Ein italienischer Sommer

2. Juni, Vibo Valentia: Soumaila Sacko, Aktivist einer Landarbeitergewerkschaft, wird mit einem Kopfschuss getötet, während er auf einem verlassenen Fabrikgelände nach Blechresten sucht.

11. Juni, Caserta: Zwei junge Asylsuchende aus Mali werden aus einem Auto, das sie eine Zeit lang verfolgt, mit mehreren Pistolenschüssen verletzt. „Während sie schossen, haben sie immer wieder den Namen ‚Salvini‘ gerufen“, berichtet ein Opfer.

20. Juni, Neapel: Wieder Pistolenschüsse aus einem vorbeifahrenden Auto, diesmal gegen einen Küchenchef aus Mali, der sich nach der Arbeit auf dem Nachhauseweg befindet. Er wird am Bauch getroffen.

2. Juli, Forlì: Eine junge Frau aus Nigeria wird durch einen Schuss am Fuß verletzt. Sie kann nicht sagen, ob er aus einem Auto oder einem Moped abgefeuert wurde.

5. Juli, Forlì: Schüsse in den Bauch eines Mannes von der Elfenbeinküste, wieder aus einem Auto.

11. Juli, Latina: Das „Muster“ setzt sich fort. Zwei junge Nigerianer, die an einer Bushaltestelle warten, werden aus einem vorbeifahrenden Auto mit Plastikkugeln angeschossen und verletzt.

17. Juli, Rom: Diesmal kommen die Schüsse von einer Terrasse. Ein Rentner schießt von dort auf eine Gruppe von Roma auf der Straße und verletzt ein 13 Monate altes Mädchen an den Beinen. Es besteht die Gefahr, dass das Kind gelähmt bleibt. Der Täter sagt, er hätte „nur mal das Gewehr ausprobieren wollen“ und auf „keine besondere Person gezielt“.

26. Juli, Vicenza: Wieder Schüsse von einer Terrasse. Sie treffen einen Arbeiter von Kap Verde, der auf einer Mobilplattform Elektroarbeiten an einem Haus durchführt, in den Rücken. Der Täter: „Ich wollte auf eine Taube schießen“.

Am gleichen Tag
wird ein Mann aus Guinea in einem kampanischen Dorf von zwei Italienern grundlos geschlagen. Das Gleiche geschieht mit einem senegalesischen Kellner im sizilianischen Partinico. „Dreckiger Neger, kehr dorthin zurück, wo du herkommst!“ ruft der Angreifer.

29. Juli, Aprilia: Nach einer nächtlichen Verfolgungsjagd durch einen anderen Wagen prallt ein 43jähriger Mann aus Marokko mit seinem Auto gegen einen Baum und stirbt. Die zwei italienischen Fahrer geben an, sie hätten vermutet, der Mann könne ein Dieb sein.

Am Abend des gleichen Tages
werfen in Moncalieri (bei Turin) drei Jugendliche Eier aus einem Auto auf die Diskuswerferin Daisy Osakue, Italienerin mit nigerianischen Wurzeln, die sich zu Fuß auf dem Nachhauseweg befindet. Sie wird ernsthaft am Auge verletzt. Die Täter nennen ihre Aggression „einen Jungenstreich“. Sie hätten das schon ein paar mal gemacht und ihre Opfer immer „wahllos“ gewählt, ein rassistisches Motiv sei nie dabei gewesen. Osakue sagt, in der Gegend gäbe es farbige Prostituierte; sie habe den Eindruck gehabt, man wolle „eine Schwarze“ treffen.

2. August, Pistoia: Buba Ceesay aus Gambia wird von zwei Jugendlichen auf Fahrrädern beschimpft („schwarzer Bastard“) und mit einem Plastikgeschoss verletzt. „Ich habe sie nicht zum ersten Mal gesehen, sie haben mich immer ‚dreckiger Nigger“ genannt, ich habe sie nie beachtet, bin meines Wegs gegangen. Aber jetzt habe ich Angst“, erklärt Buba.

Nacht zum 3. August, Neapel: Ein Straßenverkäufer aus Senegal wird durch einen Pistolenschuss am Bein verletzt. „Es waren zwei Männer auf einem Moped“, erzählt er. „Sie haben dreimal auf mich geschossen, dann waren sie weg“.

„Rassismus? Eine Erfindung der Linken!“

Der Sommer ist noch nicht zu Ende. Und es ist nicht damit zu rechnen, dass die Serie rassistischer Überfälle in den nächsten Monaten aufhören wird. Dafür wird die „Regierung der Veränderung“ schon sorgen, insbesondere ihr Innenminister und oberster Anstifter Salvini „Der Notstand wegen Rassismus ist eine Erfindung der Linken, die Italiener sind anständige Leute. Aber ihre Geduld ist fast am Ende!“ so sein Kommentar, wie immer auf Twitter. Was nicht nur die Angriffe legitimiert, sondern auch die versteckte Drohung enthält, es könnte noch mehr passieren (wenn die „Geduld der anständigen Italiener“ ganz am Ende ist).

Salvini ist derjenige, der den Gebrauch von Waffen „für jedermann“ ermöglichen will (wir berichteten). „Ich wollte doch nur mein Gewehr ausprobieren“ und „Ich habe auf Tauben geschossen!“ rechtfertigen sich die Täter mit unschuldiger Miene. Anständige Leute eben, die nur mal ein bisschen herumballern wollen. Wenn ein Roma-Kind oder ein afrikanischer Arbeiter getroffen wird: Pech gehabt!

Wer noch denkt, dass Salvinis Bündnispartner von der 5-Sternebewegung dazu ein „Gegengewicht“ bilden, täuscht sich. Auch Di Maio, Leader der 5SB und – mit Salvini – Vizepremier, sieht keinen Grund, sich wegen des anwachsenden Rassismus zu sorgen. „Neu ist doch nur, dass über solche Episoden mehr berichtet wird, obwohl die Anzahl der Übergriffe die gleiche ist wie in der Vergangenheit“, erklärt er. Und: „Man darf das Thema Rassismus nicht politisch instrumentalisieren, denn wenn man solche Episoden nutzt, um die Regierung anzugreifen, dann setzt man sich nicht kulturell mit dem Problem auseinander, sondern nimmt man nur die Nachricht, um sie instrumentell gegen die Regierung einzusetzen“. Das ist das Einzige, was Di Maio Sorge bereitet: dass man deshalb „die Regierung angreift“.

Es gibt innerhalb der 5SB ein paar isolierte Stimmen, die – halbherzig und windelweich – Unbehagen und Zweifeln an diesem Kurs äußern. Der größte Teil der Anhänger befürwortet und rechtfertigt ihn, was man an den Umfragen und Kommentaren im Netz feststellen kann.

Wer hält dagegen?

Ja, es gibt Gegenstimmen, trotz des trostlosen Zustands der Opposition. Und sie werden häufiger und lauter. Sowohl in den Parteien – von der PD bis LeU und Boninos „Mehr Europa“ – als auch in der Zivilgesellschaft. Über Savianos Appell („Komplizen oder Rebellen“) haben wir berichtet. Inzwischen hat auch der Philosoph und ehemalige EU-Abgeordnete Massimo Cacciari einen Aufruf veröffentlicht, um bei den Europawahlen im nächsten Jahr der drohenden Allianz der rechtsradikalen Rechte ein Bündnis der demokratischen Kräfte entgegenzusetzen. Nicola Zingaretti, Präsident der Region Latium und Vertreter des linken Flügels der PD, hat vor ein paar Tagen ein „Antirassistisches Manifest“ gestartet, das sich in erster Linie an Vertreter von Regionen und Kommunen richtet, damit sie vor Ort gegen den sich ausbreitenden Rassismus und zur Förderung der Integration inititativ werden.

Auch wichtige Teile der Katholischen Kirche stellen sich gegen den fremdenfeindlichen Kurs der Regierung. „Avvenire“, das Sprachrohr der Italienischen Bischofskonferenz, übt immer wieder harsche Kritik, sei es wegen der Schließung der Häfen für gerettete Flüchtlinge oder Salvinis Diskriminierung der Roma-Minderheit. Die Zeitschrift „Famiglia Cristiana“ brachte neulich ein Titelfoto des Innenministers mit der drastischen Unterschrift: „Vade retro Salvini“.

Nicht zuletzt nutzt Staatspräsident Mattarella verschiedene Gelegenheiten, um – ohne explizit die Regierung zu nennen – die Notwendigkeit einer humanen Zuwanderungspolitik und der Achtung der Menschenrechte zu unterstreichen.

Dies sind wichtige Zeichen, doch sie reichen nicht, um gegen den aggressiven Kurs der Regierung – insbesondere der Lega – eine breite Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Identitäre und Rassisten bleiben noch meinungsführend. Die Zeit drängt.

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