlichen On-und Offline-Medien Bilder präsentiert, auf denen dieser laut- und muskelstarke rechte Aufräumer als Baggerführer zu sehen war, der ein „Roma-Lager“ am Rande der Stadt den Erdboden gleichmacht. Dass die PD im Stadtrat am Folgetag die Anfrage einbrachte, ob der Vizebürgermeister überhaupt einen Führerschein für das Fahren eines Baggers habe, zeigt, wir hilflos noch die linke Opposition der neuen rechten Mehrheitspolitik in der Stadt gegenübersteht.

Für die Lega gilt Ferrara als ein Modell für die im Januar 2020 anstehenden Regionalwahlen in der einstmals so uneinnehmbar geltende „Emilia Rossa“. Dass auch ihr bei diesen Wahlen eine „historische Wende“ bevorsteht, ist nicht mehr unwahrscheinlich. Niemand hätte noch vor einem Jahr in Ferrara gedacht, dass die politische Rechte auch nur den Hauch einer Chance hätte, diese „rote Festung“ zu erstürmen. Diese Illusion ist restlos zerstört. Vielleicht ist es aber auch eine Chance, jenseits von unerschütterlicher Arroganz der Macht und welk gewordener linker Traditionspolitik nach neuen Wegen alternativer Kommunalpolitik zu suchen. In Ferrara hat die Linke „toccato il fondo‘. Es kann nur besser werden.

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