Integrationsministerin mit starken Nerven

Cécile Kyenge, die neue italienische Ministerin für Integration, war noch nicht vereidigt, als der Mailänder Vertreter der Lega Nord, Matteo Salvini, schon tönte: „Die hat uns gerade noch gefehlt! Wir werden Totalopposition gegen die Integrationsministerin betreiben, sie symbolisiert die heuchlerische Gutmenschenpolitik der Linken“. Das war der Auftakt. Über das Netz – vor allem auf rechtsradikalen und neonazistischen Internetseiten, aber nicht nur dort – werden kübelweise rassistische Beleidigungen und Beschimpfungen gegen Frau Kyenge verbreitet („Dreckige Negerin“, „Kongolesiche Äffin“, „Widerliches Wesen“, „Schickt sie sofort zurück nach Afrika”). Der für seinen Rassismus bekannte Europaabgeordnete der Lega, Borghezio, titulierte sie als „Ministerin Bonga Bonga” (soll wohl eine Anspielung auf B.s Bunga Bunga sein) und nannte ihre Beauftragung „eine Scheißentscheidung“.

Die neue Integrationsministerin Kyenge

Die neue Integrationsministerin Kyenge

Eine erfolgreiche Einwanderungsgeschichte

Ministerin Kyenge ist 1983 im Alter von 19 Jahren aus der Demokratischen Republik Kongo nach Rom gekommen, um dort Medizin zu studieren. Nach dem Abschluss einer Ausbildung als Augenärztin zog sie nach Modena, wo sie ihre Praxis hat. Seit über 20 Jahren engagiert sie sich gegen Rassismus und für die Integration und Gleichberechtigung der Zuwanderer. Sie gehört der PD an, wo sie zunächst auf Stadtteil- und dann auf Provinzebene Beraterin für Integrationsfragen war. Sie ist die nationale Sprecherin der Bewegung „Erster März“, die jedes Jahr an diesem Tag einen „Einwandererstreik“ organisiert, ist Präsidentin der interkulturellen NGO „Dawa“ und hat bei der Ausarbeitung der „Weltcharta der Migranten“ 2011 in Gorée mitgewirkt. In ihrem Geburtsland Kongo hilft sie bei der Koordination von Gesundheitsprojekten. Man würde sich bei jedem Minister und jeder Ministerin der neuen Regierung soviel Kompetenz und Praxiserfahrung wünschen.

Die beiden Präsidenten von Abgeordnetenkammer und Senat, Ministerpräsident Letta und – immerhin – auch sein Vize Alfano (PdL) haben die rassistischen Angriffe auf Frau Kyenge scharf verurteilt. Letta und Alfano erklärten, sie seien „stolz darauf, Ministerin Kyenge in der Regierungsmannschaft zu haben“. Auch aus der Zivilgesellschaft kommen Solidaritätserklärungen und unterstützende Botschaften. Das ist so selbstverständlich wie wichtig. Genauso wichtig ist es, der Ministerin dadurch den Rücken zu stärken, dass sie bei der Umsetzung ihrer Vorhaben zur Integrationsförderung konkrete Unterstützung erfährt: vom Kabinett, von zivilgesellschaftlichen Organisationen und nicht zuletzt von den im Parlament vertretenen Parteien.

Kyenges Prioritäten

Die Integrationsministerin hat ihre Prioritäten genannt: zu allererst ein neues Staatsangehörigkeitsgesetz, das den in Italien geborenen Kindern von Einwanderern die italienische Staatsbürgerschaft zuerkennt. Sie weiß hier nicht nur die PD (und SEL), sondern auch Staatspräsident Napolitano auf ihrer Seite, der schon lange eine solche Reform anmahnt. Gegenwind kommt hingegen vom Bündnispartner PdL: Eine solche automatische Einbürgerung komme nicht in Frage. Zu Kyenges Agenda gehören auch die Änderung weiterer diskriminierender Zuwanderungsbestimmungen im so genannten Bossi-Fini-Gesetz, die Verbesserung der Zustände und Verkürzung der Aufenthaltsdauer in den Erstaufnahmelagern für Flüchtlinge (derzeit bis zu 18 Monaten) und die Förderung des interkulturellen Dialogs.

Frau Kyenge reagiert auf die rassistischen Beleidigungen mit Gelassenheit und Würde. Italien habe eine lange Tradition der Willkommenskultur, an die wolle sie anknüpfen, damit die Ressourcen genutzt werden können, die in der Zuwanderung stecken. Sie selbst sehe ihre eigene bikulturelle Identität als Chance und Bereicherung. Und übrigens – erklärt sie selbstbewusst – sei sie keine „farbige“, sondern eine „schwarze“ Ministerin. Integration verlange nach einem Konsens quer zu den politischen Lagern, betont sie, und in allen Parteien („auch in der Lega Nord“) gebe es Menschen, mit denen ein Dialog möglich ist. Eine echte Optimistin, könnte man sagen, und wahrscheinlich braucht sie auch solchen Optimismus, um ihren schweren Job zu erledigen.

Wer die Integrationsministerin – ruhig, eher wortkarg, nachdenklich und gleichzeitig zuversichtlich – bei ihren ersten medialen Auftritten erlebt hat, erfuhr jedenfalls einen (kleinen) Trost: So bedenklich und problematisch die neue großen Koalition auch sein mag, Ministerin Kyenge ist da ein Lichtblick.

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