Der Anti-Renzi-Reflex

Was die Linken unter meinen italienischen Bekannten und Freunden vereint, ist ein Reflex: Kommt die Rede auf Renzi, wenden sie sich angewidert ab. „Kein Unterschied zu Berlusconi“, sagen die einen. Andere setzen noch einen drauf: „Schlimmer als Berlusconi“. Suchst du linke Stallwärme, bist du gegen Renzi.

Es ist wahr, am gegenwärtigen italienischen Ministerpräsidenten ist viel auszusetzen: wie er seinen Parteigenossen und Amtsvorgänger Letta abservierte; die Zugeständnisse an Berlusconi beim neuen Wahlgesetz; die Abschaffung des Senats zu Lasten demokratischer Repräsentanz; der theoretische Abschied vom Gleichheitsideal. Trotzdem: Die Gleichsetzung Renzis mit Berlusconi ist falsch. Es zeigt die Blindheit aller Sektierer (nicht nur Italiens), außerhalb des eigenen Kleingartens keine Unterschiede sehen zu können.

Reformpakt ohne Berlusconi?

Wie wird die Gleichsetzung begründet? Am schwersten wiegt der Vorwurf, Renzi habe den vorbestraften Berlusconi durch den mit ihm geschlossenen Reformpakt ohne Not wieder ins politische Spiel gebracht. Dies ist unbestreitbar – auch wenn daraus nicht notwendig folgt, dass Renzi und Berlusconi Brüder im Geiste seien. Aber wer meint, Renzi hätte die gleichen – oder bessere – Reformen auch ohne diesen Pakt zustande bringen können, täuscht sich. Dazu sind Bündnispartner nötig, und die theoretische Alternative, ein Pakt mit Grillos 5-Sterne-Bewegung, hat sich längst erledigt. Die verbleibende Alternative wäre der Verzicht auf Strukturreformen gewesen. Mit einem Wahlgesetz, das nur die Minimalanforderungen des Verfassungsgerichts nach seinem Verdikt über das „Porcellum“ erfüllt hätte: in Gestalt eines Verhältniswahlrechts, welches die PD und Berlusconis FI nach Neuwahlen in eine erneute Koalition gezwungen hätte. Und die Fortexistenz des „perfekten Bikameralismus“, der das Land zusätzlich unregierbar macht. Das Vertrauen in die Demokratie, in Italien sowieso nur noch residual, wäre gänzlich verspielt worden.

Zwei Populisten?

Ein zweites Argument ist die Personalisierung der Politik, seitdem sich Renzi zum Generalsekretär der PD wählen ließ. In der Tat: Mit seiner permanenten Medienpräsenz kann Renzi Berlusconi durchaus das Wasser reichen – wo Berlusconis Meisterschaft bislang darin bestand, jede Woche „eine neue Sau durchs Dorf zu treiben“, tut es Renzi täglich (was B. und seine Anhänger sichtlich irritiert). So sagen Renzis linke Kritiker, auch er sei ein „Populist“. Er ist es, aber eben doch anders als Berlusconi: nicht korrupt, nicht mit der Mafia verbandelt, nicht vorbestraft. Sie sagen, auch Renzi sei undemokratisch und autoritär. Er hat solche Charakterzüge – sein Umgang mit Letta war politische Unkultur. Aber anders als B. stellte er sich in der PD zweimal den „Primarie“, an denen sich Millionen von Menschen beteiligten. Um aus ihnen zuerst als Verlierer, dann als Gewinner hervorzugehen.

Zwei Rechte?

Renzi unterschreibt das "Dekret Anschläge"

Renzi unterschreibt das „Dekret Anschläge“

Ein drittes Argument besagt, er sei wie B. „ein Rechter“. Seine (wenigen) theoretischen Äußerungen scheinen es zu belegen. Ebenso seine Herkunft: Er ist jung und gehört zum katholischen Flügel der PD, anders als diejenigen, die den langen Weg von der alten KPI zum heutigen Reformismus auf dem Buckel haben, die sich auch heute noch oft für das Salz der Erde halten und Emporkömmlinge wie Renzi mit Misstrauen betrachten. Obwohl es Renzi war, der bald nach seinem Amtsantritt als neuer Generalsekretär die PD in die Familie des europäischen Sozialismus führte – er als Katholik, aber gegen den Widerstand eines Teils seines „katholischen“ Flügels. Und obwohl die Regierung gerade ein Dekret herausbrachte, das ebenfalls nicht in die „rechte Schublade“ passt: Die Öffentlichkeit hat ab sofort Zugang zu den Untersuchungsakten über die terroristischen Anschläge, die Italien in den 60er, 70er und 80er Jahren erschütterten und damals allzu oft den Roten Brigaden oder Anarchisten zugeschoben wurden. Es scheint eher das Werk von Neofaschisten gewesen zu sein, vielleicht mit den Geheimdiensten als Drahtziehern.

Ein kleines Stück Hoffnung

Auch Renzis sonstige Taten passen nicht in das Klischee des „Rechten“. Für den von ihm versprochenen Wachstumsschub verringerte er trotz knapper Kassen nicht nur die Unternehmenssteuern auf Arbeit (was die Industrieverbände forderten), sondern für etwa 10 Millionen Lohnabhängige auch die Einkommenssteuer (in der Hoffnung, damit den internen Konsum anzukurbeln). Es war bisher Berlusconis Markenzeichen, seine Wahlkämpfe mit dem Versprechen von Steuersenkungen zu führen, mit dem feinen Unterschied, damit auch die höchsten Einkommen zu beglücken – ohne sich um die Finanzierung zu kümmern. Im Vergleich dazu verkörpert Renzi schon fast soziale Gerechtigkeit – auch wenn dabei die 4 Millionen Geringverdiener leer ausgingen, deren Einkommen so niedrig ist, dass sie nicht einmal mehr unter die Einkommenssteuer fallen (die Grenze liegt bei 8000 € im Jahr).

Renzis bisherige Taten eignen sich weder zur Dämonisierung noch zur Glorifizierung. Politik ist die Kunst, schmutzige Pfannen auch mit schmutzigem Wasser zu säubern. Man bekommt sie dadurch nicht wirklich rein, aber – vielleicht! – etwas reiner. Guido Crainz schrieb am 23. April in der „Repubblica“, dass Renzi bisher vor allem eines geschafft habe: „ein embryonales Wiederaufkeimen von Hoffnung und Erwartung in einem Land, das immer desillusionierter und verbitterter geworden ist“ – um so „den Bürgern wieder ein Stück Demokratievertrauen und Zukunftshoffnung zu geben“.

Nachbemerkung:
Vorgestern, am 25. April, feierte Italien den Jahrestag der Befreiung von der Nazi-Herrschaft. Auch diesmal wieder gab es an vielen Orten den üblichen Streit: ob in die Feierlichkeiten das Partisanenlied „Bella Ciao“ aufgenommen werden dürfe. Der Präfekt von Pordenone, einer Provinzstadt in Friaul, verbot es aus Gründen der „öffentlichen Ordnung“. Wohl in dem Glauben, gegenwärtig wehe der Wind wieder von rechts. Er hat sich getäuscht: Ein Sturm der Entrüstung brach los, auch von der Regierung kam keine Unterstützung. Der gedemütigte Präfekt nahm seine Entscheidung wieder zurück.

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