Wer CDU wählt, wählt Berlusconi

Seit etwa zwei Jahrzehnten stellen mir meine deutschen Freunde, Bekannten, Kollegen und sogar mein Zahnarzt die Frage: „Sag mal Marcella/Sagen Sie mal Frau Heine, kannst Du/können Sie – als Italienerin – mir erklären, wie es möglich ist, dass die Italiener jemanden wie Berlusconi wählen?“ Eine berechtigte Frage (von der Verallgemeinerung „die Italiener“ mal abgesehen), die ich mir selbst immer wieder stelle. Ich versuche stets, sie nach bestem Wissen und Gewissen zu beantworten. Und verweise auf die alten „italienischen Krankheiten“ – verbreitete Illegalität und grassierende Korruption auch bei den „kleinen Leuten“ -, auf Berlusconis immense Medienmacht und seine unbestreitbare Fähigkeit, Menschen mit einfachen populistischen Botschaften einzulullen (gegen die Steuern, die Kommunisten, den Staat, der die Bürger ausplündert, die Gerichte, welche Menschen ungerecht verfolgen), auf die Neigung vieler Italiener, Regeln zu umgehen und Institutionen als Feinde zu betrachten, und auf manches mehr, garniert mit historischen Verweisen auf die Entstehung des italienischen Nationalstaates.

Ich frage zurück

Parteifreunde

Parteifreunde

Unzureichende Versuche, das weiß ich. Die nicht nur bei meinen Gesprächspartnern, sondern auch bei mir selbst ein Gefühl von Unzufriedenheit und Unzulänglichkeit hinterlassen. Doch in letzter Zeit ist bei mir ein neues Gefühl hinzu gekommen: das wachsende Bedürfnis, die an mich gestellte Frage an die Absender zurückzuschicken. Wie das? Ganz einfach: Ich möchte fragen, wie es überhaupt möglich ist, dass die CDU/CSU, die mächtigste politische Kraft in der Europäischen Volkspartei, dort immer noch mit Berlusconi und seiner Forza Italia gemeinsame Sache macht. Mit einem rechtskräftig verurteilten Steuerbetrüger, der noch etliche Prozesse wegen schwerer Delikte (u. a. „Abgeordnetenkauf“ und Förderung der Prostitution Minderjähriger) am Hals hat. Mit einem Populisten, der gegen die italienische Verfassung, die Unabhängigkeit der Justiz und das höchste Verfassungsorgan in der Person des Staatspräsidenten täglich über alle Fernsehkanäle und ihm gehörenden Zeitungen hetzt. Der Mann, der die Bundeskanzlerin mit einer so zotigen sexistischen Beleidigung titulierte, dass ich sie gar nicht wiedergeben mag. Und der vor ein paar Tagen bei einer Pressekonferenz behauptete, dass „die Deutschen die Existenz der Konzentrationslager leugnen“. Mit diesem Mann und seiner Partei bildet die CDU/CSU eine gemeinsame Fraktion, sie sind „Schwesterparteien“.

CDU und EVP legitimieren einen Vorbestraften

Und man komme mir jetzt bitte nicht damit, der Regierungssprecher hätte die Aussagen Berlusconis als „absurd“ zurückgewiesen und die Empörung in CDU und EVP sei groß. Paperlapapp. Was wirklich die CDU interessiert, sagt sie selbst mit unverblümten Zynismus:

„Es gibt viele Unstimmigkeiten zwischen Italien und Deutschland (gemeint ist: zwischen B. und CDU, M.H.). Die jetzt im Wahlkampf nicht angesprochen werden können, aber natürlich sind Berlusconis Worte (über die Deutschen und die KZ, M.H.) unpassend“. So Andreas Schwab, CDU-Abgeordneter im EU-Parlament. „Unpassend“ ist wirklich gut.

Elmar Brock, ebf. EU-Abgeordneter, CDU: „Nach den Wahlen soll entschieden werden, ob Forza Italia aus der EVP ausgeschlossen wird“. Vor den Wahlen ist das kein Thema, denn CDU/EVP wollen die Wählerstimmen für Berlusconis Partei schön mitkassieren. Die ca. 20 Sitze, welche FI vermutlich mitbringt, sind für die EVP entscheidend, um größte Fraktion zu bleiben. Andernfalls „könnte die EVP auf den zweiten Platz nach den Sozialdemokraten landen und Martin Schulz EU-Präsident werden“ (EU-Abgeordnete Ingeborg Grässle). Eine solche Ungeheuerlichkeit gilt es zu verhindern. Übrigens: auch nach den Wahlen wird die EVP sich hüten, FI aus ihrer Fraktion auszuschließen, sondern sich weiterhin – wie bisher – ihrer Stimmen im EU-Parlament bedienen. Das Argument, das jetzt gegen ihren Ausschluss spricht, wird auch dann gelten. Mit dem gleichen unschuldigen Augenaufschlag.

Unter rechtlichen und moralischen, aber auch politischen Gesichtspunkten ist das die Ungeheuerlichkeit. Denn statt ihn auszugrenzen, liefern die EVP und in ihr die CDU/CSU Berlusconi – dem in Italien wegen seiner Straftaten das aktive und passive Wahlrecht aberkannt wurde – damit die dringend benötigte zusätzliche politische Legitimation. Dass dahinter das reine machtpolitische Kalkül steht, macht die Sache nicht besser, im Gegenteil. Denn während zumindest ein Teil der italienischen FI-Wähler so deppert ist, wirklich an die Unschuld ihres Leaders zu glauben, wissen CDU und EVP ganz genau, dass der Kerl ein Ganove ist – obendrein antieuropäisch (und „antideutsch“). Und behalten ihn trotzdem in der eigenen Partei.

In letzter Konsequenz bedeutet dies: Wer bei der bevorstehenden Europawahl CDU/CSU wählt, wählt auch Berlusconi. Wie ist das bloß möglich, frage ich ? Ich dachte, die CDU sei eine gesetzestreue demokratische Partei? Und christlich auch noch? Und wie kann es sein, dass sich die Deutschen – über Parteigrenzen hinweg – darüber kaum aufregen? Ich bitte dringend um Antwort. Von Lesern, Freunden, Bekannten, Kollegen. Und von meinem Zahnarzt.