Nach den Kommunalwahlen

Es gibt den Zusammenbruch, wie ihn ein guter Sprengmeister inszeniert: den plötzlich in sich zusammenstürzenden Turm, der nur eine Staubwolke und einen Haufen Steine hinterlässt. Und es gibt den langsamen Zusammenbruch, der wie in Zeitlupe abläuft: Erst bricht hier ein Stück weg, dann beginnt es dort zu knistern, bis es ebenfalls zusammenfällt. Und schließlich erfasst er auch diejenigen Teile, die zunächst noch standzuhalten schienen. Hinterher weiß man, dass auch in diesem Zusammenbruch die gleiche Unabänderlichkeit steckte.

Bei den nationalen Wahlen, die am 4. März in Italien abgehalten wurden, schien zunächst nur ein Turm der Linken zusammenzustürzen. Aber wer hoffte, dass es damit erst einmal genug sein müsse, da es ja immerhin noch Regionen und Gemeinden gibt, in denen sie seit Ewigkeit verankert ist, dem zeigten die Kommunalwahlen von vor 8 Tagen, dass es nur der Anfang war. Der Zusammenbruch hat die gesamte Fläche erfasst.

Der Abstieg von Mittelinks

In der „Repubblica“ vom 26. Juni fasste Ilvo Diamanti vom Demos-Institut die Ergebnisse zusammen, am Beispiel der 109 Kommunen mit mehr als 15.000 Einwohnern, in denen die Wahlen stattfanden. Die 5SB, die vor der Wahl in 4 dieser Kommunen regierte, hat zwar diese Zahl nur knapp (auf 5) erhöht. Dass es dennoch ein Erdrutsch war, zeigt die andere Zahl: In 61 dieser 109 Kommunen gab es vor der Wahl eine Mehrheit von Mittelinks oder Links, nach der Wahl ist dies nur noch in 27 der Fall. Die Rechte, die bisher 20 Bürgermeister stellte, hat jetzt 39. In vielen Fällen traten auch lokale Bürgerlisten an die Stelle der Linken: Ihre Anzahl erhöhte sich von 24 auf 38.

Aber diese Zahlen enthüllen noch nicht alles. Was bisher der politischen Geografie Italiens eine feste Struktur gab, war der „Rote Gürtel“, den die Emilia Romagna, die Toscana und Umbrien bildeten, wo noch bis vor Kurzem Mittelinks mit einer Art Ewigkeitsgarantie in den territorialen und lokalen Strukturen verankert zu sein schien. Wofür es Vorzeichen gab, das ist nun Realität: Diesen Gürtel gibt es nicht mehr. Wo gewählt wurde, siegten fast überall die „Blauen“, d. h. die Rechtskoalition aus Lega, Berlusconis FI und der ultrarechten FdI. Städte wie Massa, Pisa, Siena, Ivrea und Terni, die seit dem Ende des zweiten Weltkriegs von linken Bürgermeistern regiert wurden, sind „blau“ geworden.

Berlusconis Abstieg setzt sich fort

Der Mann aus dem Volk

Der Mann aus dem Volk

Gleichzeitig verschieben sich die Gewichte im Inneren der Rechtskoalition weiter. Noch vor etwa einem Jahr schien Berlusconis Beteiligung an dieser Koalition vielen europäischen Beobachtern eine Art Garantie dafür zu sein, dass sie nicht ganz in antieuropäische Lager abdriften würde. Von Salvini wusste man, dass er zum Lager Le Pen, Orban und Putin gehört, aber Berlusconi konnte damals noch in Brüssel den Spitzenleuten der EVP versichern, ihn „unter Kontrolle“ zu haben. Trotz notorischer Korruptheit schien Berlusconi im Vergleich zu Salvini immer noch das kleinere Übel zu sein. Als das Straßburger Parlament Berlusconis Mann Tajani zum Nachfolger von Martin Schulz wählte, geschah dies auch mit dem Hintergedanken, damit die Position Berlusconis in der italienischen Rechtskoalition zu stärken. Aber es hat nichts geholfen: In ihr hat Salvini längst die Oberhand gewonnen. Seine demagogische Kampagne für die „Sicherheit“ und gegen die „Invasion der Flüchtlinge“ zahlt sich aus, und Berlusconis Versuche, noch ein wenig pro-europäisches Profil zu zeigen, sind immer kleinlauter geworden. Seine früheren Appelle an Salvini, im Namen der „rechten Einheit“ auf einer gemeinsamen (vergleichsweise moderaten) Linie zu bleiben, wenden sich angesichts des realen Kräfteverhältnisses gegen ihn selbst: Nun ist er es, der die Einheit gefährdet, wenn er nicht Salvini Beifall klatscht. Und je mehr er ihm Beifall klatscht, desto weniger ist er noch seine Bremse.

Zubringerdienste der 5SB

Was die Kommunalwahlen erneut zeigten, ist die Existenz eines zwischen Lega und 5SB flottierenden Blocks von Rechtswählern, der vereint jeden anderen Kandidaten aus dem Feld schlagen kann. Die alte These, dass es in Italien eine strukturelle rechte Mehrheit gibt, findet hier ihre konkrete Bestätigung. Dies zeigte sich am deutlichsten wieder bei den Stichwahlen, insbesondere in den Gemeinden, in denen nach der ersten Runde keines der drei Lager (Rechte, Mittelinks, 5SB) die absolute Mehrheit bekommen hatte und sich nun ein „rechter“ und ein „linker“ Kandidat gegenüberstanden. Die Hoffnung, die Selbstdefinition der 5SB, „weder links noch rechts“ zu sein, werde bei einer solchen Konstellation zur Spaltung ihrer Wählerschaft führen, erwies sich erneut als Illusion. Die Analyse der Wählerwanderungen zeigt: Der größte Teil derer, die in der ersten Runde noch die 5SB gewählt hatten und dann nicht einfach zu Hause blieben, entschied sich für den Kandidaten der Rechten, vor allem wenn er zur Lega gehört. Das scheinbar „perverse“ Bündnis, das die 5SB auf nationaler Ebene mit der Lega einging, hat einen sich immer mehr verfestigenden sozialen Unterbau. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass im Bündnis mit Salvini nicht nur der Stern Berlusconis sinkt, sondern – wenn auch langsamer – der Stern (oder die „5 Sterne“) der Grillini. Die „Bewegung“ erweist sich immer deutlicher als Durchlauferhitzer für die Übernahme Italiens durch die Lega.

Marginalisierte Linke

Was am wenigsten die Düsterkeit dieses Bildes aufhellt, ist das linke Lager. Ein Neuaufbruch ist nicht in Sicht. Weder gibt es eine überzeugende Selbstkritik jener „wahren“ Linken, die vor der Wahl ihre Zeit damit verbrachte, Renzi als Hauptfeind zu bekämpfen, und sich damit als blind gegenüber dem erwies, was sich schon lange am Horizont zusammenballte und nun seine konkrete Gestalt gefunden hat. Noch gibt es eine wirkliche Antwort der Renzianer (deren Fraktionschef im Senat, Marcucci, den Wahlausgang z. B. damit kommentierte, dass man doch wenigstens nicht Renzi die Schuld geben könne, der während des Kommunalwahlkampfs abgetaucht war). Diese „Linke“ ist nur noch mit sich selbst beschäftigt. Der letzte Dienst, den sie dem Land erweisen kann, ist ihr Verschwinden.

Salvinis Erfolgsrezept: „innere Sicherheit“

Der neue Innenminister Italiens führt sein Amt als permanenten Wahlkampf. Das Thema, das ihm seine Kantersiege beschert, heißt „innere Sicherheit“. Dass die Angst, die er immer wieder beschwört, in der Hauptsache geschürt ist, ändert nichts an ihrer Wirksamkeit. Als eine Art vertrauensbildende Maßnahme für das italienische Publikum trat schon sein PD-Vorgänger Minniti das Menschenrecht mit Füßen, als er mit den libyschen Clans ein Abkommen schloss, um die afrikanischen Bootsflüchtlinge um jeden Preis von Italien fernzuhalten. Aber die Maßnahme kam zu spät und wirkt nun als Brandbeschleuniger. Die Angst ist zum Selbstläufer geworden und bringt jene Kräfte nach oben, die Minnitis Weg zu Ende gehen, dabei aber die noch radikaleren und einfacheren Lösungen anbieten.

Allerdings reichen die Ursachen für Salvinis Aufstieg weiter zurück. Roberto Saviano weist in seinem ZEIT-Artikel vom 28. Juni noch einmal darauf hin, dass Europa Italien mit dem Problem der Flüchtlinge allzu lange allein ließ. Die Einsicht, dass dies ein „Fehler“ war, beginnt inzwischen, sich auch außerhalb Italiens auszubreiten. Obwohl er nicht die alleinige Ursache war, trug er doch zu ihm bei. Es gibt Fehler, die sich nicht mit einem einfachen „Sorry“ korrigieren lassen. Und die in diesem Fall nicht nur die Flüchtlinge bezahlen, die in den libyschen KZs zusammengepfercht werden. Sondern auch Europa – mit seiner Seele, vielleicht sogar mit seiner Existenz.

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