Re Giorgio

Der vierte Urnengang bei der Neuwahl des Staatspräsidenten endete mit dem Offenbarungseid der PD: Sie verfügt zwar über den größten Block von Wahlmännern und –frauen, aber ist unfähig, sich auf einen Kandidaten zu einigen. Weder auf einen Kompromisskandidaten mit der PdL, in Gestalt von Marini, noch auf einen Kandidaten wie Romano Prodi, der eigentlich die „Seele“ der PD verkörpern sollte. Als Bersani den PD-Abgeordneten den Namen Prodi vorschlug, gab es Standing ovations. Doch in der Wahlkabine kam es anders: ca. 100 PD-Abtrünnige missbrauchten die Präsidentschaftswahl für interne „Abrechnungen“, ließen Prodi scheitern und versetzten damit Bersani den Gnadenstoss. Wir wissen nicht, wer danach als erster die zündende Idee hatte, wie die Karre wieder aus dem Dreck zu fahren war. Wir wissen nur: Am Samstag rutschten alle Parteiführer auf Knien zu Napolitano, um zu flehen: Mach’s noch mal, Giorgio. Einmalig in der italienischen Nachkriegsgeschichte, denn als die Verfassungsväter den Staatspräsidenten mit einer 7-jährigen Amtszeit ausstatteten, dachten sie offenbar nicht daran, dass einer von ihnen seine Amtszeit auf 14 Jahre verlängern könnte. Und bisher hat es auch keiner gemacht.

Unfreiwilliger König

Unfreiwilliger König

Auch für Napolitano eigentlich eine abwegige Idee. Denn immerhin ist er 87, wenn auch geistig präsent und noch bei halbwegs guter Gesundheit. Aber gerade weil er seine 5 Sinne beisammen hat, weiß er, dass er mit der Aussicht, noch mit 94 im Amt zu sein, nicht nur Hazard mit dem Schicksal, sondern auch mit den Gesetzen der Biologie spielt. Aber wenn jemand meint, in Italien gebe es keine Preußen, dann kennt er nicht Napolitano

Bersani weint, Berlusconi grinst

Napolitano weiß, dass es kein Zuckerschlecken sein wird. Er wird bald 90, und das politische Personal, mit dem er in den nächsten Jahren weiter zusammenarbeiten muss, kennt er zur Genüge. Angefangen mit Berlusconi, den er jahrelang als Ministerpräsidenten ertragen musste und der ihm allein schon durch sein Vulgarität auf die Nerven gegangen sein dürfte. Trotzdem sagt Napolitano ja, an diesem Samstagvormittag, während noch der 5. Wahlgang läuft, der wieder zu keinem Ergebnis führt. Noch am Samstagabend wird er im sechsten Wahlgang gewählt, mit 738 Ja-Stimmen von insgesamt 1007 Wahlleuten, also mit deutlich mehr als zwei Dritteln. Als das Endergebnis bekannt wird, brandet der Beifall hoch, die Mehrheit der Wahlleute erhebt sich (nur die Grillini bleiben sitzen), eine Welle der Erleichterung überflutet alle.

Man musste schon genau hinsehen, um feine, aber wichtige Unterschiede zu erkennen. Bersani, der gerade von seinem Amt als Generalsekretär der PD zurückgetreten ist, verbirgt sein Gesicht hinter seinen Händen und weint. Während auf Berlusconis Gesicht zunächst ein fast ungläubiges Lächeln erscheint, das dann zu einem breiten Grinsen wird.

Die Weichenstellung zum „breiten Einvernehmen“

B.s Grinsen hat seinen Grund. Hinter dem Respekt, den nun alle Welt Napolitano erweist, verschwindet fast die dahinter stehende Weichenstellung, welche die eigentliche Hauptsache ist. Denn Napolitano hat – knallhart – seine Kandidatur an eine Bedingung geknüpft: „Ich mache es nur, wenn auch Ihr (also PD, PdL und Montis Zentrum) Euch Eurer Verantwortung stellt“. Im Klartext heißt das die Bildung einer „Regierung des breiten Einvernehmens“, zu der er sie seit Monaten auffordert. Jetzt lautet das Motto: „Schluss mit den Spirenzien, alles hört auf mein Kommando. Sonst läuft nichts“. Die Bedingung ist das Bündnis, das die PD um jeden Preis vermeiden wollte – um noch etwas von der Veränderung zu retten, welche sie vor der Wahl versprach und die Italien dringend nötig hätte. Wie wenig begeistert die Anhängerschaft der PD von einem solchen Deal mit B. ist, zeigte sich bereits zu Beginn der Präsidentenwahl, als die PD noch versuchte, im Einvernehmen mit B. Marini durchzusetzen. Nun soll das Einvernehmen noch weitergehen, und die Namen, die jetzt als wahrscheinliche Kandidaten für den nächsten Ministerpräsidenten gehandelt werden, bestätigen es. Zum Beispiel Amato, der ehemalige Sozialist und Craxi-Freund (auch B. ist ein Ziehkind von Craxi). Eine Regierung mit Alfano von der PdL und Enrico Letta als letzter noch verbliebener Führungsfigur der PD als Stellvertreter.

Aufgrund der Eigentore, welche die PD bei dieser Präsidentenwahl geschossen hat, könnte man fast meinen, dass sie es darauf angelegt hat. Das einzige Mal, wo ihre Wahlleute kompakt abstimmten, war im sechsten Wahlgang, als sie ihre politische Autonomie wieder an Übervater Napolitano abgaben. Der sie dann auch prompt in einen Laufstall mit Berlusconi steckte, Dauer unbestimmt. Wir sagen „Übervater“ mit Bedacht, denn man könnte die italienischen Ereignisse der letzten Wochen auch so lesen: Der italienische Staatspräsident, dem laut Verfassung eigentlich nur die Funktion eines Reservemotors zukommt, hat einen gewaltigen Machtzuwachs erfahren. Das bestätigt Napolitanos starke Antrittsrede, die er am Montag vor dem Parlament hielt und in der er den Parteien heftig die Leviten las. Nun aber erwarte er von ihnen ein rasches Befolgen seiner Empfehlungen. Andernfalls … : Die Mahnung blieb unbestimmt: entweder sein Rücktritt oder Neuwahlen.

Das politische System Italiens bewegt sich in Richtung auf ein Präsidialsystem. De facto ist dieser Übergang schon vollzogen. Als ewiger Optimist könnte man sagen: Solange B. noch nicht Staatspräsident geworden ist, alles halb so schlimm. Eine riskante Hoffnung.

1 2 3 4 5 10