Die rote Ilda

„Wir haben kein Verständnis für die Art und Weise, mit der Dr. Boccassini in diesen Jahren die Prozesse gegen Präsident Berlusconi geführt hat. Aber angesichts der nicht zu duldenden Drohung müssen sich alle rückhaltlos solidarisch erklären und die Verstärkung der Sicherheitsmaßnahmen verlangen“. Dies erklärte steif B.s Verteidiger Nicolò Ghedini, nachdem B.s Anklägerin einen neuerlichen Brief mit unmissverständlicher Botschaft erhalten hat: zwei Gewehrkugeln im Briefumschlag, samt Nachricht: „Ti ammazziamo“, wir machen dich kalt.

Staatsanwältin Ilda Boccassini

Staatsanwältin Ilda Boccassini

Ilda Boccassini wird die „rote Ilda“ genannt, weil sie die Natur mit einem imposanten Schopf roter Haare ausstattete. Sie ist Staatsanwältin in Mailand, Spezialgebiet Mafia (und nicht zu verwechseln mit einer anderen „roten Hilde“, die ebenfalls Staatsanwältin war, eine berüchtigte sogar, aber das war in den 50er Jahren in der DDR, wo sie Jagd auf Feinde des Sozialismus machte).

Im Fadenkreuz der Mafia…

Mit Giovanni Falcone, dem obersten Antimafia-Jäger, verband Ilda Boccassini nicht nur die Arbeit, sondern auch Freundschaft. Sie verlor ihn, als Falcone, seine Frau und drei Leibwächter vor 21 Jahren auf der Autobahn bei Palermo von einer riesigen Sprengladung zerrissen wurden. Dass die Cosa Nostra damals auch die Mailänder Staatsanwaltschaft ins Visier nahm, wurde klar, als in Mailand ein Lager mit Bazookas entdeckt wurde, die gegen sie eingesetzt werden sollten. Von Anfang an ging es auch um die Boccassini. Die ersten Nachrichten mit gezeichneten Särgen kamen 1988, als sie die Geldwäsche der sizilianischen Cosa Nostra in Norditalien untersuchte und auf deren Verbindung zu Politikern der Sozialistischen Partei stieß. Das Gedächtnis der Mafia ist lang. Seit 25 Jahren lebt Boccassini mit bewaffneter Eskorte und gepanzerten Fahrzeugen. Kein Weg, der nicht genau geplant und immer wieder aus Sicherheitsgründen umgeplant wird.

Nun ist sie in ein weiteres Fadenkreuz geraten: in das von Berlusconi. Wo es um Machtmissbrauch, Mafia und Korruption geht, ist auch B. nicht weit, und so wurde sie schon in verschiedenen Verfahren zu seiner Anklägerin, zuletzt und am spektakulärsten im Ruby-Prozess. Gegen seine Prozesse wehrt sich B. seit zwei Jahrzehnten mit der gleichen Erzählung: Er ist unschuldig, aber die „roten Togen“ hassen und verfolgen ihn, um ihn, den „die Vorsehung“ Italien schickte, im Auftrag der „Kommunisten“ zur Strecke zu bringen. Es mag sein, dass B. selbst seiner Erzählung glaubt – dass es Menschen gibt, die institutionelle Werte wie das Recht verkörpern, ihn unter Anklage stellen und nicht käuflich sind, übersteigt seinen Horizont.

…und nun auch von Berlusconi

Dieses Erklärungsmuster ist ebenso pathologisch wie prinzipiell unwiderlegbar. Wird es oft genug wiederholt, findet es sein Publikum. B. ließ für seine Fernsehsender eine Schmonzette produzieren, die Ruby als Madonna und ihn selbst als ihren Retter stilisiert. Dann gab er durch einen Tabubruch die „feindlichen“ Staatsanwälte auch symbolisch zum Abschuss frei: durch den Sturm auf den Mailänder Justizpalast, für den er die gesamte PdL-Fraktion anrücken ließ. Womit sich eine Schleuse öffnete: Seitdem hat sich bei der Boccassini der Eingang von Drohbriefen vervielfacht. Im Internet brach ein wahrer shit storm von Schmähdrohungen los, bei deren Absendern oft nicht zu unterscheiden ist, ob sie zur Mafia oder zu B. gehören.

Askese des Rechts

So gepanzert sie lebt, so verhält sich Boccassini auch gegenüber dieser Schmutzlawine. Sie kommentiert sie nicht. Je wüster die Unterstellungen, desto asketischer ihre Sachbezogenheit. 2007 deckte sie einen Bombenanschlag auf, den Anarchisten (die „Neuen Roten Brigaden“) gegen B.s Mailänder Büro planten. Kürzlich vertrat sie die Anklage in einem Fall, der einen von B.s Buchhaltern betraf, zu dessen Aufgaben es gehört, B.s Edelnutten das monatliche Salär zu zahlen. In diesem Fall war der Buchhalter das Opfer: Eine Erpresserbande kam auf die Idee, gerade ihn für ein paar Tage zu entführen, um aus B. Lösegeld herauszuholen, in der Annahme, er würde sich das etwas kosten lassen. Hätte es die Boccassini darauf angelegt, B. mit pikanten Details öffentlich zu vernichten, hätte sie es in diesem Verfahren tun können. Sie verzichtete. Ihr geht es nur darum, Verstöße gegen das Recht zu ahnden, diese Grenze überschreitet sie nicht. Dafür aber ein strenger Strafantrag im Ruby-Prozess: 5 Jahre wegen Amtsmissbrauch, 1 Jahr wegen Förderung der Prostitution Minderjähriger, macht zusammen 6 Jahre. Und Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf Lebenszeit.

Wer sich über die Verkommenheit der italienischen Verhältnisse auslässt, sollte nie vergessen, dass es auch dieses Italien gibt. Ein Italien, das nicht nur aus Tausenden von „Volontari“ besteht, die sich uneigennützig für das Gemeinwohl engagieren. Sondern auch aus einer Justiz, die zum großen Teil einfach nur ihren Job erledigt, ohne Ansehen der Person und oft auch unter Einsatz des Lebens. Allerdings in einer Welt, die meilenweit von jeder Rechtsstaatlichkeit entfernt ist.

Nachbemerkung: Inzwischen mehren sich in B.s Umgebung die Stimmen, die Regierung Letta zu stürzen, wenn im Juni eine Verfassungsbeschwerde von B.s Verteidigern gegen das Mediaset-Urteil (4 Jahre Gefängnis, 5 Jahre Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte) zurückgewiesen werden sollte. Es ist der Versuch, das gesamte italienische Rechtssystem zu erpressen. Ein ähnlicher Versuch läuft gegenüber dem Gericht, das demnächst im Ruby-Prozess das (erstinstanzliche) Urteil sprechen wird und in dem Boccassini die Anklage vertritt. Sowohl diesem Gericht als auch dem Verfassungsgericht wünschen wir die gleiche Unbeirrtheit wie Ilda Boccassini.

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