Empörung reicht nicht

Am vergangenen Samstag wurde in der ganzen Welt gegen die Übermacht der Banken und eines entfesselten Finanzmarkts demonstriert. Auch in Rom. Dort versammelten sich um die 200.000 vorwiegend junge Menschen unter den Parolen „People of Europe Rise Up!“, „Verändern wir Europa, verändern wir Italien!“ und „Wir sind 99 %!“.

Sie wollten ihrem Protest auf der großen Piazza San Giovanni mit einem bunten Fest Ausdruck verleihen und anschließend Zelte vor der italienischen Notenbank aufschlagen. Doch dazu kam es nicht. Über 1.000 vermummte und – anders als die friedlichen Demonstranten, die nicht einmal einen Ordnungsdienst aufgestellt hatten – gut organisierte Randalierer sabotierten erfolgreich die Demonstration, die Abschlusskundgebung fand nicht statt. Die Vermummten schleuderten Brandsätze gegen Geschäfte, Polizeiautos und private PKWs, zerschlugen Fenster, setzten Müllbehälter in Brand und gingen auf Polizisten mit Knüppeln und Latten los. Roms Zentrum wurde zum Kriegsschauplatz. Polizei und Carabinieri waren trotz großen Aufgebots – zum Unverständnis vieler – stundenlang nicht in der Lage, die Gewalt zu stoppen. Die Wut der Demonstranten gegen die „black blocks“ war groß, doch Beschimpfungen und hilflose Versuche, sie aus der Demonstration herauszudrängen, richteten nichts aus.

Viele Verletzte, einige davon schwer, unter Polizisten und Demonstranten, Verhaftungen, eine schockierte und ratlose Bewegung und Rufe nach Demonstrationsverboten und schärferen Polizeigesetzen sind die desolate Bilanz. Der Schaden für den berechtigten Protest von Arbeitslosen, prekär Beschäftigten und vor allem Jugendlichen ist immens. Die abgewirtschaftete Regierung nutzt die Chance, von ihrer Handlungsunfähigkeit und Zerstrittenheit abzulenken und der Opposition die Schuld anzulasten. Roms Bürgermeister Alemanno, in jungen Jahren selbst ein faschistischer Schläger, verhängte in der Hauptstadt ein einmonatiges Demonstrationsverbot. Dem würden – wie praktisch! – zwei längst geplante Großkundgebungen der Metallarbeitergewerkschaft FIOM und der (größten) Oppositionspartei PD zum Opfer fallen.

Doch die Gewaltausbrüche am 15. Oktober machten auch deutlich, dass eine große Protestbewegung mit „Spontaneität“ und „wird schon irgendwie laufen“ allein schnell hilflos und damit politisch wirkungslos wird. Was die Bewegung der „Rebellischen Drachen“ („Draghi ribelli“, mit Anspielung auf den Noch-Vorsitzenden von Bankitalia und künftigen EZB-Präsidenten Mario Draghi), der jungen Leute von „Global Project“ und „occupybankitalia“ so sympathisch macht – ihre Autonomie, ihre neuen Organisations- und Kommunikationsformen, ihre Ablehnung der Dominanz etablierter Parteien –, ist auch ihre Schwäche. Dass die Organisatoren der Demonstration am 15. 10. bewusst keinen Ordnungsdienst organisierten, obwohl sie mit anreisenden Gewalttätern aus ganz Italien rechnen mussten, war verantwortungslos.

Paolo Flores d‘ Arcais schrieb im „Fatto quotidiano“ vom 18. 10.:

„Sie (die „Indignati“, A.d.R.) müssen einen hohen Preis zahlen. Sie hätten ihn vermeiden können, wenn sie von Anfang an keinen Raum für Zweideutigkeiten gelassen hätten. Es gab Gruppen und Aufrufe, die zum Angriff auf die Sitze der Macht aufforderten: Es war doch klar, dass dies mit der Strategie der ‚Indignati‘ unvereinbar ist. Warum wurden sie nicht sofort ausgeschlossen? Warum dies Zögern, diese Angst, mit denen zu brechen, die auf jeden Fall eine Gewaltkundgebung wollen? Dass deren parasitäre und unvereinbare Teilnahme geduldet wurde, ist der unverzeihliche Fehler“.

Ein politischer Fehler? Oder „nur“ Naivität? Wahrscheinlich eine Mischung von beidem. Auf jeden Fall wird deutlich, dass Empörung allein nicht ausreicht, um Italien aus der ruinösen Entwicklung herauszuführen. Eine Verbindung zwischen neuen Bewegungen und politischer Opposition ist notwendig. Womit nicht Vereinnahmung der Bewegungen durch Parteien und Gewerkschaften gemeint ist, im Gegenteil. Ein Lernen voneinander und neue Formen der Zusammenarbeit wären erforderlich, welche die Selbständigkeit respektieren und dennoch eine politische Bündelung der Kräfte ermöglichen. Hier wäre ein schneller Lernprozess nötig.

Allerdings: Bisher gelang eine solche Bündelung nicht einmal unter den Oppositionsparteien. Geschweige denn zwischen den etablierten Parteien und den neuen Bewegungen. Wenn das aber nicht gelingt, wird Italien weiter in den Händen einer korrupten und unfähigen Regierungskaste bleiben, die sich auf dem sinkenden Schiff um so heftiger an die Macht klammert und das Land in den Abgrund zieht.