Ärger in den eigenen Reihen

Als Letta am 2. Oktober seine Vertrauensabstimmung gewonnen hatte, meinte er, nun sei „der Berlusconismus am Ende“. Die Euphorie war voreilig. B. verlor damals ein Gefecht, nicht die Schlacht.

Das waren noch Zeiten: Berlusconis Ritterschlag für Alfano

Das waren noch Zeiten: Berlusconis Ritterschlag für Alfano

B. will um jeden Preis Senator bleiben. Der Ruby-Prozess geht in die zweite Runde, und nun wurde gegen ihn auch ein Verfahren wegen Abgeordnetenkaufs eröffnet. Seine Anwälte sagen, ohne den Schutz seines Mandats drohe ihm sogar Untersuchungshaft. Also setzt er für den Erhalt dieses Mandats alles aufs Spiel, auch die italienische Regierung.

Die juristische Front

Es ist ein Kampf an allen Fronten. Zunächst an der juristischen: Die gesetzliche Grundlage seines Mandatsentzugs, das sog. „Severino-Gesetz“, wurde noch unter Monti verabschiedet. Es soll das Parlament von den Kriminellen zu befreien, die in den letzten Jahrzehnten in die Politik einsickerten: Wer rechtskräftig zu mehr als 2 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, darf 7 Jahre lang nicht Abgeordneter sein. Da B. wegen Steuerbetrugs zu 4 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, ist die Konsequenz eigentlich klar. Aber sie hat noch einen Haken: B.s Mandatsverlust bedarf noch der Zustimmung des Senats, dessen Mitglied er ist. Eigentlich nur eine Formsache. B. meint jedoch, dass er über dem Gesetz steht. Also auch über diesem.

Nun treten B.s hochbezahlte Anwälte auf den Plan, die ihn schon aus anderen (wenn auch nicht allen) Prozessen rausgepaukt haben. Vor allem Zeit gewinnen, lautet ihre Devise, und sie glauben einen Dreh gefunden zu haben: Das „Severino-Gesetz“ sei nicht rückwirkend auf Straftaten vor der Verabschiedung des Gesetzes anzuwenden. Falls es hierzu eine andere Rechtsauffassung gebe, könne man das Problem ja dem italienischen Verfassungsgericht oder dem Europäischen Gerichtshof vorlegen. Bis das entschieden sei, müsse der Senat seine Abstimmung über B.s Mandatsverlust aufschieben. Das würde auf jeden Fall Jahre dauern.

Eine Argumentation, welche PdL und Lega, aber nicht die Senatsmehrheit beeindruckt, die endlich eine dem Gesetz genügende Entscheidung herbeiführen will.

Die politische Front

Damit verlagert sich der Kampf an die politische Front. B.s Propagandamaschine verkündet, die PD schiebe alle ach so begründeten juristischen Zweifel beiseite, weil sie ihn um jeden Preis ausschalten wolle. Was sei das für eine Koalition, in der einer den anderen politisch enthaupte?

B. versucht also, die Fortexistenz der Regierung an den Erhalt seines Mandats zu binden. Um die PD unter Druck zu setzen, oder um dem Mandatsverlust durch den Sturz der Regierung und Neuwahlen (Arm in Arm mit Grillo, der dies sowieso anstrebt) zuvorzukommen. Wofür sich B. schon jetzt ein weiteres Alibi bastelt: Wegen der mit ihm verbundenen Steuerlast sei der Haushaltsentwurf für 2014 unannehmbar. Der Populist geht schon mal in Stellung.

B.s innerparteiliche Opposition

Für den Aufbau dieser Drohkulisse gibt es aber seit dem 2. 10. eine Komplikation. Erstmals stößt B. auch in den eigenen Reihen auf Widerstand, in dessen Mittelpunkt Angelino Alfano, Lettas Innenminister und Stellvertreter, und andere PdL-Minister stehen. Nicht dass sie B. wegen seiner Korruptheit usw. zu kritisieren wagten. Auch weiterhin jubeln sie ihm als Führer zu, wettern gegen seine gerichtliche „Verfolgung“ und beklagen seinen drohenden Mandatsverlust. Aber in einem Punkt versagen sie ihm die Gefolgschaft: Weder wenn B. seinen Senatorensitz verliert, noch wegen des Haushalts 2014 wollen sie die Regierung stürzen. Bereits am 2. 10. zeigte sich, dass die Gruppe stark genug ist, um auch gegen B.s Willen der Regierung Letta eine knappe Mehrheit zu sichern.

B.s „Falken“ schreien „Verrat“. Insofern mit Recht, als die Gruppe um Alfano B.s Drohung mit dem Regierungssturz die Grundlage entzieht. Also muss B. sie unschädlich machen. Was nicht ganz einfach ist, denn Alfano ist noch Generalsekretär der PdL und B.s Stellvertreter.

Der Demontage-Versuch

Heute sieht man, dass B. schon am 2. Oktober mit Alfanos Demontage begann, als er im letzten Moment seine Fraktion aufforderte, Letta doch das Vertrauen auszusprechen. Viele sahen darin B.s endgültiges Waterloo. Zu Unrecht: Erst einmal hielt er damit seine Truppen beisammen und die Dissidenten unter Kontrolle. Denn trotz ihres punktuellen Eigensinns ist ihre Loyalität zu Berlusconi immer noch groß. Auch aus ganz pragmatischen Gründen: Ohne B.s Charisma und Geld würden sie nicht weit kommen. Das Zentrum um Monti und Casini zerfällt, und die „christliche“ Europäische Volkspartei, in deren Schoß man flüchten könnte, hält sich wie immer opportunistisch zurück.

Noch ist Alfano zu stark, als dass B. ihn durch ein einfaches Machtwort ausschalten könnte. Deshalb marginalisiert er ihn schrittweise, wofür ihm zwei Hebel zur Verfügung stehen:

  1. Erstens die immer wieder beschworene „Einheit der Partei“. Der schwache Punkt Alfanos, der sich ja auch nur als „diversamente berlusconiano“ definiert, ist die panische Angst vor dem öffentlichen Bruch mit B. Bei jedem Schritt muss Alfano beteuern, an der Einheit der Partei und B.s Führerschaft nicht rütteln zu wollen.
  2. Zweitens die Neugründung von „Forza Italia“, mit der sich B. seiner Partei, die ihm in den letzten Jahren etwas entglitten ist, wieder bemächtigt. Alle Positionen, die andere in der PdL erreichten, werden damit „auf Null gestellt“ und können in der „Forza Italia“ nur mit B.s Zustimmung besetzt werden.

Das verändert die innerparteilichen Machtverhältnisse, obwohl sich Alfano – wenig aussichtsreich – mit der Forderung zu wehren sucht, dass es auch in „Forza Italia“ Vorwahlen geben müsse. In der Regierung Letta bleibt er zwar stellvertretender Ministerpräsident, aber in der Partei verliert er erst einmal sein Amt als B.s Stellvertreter und Generalsekretär. B. ist klug genug, Alfanos Wiederwahl in „Forza Italia“ nicht völlig auszuschließen, aber knüpft dies an Bedingungen. Die wichtigste, wie könnte es anderes sein: bedingungslose Unterwerfung. In wenigen Wochen, wenn der Senat über B.s Mandatsverlust abstimmt (zu B.s Ärger öffentlich), muss Alfano das tun, was er gerne vermeiden würde: sich entscheiden. Zwischen dem Regierungssturz oder dem Bruch mit B.