Das gedankliche Harakiri des Professore Becchi

Grillo ist schwach in Theorie. Diesem Defizit helfen zwei „Experten“ ab: erstens sein esoterischer Freund Casaleggio, zweitens, gelegentlich, Paolo Becchi, Professor für Rechtsphilosophie, der sagt, dass er sich in die Bewegung „verliebt“ hat. Öfters stolpert er über seinen Übereifer, so dass sich Grillo auch schon mal von ihm distanzieren musste (als z. B. Becchi in einer Talkshow erklärte, dass sich niemand wundern müsse, wenn Grillos Anhänger demnächst zu den Waffen greifen). Nach der Netz-Entscheidung für Farage als europäischem Bündnispartner (wir berichteten) wurde Becchi wieder gebraucht. Am 14. Juni postete Grillo folgenden Beitrag von Becchi (den wir fast ungekürzt übersetzen):

Becchi hilft Grillo

Professor Paolo Becchi

Professor Paolo Becchi

„Alles wie gehabt. Kaum lässt die 5-Sterne-Bewegung (5SB) ihre Mitglieder über den nächsten Bündnispartner im Europaparlament abstimmen, beginnt wieder das gewohnte leere Getöse der Medien. Drei Wahlmöglichkeiten waren vorgegeben, während die vierte, für die sich die Presse und das Fernsehen des Regimes zum ‚Wohl’ der 5SB aussprach, nämlich die Grünen, ausgeschlossen wurde. Diese Entscheidung fiel, nachdem letztere … erklärt hatten, dass sie zu einer Verhandlung über eine gleichberechtigte Partnerschaft mit der Bewegung nicht bereit seien. Ich legte bereits an anderer Stelle dar, warum eine Entscheidung pro Grüne verheerend gewesen wäre: Sie stützen die Politik der deutschen Sozialdemokratie, die wiederum Merkels Austerität stützt. Heute schreiben alle Zeitungen, durch die Entscheidung für Farage habe sich die 5-Sterne-Bewegung nach rechts bewegt. Die Zeitungen hätten die kriegstreiberische und austeritätsfreundliche Linke der Grünen (Fettdruck original) vorgezogen, oder die nostalgische von Tsipras… Ein Bündnis mit diesen Gruppen hätte aber die Stoßkraft des Bruchs mit der gegenwärtigen institutionellen EU-Architektur geschwächt; den die Bewegung anstrebt. Es ist kein Zufall, dass es genau dies war, was die Medien des Regimes wollten. Denkt darüber nach. Aber ihr Spielchen hatte keinen Erfolg.

Eine letzte Reflexion zu Rechts und Links, d. h. zu politischen Kategorien, die inzwischen jeden Sinn verloren und a-historisch geworden sind. In vielen europäischen Ländern regieren jetzt traditionelle Rechte und Linke zusammen, und sie werden sich auch im nächsten europäischen Parlament und in der Kommission zusammentun, ohne dass noch irgendjemand versteht, welcher Vertreter welchem Lager angehört. Einfach deshalb, weil es zwischen ihnen keinen Unterschied gibt und sie zu allem die gleiche Meinung haben, da sie sich jener allumfassenden neoliberalen Ideologie unterwerfen, die den Westen in die Katastrophe führte. Kann man die verschiedenen sozialistischen Parteien Europas noch ‚links’ nennen? Ist die deutsche SPD links, welche die Hartz-4-Reformen auf den Weg brachte, die so brutal sind, dass sie nicht einmal die Thatcher hervorgebracht hätte? Kann man die griechische Pasok ‚links’ nennen, die im Namen von der Troika auferlegter neoliberaler Prinzipien ihr Volk vernichtete? Ist die italienische PD des Job act ‚links’? Sind die Civati und die SEL ‚links’, die revolutionäre Reden halten, aber immer bereit sind, zu ihrer Führungspartei zurückzukehren, wenn ihr wichtige Stimmen fehlen?

Die Herausforderung der Zukunft ist der Konflikt zwischen Souveränität und negativem Internationalismus; der den größten Teil der in den letzten Jahren auf nationaler Ebene erreichten Rechte und sozialen Fortschritte aushöhlt. Wie Jacques Sapir in einigen seiner letzten Artikel sehr gut darlegte, ist das Konzept der Souveränität, wenn wir es ideologisch verorten wollen, ‚links’, zumindest wenn die italienischen Medien des Regimes nicht auch die französische Revolution zu einem ‚rechten’ historischen Prozess erklären. In diesem epochalen Kampf zwischen Souveränität und negativem Internationalismus hat die traditionelle ‚Linke’ ihre historische Wählerschaft verraten. Jetzt müssen Post-Ideologen kommen, die sich den Helm aufsetzen und an die Front gehen. Paolo Becchi

Eine merkwürdige Rechtfertigung

Dazu nur ein paar Anmerkungen. Offensichtlich versucht Becchi, die Absage der Grünen an Grillo – die man ja auch als Niederlage interpretieren konnte – in einen Sieg umzudeuten. Zunächst mit der Rückkehr zur alten Leier, dass „die sowieso alle gleich sind“. Dann die Immunisierung von Grillos Anhängerschaft gegen die veröffentlichte Meinung: Die Medien, die sich über das neue Bündnis aufregen, sind Medien des „Regimes“ (so einst auch deutsche Nazis über die freie Presse). Außerdem weiß Becchi, dass die Grünen nicht nur die SPD stützen (und die Merkel), sondern auch „kriegstreiberisch und austeritätsfreundlich“ sind. Eine Zusammenarbeit wäre sogar „verheerend“ gewesen. Was die Frage aufwirft, warum sich Grillo dann überhaupt mit der Idee einer gemeinsamen Fraktionsbildung an sie wandte.

Kurios ist Becchis Beweisführung zur Überholtheit der Kategorien von Links und Rechts (Grillos Mantra). Dass gegenwärtig in vielen europäischen Parlamenten „linke“ und „rechte“ Parteien zusammenarbeiten und der neoliberale Zeitgeist auch manche sozialdemokratische Partei erfasste, ist nicht zu bestreiten. Da aber Becchi dies in scheinbar kritischer Absicht konstatiert (die traditionelle Linke habe ihre Wählerschaft „verraten“ usw.), ist es für die These, die Unterscheidung von Links und Rechts sei „sinnlos“, gerade kein Beweis – was wäre sonst die Grundlage seiner Kritik?.

Zum Schluss wird die Beweisführung vollends absurd: Die Zukunft werde der „epochale Kampf zwischen (nationaler) Souveränität und negativem Internationalismus“ bestimmen, wobei letzterer die Erosion national erkämpfter Rechte und sozialer Fortschritte meint. Becchi beruft sich dabei auf ausländische Autoritäten wie den französischen Ökonomen Jacques Sapir, der seit Jahren versucht, den Euro-Gegnern von Ultralinks bis Ultrarechts die Argumente zu liefern. Aber genau hier beginnt Becchis theoretisches Harakiri. Denn er begründet damit ja nicht nur, warum man mit den Grünen keine Fraktionsgemeinschaft bilden solle. Sondern eben auch, warum man es stattdessen mit Farage tun solle.

Farages Programm

Da wird die Frage spannend, wer dieser Farage ist. Schauen wir auf sein Programm: Schluss mit dem Multikulturalismus, sofortige Ausweisung aller Illegalen, Stopp der „unkontrollierten Einwanderung“, Ausstieg Großbritanniens aus der EU und der europäischen Menschen- und Bürgerrechtskonvention, Abschaffung aller Steuern und Abgaben für die Märkte und Finanzmärkte, Erhöhung des Militärbudgets um 40 %, Streichung aller Ökosteuern und staatlichen Investitionen in Klimaschutz und Windparks (der Klimawandel sei nicht bewiesen), mehr Investitionen in die Kernenergie. Und ganz nebenbei auch noch die Ablehnung der Homo-Ehe.

Becchi feiert die Verteidigung der „nationalen Souveränität“ gegen den „negativen Internationalismus“, und Farage, der künftige Bündnispartner, stellt mit seinem Programm klar, wie das gehen soll. Obwohl mich Becchis Argumentation immer noch verwirrt: kein Bündnis beispielsweise mit den Grünen, weil sie neoliberal angefressen seien, stattdessen aber ein Bündnis mit Farage – der ein Ober-Neoliberaler und glühender Thatcher-Anhänger ist. Könnte es sein, dass Becchi, Grillo, Casaleggio viel weniger gegen den Neoliberalismus haben, als sie vorgeben? Und dass ihr Feldzug gegen die Kategorien „Links“ und „Rechts“ vor allem dem Ziel dient, den Teil der eigenen Anhängerschaft, der sich noch als „links“ versteht, auf das Bündnis mit der Rechten einzuschwören?

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