„Operation Freiheit“

Auf die Gefahr hin, unsere Leserinnen und Leser zu ermüden oder gar zu nerven: Es gibt wieder Neues zu berichten über die großen (Misse)Taten von Berlusconi. Diesmal handelt es sich um einen, wie ich meine, besonders gravierenden Fall.

Die Untersuchungsrichterin Amelia Primavera hat entschieden, einem Antrag, den die Staatsanwaltschaft von Neapel bereits vor einigen Monaten stellte, zu folgen und ein neues Strafverfahren gegen B. einzuleiten. Anklage: Er soll in der Zeit der Prodi-Regierung, die damals im Senat nur über eine Mehrheit von wenigen Stimmen verfügte, Abgeordnete des Prodi-Lagers mit hohen Geldsummen bestochen haben, damit sie die Seite wechseln – und somit die Mittelinks-Regierung gestürzt werden konnte. Was im Januar 2008 dann auch geschah: Bei einer Vertrauensabstimmung fehlten Prodi im Senat 5 Stimmen, er musste zurücktreten. Bekanntlich gewann B. die darauf folgenden Neuwahlen und übernahm wieder die Regierung.

De Gregorio mit seinem Geldgeber

De Gregorio mit seinem Geldgeber

3 Mio. Euro statt 30 Silberlinge

Als „Koordinator“ des Abgeordnetenkaufs agierte – nach eigenen Aussagen – der Senator De Gregorio, der von Di Pietros „Italia dei Valori“, die zur Regierungskoalition gehörte, zu B.s PdL überlief. Den Kontakt zwischen ihm und B. soll der „Strippenzieher“ Valter Lavitola geknüpft haben, ein zwielichtiger Journalist, der gegenwärtig eine Haftstrafe verbüßt. Für B. tätigte er bereits diverse dubiose „Geschäfte“, womit er ihn später unter Druck zu setzen versuchte. Gemeinsam mit seinem Auftraggeber B. ist auch er jetzt wegen Abgeordnetenbestechung angeklagt.

Der geständige De Gregorio legte vor den Justizbehörden den Ablauf der Operation detailliert dar. Er gab an, von B. 3 Millionen Euro bekommen zu haben: nicht nur für sich, sondern auch, um anderen Abgeordneten den Seitenwechsel schmackhaft zu machen. „Ich erörterte mit Berlusconi eine Sabotagestrategie (gegen die amtierende Prodi-Regierung, MH) mit dem Ziel, ihm im Parlament Stimmen zu verschaffen“ gab er zu Protokoll. Wobei „verschaffen“ für „kaufen“ steht.

Schon zu Beginn der Ermittlungen bestritt B. – wie üblich – alles und behauptete, die neapolitanischen Staatsanwälte hätten De Gregorio zu einem falschen Geständnis gezwungen, um ihn, Berlusconi, politisch fertig zu machen. Was De Gregorio kategorisch bestreitet.

Die alte Litanei

Jetzt wiederholt der bereits vorbestrafte B. die bekannte Litanei von der „politischen Verfolgung durch die Justiz“. Staatsanwälte und Richter – von Mailand bis Rom, von Rom bis Bari, von Bari bis Neapel – hätten sich gegen ihn verschworen. Er sei der Mann mit den meisten Prozessen am Hals in der ganzen Geschichte Italiens. Womit er übrigens durchaus Recht haben könnte. Das spricht allerdings weniger für den finsteren Vernichtungswillen von Richtern und Staatsanwälten, sondern eher für die Systematik und Vielfalt der kriminellen Handlungen, die ihm angelastet und zum Teil auch schon letztinstanzlich nachgewiesen wurden: Amtsmissbrauch, Steuerhinterziehung und Steuerbetrug, Bilanzfälschung, Förderung der Prostitution Minderjähriger, Richterbestechung und jetzt Abgeordnetenbestechung.

Neues Verfahren verschärft die Spannungen

Dass B. sich weiterhin erdreistet, dem Staatspräsidenten, der Regierung, der PD und den (halben) Kritikern in den eigenen Reihen zu drohen und sie unter Druck setzen zu wollen, hat seinen Grund sicherlich in seiner von Geld und Macht deformierten Persönlichkeit, seinem völligen Mangel an Rechtsbewusstsein und natürlich auch in der schlichten Angst vor drohenden Sanktionen. Aber – und das ist das politische und kulturelle Dilemma – auch darin, dass ein Drittel der italienischen Wähler trotz alledem (einige sogar deswegen) treu zu ihm steht. Was die letzten Umfragen bestätigen.

Für die PD ist das neue Strafverfahren gegen B. eine weitere Belastungsprobe: Sie bildet eine Regierungskoalition ausgerechnet mit dem Mann, der angeklagt ist, die von der PD getragene Prodi-Regierung durch Abgeordnetenbestechung zu Fall gebracht zu haben. Die PdL ließ damals im Senat die Sektkorken knallen. Da muss sich eigentlich jedem in der PD – auch hartgesottenen Anhängern der „larghe intese“, der großen Koalition – der Magen umdrehen.

Übrigens: Von De Gregorio wissen wir, dass der von langer Hand vorbereitete Regierungssturz durch Bestechung intern den schönen Namen „Operazione Libertà“ trug, „Operation Freiheit“. Was auf eindrucksvolle Weise klärt, was B. mit dem Begriff „Freiheit“ meint, den er so gern benutzt: die Freiheit zur Bestechung. Dass er seine bisherige Partei „Popolo della Libertà“, „Volk der Freiheit“ nannte, hätte damit einen überraschend konkreten Sinn.