Noch 8 Millionen wählten Silvio B.

„Es verstört die Eliten, dass ein Mann, der… alles verkörpert, was sie für moralisch und ästhetisch verwerflich halten, noch eine so beträchtliche Gefolgschaft haben kann. Aber er spricht von Steuern, und sie merken nicht, dass Millionen Italiener sich von den Steuern drangsaliert fühlen. Sie mokieren sich über ‚Rückzahlung der IMU’ (Immobiliensteuer) und merken nicht, dass sie ein harter Schlag war… Er redet über Umsatzsteuer, und sie merken nicht, dass ihretwegen viele Klein- und Kleinstunternehmen schließen – und Berlusconis Anhänger nie und nimmer jemanden wählen werden, der sich nicht um die Umsatzsteuer kümmert. Eher werden sie sich enthalten oder Grillo wählen… Er spricht von Steuerfahndung („Equitalia“, die in Italien als besonders rücksichtslos gilt, A. d. R.), und sie merken es nicht. Einige von der Linken… müssten eigentlich wissen, was Klasseninteressen sind“ (Pierluigi Battista, „Corriere della Sera“, 26. 2. 2013).

„Aufgrund ihrer Geschichte haben die Italiener nie den Staat geliebt, sie betrachten ihn als Fremdkörper oder sogar Feind. So wollen sie auch keine Regeln. Sie sind schlau und einfältig, wie jedermann, aber vielleicht noch etwas schlauer und einfältiger. Der Esel mit Flügeln fasziniert die Einfältigen, auch wenn sie ihn nie fliegen sahen. Für die Schlauköpfe zählt vor allem das Geschäft mit ihrer Stimme…, und zwar nicht so sehr gegen Geld, sondern gegen Gefälligkeiten. Mafia und Camorra leben vom Geschäft mit der Stimme, aber auch die Klientelen, Bruderschaften und Korporationen wachsen und gedeihen mit diesem Geschäft“ (Eugenio Scalfari, „Repubblica“, 3. 3. 2013).

Nur ein relativer Sieg

Zunächst einmal: Eine wundersame Wiederauferstehung B.s hat es bei dieser Wahl nicht gegeben. In der „Repubblica“ vom 9. März rechnete der Politologe Diamanti vor: Gegenüber der Wahl von 2008 sank der Stimmanteil der PdL von 37 auf 21,6 % (bzw. 23,6 %, rechnet man den PdL-Satelliten „Fratelli d’Italia“ hinzu). Von Wiederaufstieg lässt sich nur reden, wenn man die Umfragewerte der PdL von 2012 zugrunde legt (17 %). Aber da schien sogar B. die PdL aufgegeben zu haben – ohne ihren Leader ist die PdL nun einmal ein Nichts. Dass sie trotzdem ein Wiederaufsteiger erscheint, verdankt sie vor allem den unerwarteten Verlusten der PD, die vor wenigen Monaten noch wie der sichere Sieger aussah. Der Einbruch von Grillo mit seinen 25 % kostete beiden Seiten Substanz. Die PdL ist kein absoluter, sondern nur ein relativer Wiederaufsteiger.

Trotzdem wählten ihn immer noch so viele

Das ist erklärungsbedürftig genug. Sie taten es trotz Gerichtsprozessen, Korruption, Eskapaden mit Minderjährigen, schmierigen Witze über Frauen (ihn wählten vor allem italienische Hausfrauen). Und auch trotz seiner überdeutlich gewordenen wirtschafts- und finanzpolitischen Inkompetenz – es war nicht Bunga-Bunga, das ihm Ende 2011 den Hals kostete, sondern der außer Kontrolle geratene Spread. Warum?

Eine befriedigende Antwort habe auch ich nicht. Das sozio-demografische Profil der PdL-Wähler gibt wenig her: etwas höherer Frauenanteil, niedrigerer Bildungsgrad, häufigerer Besuch der Heiligen Messe, aber kein signifikanter Unterschied zwischen Stadt und Land. Die Erklärungen müssen woanders liegen. Mit großem Forschungsaufwand wurde z. B. bewiesen, dass B. von Leuten gewählt wird, die abends vor seinen Kanälen hocken und sich leichte Kost und nacktes Fleisch anschauen. Aber was ist hier Ursache, was Wirkung?

PdL Anhänger: "Silvio, du bist größer als Julius Cäsar"

PdL Anhänger: „Silvio, du bist größer als Julius Cäsar“

Besser gebrochene Versprechen als keine

Die ersten beiden Zitate liefern Annäherungen. Seit Monti B. ersetzte, verschlechterte sich die Lage all derer noch weiter, auf die der Staat Zugriff hat: Für sie gab es höhere Steuern und Gebühren, späteren Rentenbeginn, Rentenkürzungen. Während die Linke die Steuern gerechter und wachstumsfreundlicher verteilen will, verspricht B. immer wieder – ohne es allerdings je zu halten – flächendeckende Steuersenkungen. Auch Monti meinte, schon das berühmte Licht am Ende des Tunnels zu sehen – stattdessen schließen immer mehr Betriebe, liegen immer mehr Leute auf der Straße. Die Gefahren des Spread scheinen (vorerst) abstrakt, aber die Rentenkürzung, die zerstörte Lebensplanung wegen hochgesetzter Altersgrenzen, die Wohnungssteuer sind konkret. Wie die Umsatzsteuer, deretwegen der kleine Selbständige seinen Betrieb schließt, weil er seine Beschäftigten und Zulieferer nicht mehr bezahlen kann. „B. versucht wenigstens, sich darum zu kümmern“, ist der Tenor.

Ich habe zwei Bilder vor Augen. Das eine ist mein Freund A., ein Maurermeister mit einem kleinen Betrieb, der mit mir gern über Politik redet. Ich ahne, dass er Berlusconi wählt, der ihm für die nächsten Jahre Entlastung verspricht. Für Scalfari (s. o.) würde er zu den „Schlauköpfen“ gehören. Auch A. weiß, dass Berlusconi korrupt und verhurt ist, aber es regt ihn nicht sonderlich auf. Zumal er dagegen die Geschichte vom Top-Genossen auf Lager hat, der öffentlich gegen Steuerhinterziehung wettert und sich privat seine Villa schwarz bauen ließ. „Auch die Linken machen mir nichts mehr vor“. Das zweite Bild ist die sympathische M., die mit ihrer Familie den dörflichen Supermarkt betreibt. Nach der Wahl von 2008, die B. gewann, erklärte sie uns leise: „Hoffen wir, dass es jetzt besser wird“. Für sie überziehen Obrigkeiten das Land wie Regen, Sturm und Sonnenschein. Sind kleine Erleichterungen in Sicht, muss man sofort zugreifen. Und sich ansonsten wegducken. Dass der Spread den Staatshaushalt zerstören konnte, ist ein Zusammenhang, der um drei Ecken geht. Politische Versprechen werden sowieso nicht gehalten. So nimmt M. es auch nicht übel, wenn ihr B. jetzt zum dritten Mal das Blaue vom Himmel verspricht. Er zeigt wenigstens Verständnis – M. ist so bescheiden, dass sie schon dafür dankbar ist. Und daran sogar ein bisschen Hoffnung knüpft.