Ein Pflege-Fall

In Italien gibt es einen Beruf, der immer wichtiger wird: die „Badante“ (da es meist Frauen sind, die ihn ausüben, benutze ich die weibliche Form). Wörtlich ist sie diejenige, die sich „kümmert“, neuere Lexika übersetzen „Privatpfleger(in)“. Die „Badante“ ist die italienische Antwort auf ein soziales Problem, das sich allen industrialisierten Gesellschaften mit alternder Bevölkerung stellt: Was tun, wenn die Alten pflegebedürftig werden? In einem Land, in dem es üblicher als in Deutschland ist, sie im Haus zu behalten, und wo es ein Überangebot an billigen weiblichen Arbeitskräften gibt, tritt die „Badante“ auf den Plan. Wenn Opa einen Schlaganfall hatte oder Oma ein wenig dement wird, streckt die Familie die Fühler aus: Gibt es nicht eine vertrauenswürdige Person, die für wenig Geld bereit ist, täglich ein paar Stunden, oder den ganzen Tag, oder schließlich rund um die Uhr präsent zu sein? Von anderen Familien weiß man, dass sie das Problem mit einer Filipina, Polin, Rumänin oder Senegalesin lösen – könnte man sich da nicht mal umhören? Es kostet ja wenig… In Italien arbeiten inzwischen Hunderttausende von Frauen, meist „mit Migrationshintergrund“, als „Badante“, mit oder ohne Sozialbeitrag. Für viele gutbürgerliche Familien sind sie so unverzichtbar geworden, dass sich sogar die fremdenfeindliche Lega Nord an ihnen die Zähne ausbeißt (nach dem Motto: „Ausländer raus – die Badanti bleiben hier“).

Was B. damit zu tun hat? Sehr viel sogar. Die Erste, die seine Pflegebedürftigkeit bemerkte, war Ex-Frau Veronica, die bei ihrer Trennung von ihm öffentlich erklärte, dass er „krank“ sei und sich einer Therapie unterziehen sollte. Dann kam ein zwielichtiger Mann, der in B.s senilen Privatleben die Rolle der männlichen „Badante“ übernahm: Der Zuhälter Tarantino, der ihm junge Frauen zuführte, wie man quäkenden Babys den Schnuller in den Mund steckt, um sie ruhig zu stellen (und sich damit ein Taschengeld in Millionenhöhe verdiente). Der Nächste war Staatspräsident Napolitano, zur Abwechslung eine „gute“ Badante, die feststellte, dass man den politischen Amtsträger Berlusconi vor sich selbst schützen muss. Worauf Napolitano begann, B. täglich vorzugeben, was er zu tun und was er zu lassen hat, wie einem politischem Klippschüler, der nicht ganz hell im Kopf ist: Heute lassen wir das mal mit dem Abhör- und Veröffentlichungsverbot für Telefonanrufe, das Dir so am Herzen liegt, sondern machen erst einmal ein Sparprogramm für Italien. Ein wenig grotesk, dass ein 86-Jähriger zur „Badante“ eines 74-Jährigen wurde (der so tut, als wäre er 20-jährig).

Dass B. ein Regierungschef ist, der unter Aufsicht gehört, hat sich inzwischen über Italiens Grenzen hinaus herumgesprochen. Es begann damit, dass ihm die EZB im Juli einen Brief schrieb, mit einer ersten Liste von Sparmaßnahmen, die er umsetzen sollte. Da er sich auch hier schnell als der Hallodri erwies, der er nun einmal ist – seine spontane Reaktion war: alles versprechen, aber erst für die Zeit nach der Wahl 2013 -, erklärt ihn jetzt die EU ganz offiziell zum Pflegefall. Und stellte gleich die nötige „Badante“ bereit, in Gestalt des Internationalen Währungsfonds (IWF), der ab sofort Italien alle drei Monate einer genauen Kontrolle unterzieht, wie weit das Land mit seinem Spar- und Sanierungsprogramm gekommen ist. Als Christine Lagarde, die neue Chefin des IWF, dies der Weltöffentlichkeit verkündete, fügte sie hinzu, B. habe selbst um diese Kontrollen gebeten. Ein in vielen Familien erprobtes Verfahren, wenn man einem störrischen Alten eine „Badante“ vor die Nase setzen will: Er habe ja selbst danach verlangt. Als es die Lagarde sagte, lächelte sie so strahlend, wie es Angie nicht einmal in ihren unverschämtesten Momenten gelingt.

Aber man sollte sich nicht täuschen: B. ist nicht nur der „größte Kaspar in Italiens politischem Puppentheater“, wie Gianfranco Fini vergangenen Donnerstag meinte. Er ist ein Kaspar, aber mit Geld, Komplizen und Medienmacht, der immer noch einiges einreißen kann. Solange er sich im Amt hält, wird es noch einiger „Badanti“ bedürfen.