Partei ohne Mitglieder? Aber „della Nazione“!

Aus der PD, die sich seit der Europawahl in 41 Prozent Wählerstimmen sonnt, kam Anfang Oktober eine Meldung, die dazu auf den ersten Blick nicht recht passen mag: Nachdem sie 2013 noch 539 000 Mitglieder zählte, könnte diese 2014 unter 100 000 sinken. Inzwischen versichert ihre Führung, dass es so schlimm nicht sei, die letzten Zahlen (Ende September) lägen schon wieder bei 240 000, bis zum Jahresende würden noch einige dazukommen. Wenn sich auch „nur“ um eine Halbierung handelt. ein massiver Einbruch ist es trotzdem.

Plötzlicher Absturz

Dass den Parteien ihre Mitglieder wegbröckeln, ist nichts Neues. Die deutsche SPD verlor seit 1990 fast 400 000, die CDU 320 000 Mitglieder. „Die Bindungen lockern sich“, sagen die Parteienforscher. Im Allgemeinen ist es ein schleichender Prozess, der die PD bisher nur etwas heftiger erfasst hat (schon zwischen 2009 und 2013 verlor sie 400 000 Mitglieder). Jetzt aber dieser plötzliche Absturz. Seltsam ist das schon. Eine Partei, die sich beim Wahlvolk im Aufwind befindet, verliert abrupt zumindest die Hälfte ihrer Mitglieder. Wie kommt’s?

Renzi-Kritiker in der PD

Renzi-Kritiker in der PD

Man ist versucht, sofort auf Renzi als den Verantwortlichen zu zeigen. Nur teilweise zu Recht. Schon vor einem knappen Jahrzehnt beschloss die Partei, sich nach außen zu öffnen. Und legte im Statut von 2007 fest, dass die Partei ab sofort „aus Mitgliedern und Wählern“ besteht. An der Auswahl der Kandidaten („Primarie“) sollten auch Millionen Sympathisanten beteiligt werden. Dies würde, so die Hoffnung, der Partei frisches Blut zuführen, von der kommunalen bis zur nationalen Ebene. Es sollte ein Befreiungsschlag sein.

Die „Primarie“

Es gab Momente, in denen es funktionierte. Einer war die Kommunalwahl 2011, als Berlusconi noch fest im Sattel zu sitzen schien. In Mailand, bis dahin eine seiner Hochburgen, veranstaltete die PD „Primarie“, aus denen überraschend ein Außenseiter (Pisapia) als Sieger hervorging. Da er nicht zum Partei-Establishment gehörte, löste er eine Bewegung aus, die auch Jüngere mobilisierte, welche bis dahin allen Parteien mit Distanz gegenüber standen. Diese Bewegung schuf sich ihre eigenen Strukturen und Kommunikationskanäle, trug Pisapia ins Bürgermeisteramt und blieb auch anschließend ein Faktor der kommunalen Politik.

Ein zweiter Moment waren die Vorwahlen, mit denen die PD Ende 2012 die nationalen Wahlen im Februar 2013 vorbereitete. Bersani gewann sie deutlich vor Renzi (1,4 Millionen gegen 900 000). Auch hier gab es eine Unterstützer-Bewegung, die weit über die PD-Mitgliedschaft hinausreichte und die Partei in den Umfragen nach oben katapultierte. Dann das Unerklärliche: Ein sklerotisierter PD-Apparat „vergaß“, wohl in Erwartung des sicheren Siegs, sich bei den folgenden Wahlen auf diese Bewegung zu stützen. Berlusconi, der Italien täglich über alle Kanäle Steuersenkungen versprach, holte auf, Grillos 5-Sterne-Bewegung etablierte sich. Der Vorsprung der PD schmolz fast weg, Letta musste mit Berlusconi koalieren.

Der dritte Moment waren die „Primarie“ für den PD-Generalsekretär, der durch den Rücktritt Bersanis im Sommer 2013 vakant geworden war. An ihnen beteiligten sich 2,8 Millionen, und Renzis Siegeszug begann. Obwohl es „nur“ um den PD-Generalsekretär ging, kämpfte Renzi mit Klauen und Zähnen darum, dass an dieser Wahl auch Nicht-Mitglieder teilnahmen. Vor allem, glaubte man, weil er sich bei ihnen bessere Wahlchancen ausrechnete. Aber wahrscheinlich stand auch schon damals mehr dahinter: das Konzept einer grundlegend transformierten PD, bei der die Mitgliedschaft nur noch eine marginale Rolle spielt.

Ende einer Kultur der Partizipation

Zur Tradition der PD – und ihrer Vorgänger bis zur „Urmutter“ KPI – gehörte einmal das Bewusstsein der „Iscritti“ (Mitglieder), Mitdiskutanten, Mitentscheider und Mitträger der Politik „ihrer“ Partei zu sein. Davon ist wenig geblieben:

  • schlugen die „Primarie“ den Mitgliedern das klassische Mittel parteiinterner Partizipation (Auswahl des Führungspersonals) aus der Hand. Die Weichen dafür wurden, wie gesehen, schon lange vor Renzi gestellt.
  • wird die innerparteiliche Diskussionskultur systematisch unterhöhlt, und mit ihr die Möglichkeit zum Dissens. Hier kommt allerdings Renzi massiv ins Spiel. Er verdrängte seine innerparteilichen Kritiker nicht nur aus der Führung, sondern erfand für sie sogar eine eigene Kindersprache. Ein ehemaliges Mitglied: „Wer in der Partei noch diskutieren will, ist ein ‚Gufo’ (Eule) oder ein ‚Rosicone’ (Nagetier)“.

Transformation zur Wahlmaschine

Die Transformation der PD beschreibt der Politologe Piero Ignazi (4. 10. in der „Repubblica“) aufgrund eigener Untersuchungen so: „Die PD erscheint wie eine flüssige und strukturlose Arena, in der die Orte des Dialogs und der Reflexion auf Räume reduziert werden, in denen Persönlichkeiten aufeinander treffen, und in denen der Mechanismus der plebiszitären Krönung und Legitimierung die Oberhand gewinnt über das kollektive Erarbeiten einer Politik“. Das sei „funktional für eine Führung, die plebiszitären Impulsen folgt.“ Ein wenig schlichter sagt es ein PD-Mitglied: „Die Partei gibt es nicht mehr, nur noch ihre Disziplin“. Kein Wunder, dass die Mitglieder weglaufen.

Der Genosse Mao stellte fest, dass jedes Ding zwei Seiten hat. Gibt es auch hier die gute Seite? Wenn Renzis innerparteilicher Gegner Civati die Verwandlung der PD in eine „Wahlmaschine“ beklagt, antwortet Renzi: Besser eine „Maschine“, die 40 %, als eine, die nur 25 % einfährt. Leider hat dies seinen Preis. Eine Partei, die nicht mehr diskutiert, sondern nur noch akklamiert, wird früher oder später ein Problem mit ihrem politischen Personal und schließlich auch mit ihren Wählern bekommen – mag im Moment der Beifall noch rauschend sein. Für Renzi ist eine solche Erwägung wohl nur „Gufo“-Gekrächze.

Nachtrag: Die Anzeichen mehren sich, dass Renzis Pläne zur Umkrempelung der PD noch weit ehrgeiziger sind. Sie soll eine „Partei der Nation“ werden, die ihre Wähler überall rekrutiert, links und rechts, bei Jung und Alt, Arbeitern und Unternehmern, Katholiken und Laizisten, Selbständigen und Staatsbediensteten. Ein Staubsauger für alles und jedes. Fragt jemand nach dem Profil? Ihr habt es vor eurer Nase, es ist unverwechselbar: Renzi!

2 Kommentare

  • manella schlitter

    funktioniert so lange, solange buerger ihm vertrauen und glauben, dass seine versprechungen, blasereien und enderungen ihre lebensumstaende tatsaechlich verbessern.

    ohne zu sagen, dass erst einmal auf allzu bequemes verzichtet werden muss und gewohntes/privilegien grundlegend geaendert werden muss.

    beginnend damit, es kein kavaliersdeilikt zu finden, die selbstentschuldigungen aufzugeben, warum man rechnungen nicht schreibt. siehe artikel nzz.

  • wie in Deutschland. Aber . ob das gut geht?
    Partei ohne Mitglieder?

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