Mafia im Norden

Die Mailänder Staatsanwältin Ilda Boccassini ist eine beeindruckende Person. Von der organisierten Kriminalität in ganz Italien gefürchtet und von B. besonders gehasst und verunglimpft, geht sie seit Jahren unerschütterlich ihrem Job nach: professionell, akribisch, schweigsam – und erfolgreich.

Boccassini war eine enge Vertraute des von der Mafia ermordeten Richters Giovanni Falcone, von ihm hat sie viel gelernt. Was Roberto Saviano als „Boccassini-Methode“ bezeichnet, ist eigentlich die „Falcone-Methode“. Ein Vorgehen, das sich in erster Linie auf geduldige, kapillare eigenen Recherchen von Beweismitteln stützt – und nie allein auf Abhörprotokolle oder Aussagen von sog. „Pentiti“. Und das sich mit äußerster Zurückhaltung gegenüber den Medien verbindet. Boccassini gibt nie Interviews oder persönliche Erklärungen. Ihre öffentliche Auftritte beschränken sich auf offizielle Pressekonferenzen, bei der sie „qua Amt“ über Ermittlungsergebnisse berichtet.

In enger Zusammenarbeit mit Staatsanwälten aus Kalabrien hat sie jetzt bei der Aufdeckung mafioser Aktivitäten in Norditalien zwei wichtige Etappen erreicht. Die von ihr im Juli 2010 begonnene Operation „Infinito“, welche die Geschäfte der N’drangheta (kalabresische Mafia) in Mailand und Umgebung aufs Korn nahm, endete vor ein paar Tagen mit der erstinstanzlichen Verurteilung von 110 Angeklagten. Durch illegale Wetten, „Exklusivrechte“ beim Geschäft mit Spielautomaten, Geldwäsche, Schutzgelderpressung und Wucher zu Lasten von Geschäftsleuten und Kleinunternehmern brachten kalabresische Clans vor allem das Hinterland von Mailand unter ihre Kontrolle. Fast gleichzeitig mit diesem spektakulären Urteil erließ jetzt Boccassini neue Haftbefehle. Diesmal geht es um die Verbindungsleute aus Politik und Verwaltung, die von der in Norditalien tätigen N’drangheta mit Wählerstimmen, Vergnügungsreisen in Mailänder Luxushotels (Prostituiertendienste inklusive) und sonstige „Vergünstigungen“ bedacht wurden. Den Verhafteten – u. a. ein Mitglied des Regionalparlaments von Kalabrien (PdL), zwei Richter und ein Offizier der „Guardia di Finanza“ – wird Unterstützung der organisierten Kriminalität, Korruption und Verletzung von Amtsgeheimnissen vorgeworfen.

Immer wieder haben kritische Richter und Journalisten, allen voran Roberto Saviano, angemahnt, die organisierte Kriminalität sei längst kein „süditalienisches Problem“ mehr, sondern ein globales Phänomen, das die Wirtschaft in Norditalien und auch im Ausland durch illegale und „legale“ Geschäfte massenhaft infiltriert. Was rechte Politiker, allen voran von der Lega Nord, immer wieder vehement bestritten. Es ist nicht lange her, dass der ehemalige Innenminister Maroni (Lega Nord) Saviano wüst beschimpfte, weil er es gewagt hatte, im Fernsehen auf die weit verzweigten Aktivitäten der Mafia und ihre Verbindung zu politischen Parteien im Norden hinzuweisen. Jetzt wurden sie durch die gemeinsamen Ermittlungen der Staatsanwaltschaften in Kalabrien und Mailand bestätigt.

Und auch von der Öffentlichkeit und von den Institutionen in Deutschland wird (von einigen spektakulären Ereignissen wie den „Duisburger Morden“ abgesehen) noch viel zu wenig wahrgenommen, dass die Mafia längst Deutschland als besonders attraktives Feld für „legale Geschäfte“, bei denen schmutziges Geld gewaschen wird, entdeckt hat. Es genügt, in diesem Zusammenhang die gut recherchierten Reportagen und Bücher der in Italien lebenden Journalistin Petra Reski (u. a. „Von Kamen nach Corleone“, Hoffmann und Campe 2010), zu lesen, um das Ausmaß des Phänomens zu begreifen. Erst vor kurzem, berichtet Reski, haben deutsche Justizbehörden begonnen, sich mit einer „Anti-Mafia-Gesetzgebung“ zu befassen und dabei auf den Sachverstand ihrer italienischen Kollegen zurückzugreifen, die auf diesem Gebiet – leider, muss man sagen – unbestritten „Spitzenklasse“ sind.

Es ist ein Segen, dass es B. und seinen Kumpanen – von denen einige selbst wegen ihrer Mafia-Kontakte angeklagt oder verurteilt sind – trotz eifriger Bemühungen nicht gelungen ist, die unabhängige Justiz an die Leine zu legen.

1 7 8 9 10