Italiens Frauen sagen BASTA!


Vorbemerkung der Redaktion

Es sollen mehr als eine Million Menschen gewesen sein, die am 13. Februar an den landesweiten Demonstrationen teilnahmen, zu denen italienische Frauen unter der Parole „Wann, wenn nicht jetzt?“ aufgerufen hatten. In Rom waren es 200 000. Esther Koppel, die auch dabei war, berichtet.


Plötzlich wurde es auf der zentralen Piazza del Popolo in Rom ganz ruhig. 90 Sekunden lang hielt die Menschenmasse den Atem an und die Stille war fast beängstigend. Dann rief eine Frau auf dem rosafarbenen Podest: „Se non ora, quando?“. Wann, wenn nicht jetzt? Und Hunderttausende warfen die Arme in die Luft und antworten: „Adesso!“. Jetzt. Auch den Frauen, die in ihrem Leben schon an vielen Demonstrationen und Protestkundgebungen teilgenommen haben, bekamen unweigerlich eine Gänsehaut. Man sah sich um und umarmte die Menschen, die neben einem standen. Einige kannte man schon seit Jahren, andere hatte man nie gesehen. Da standen Personen mit weißen Haaren und vielen Falten im Gesicht, die schon in den sechziger und siebziger Jahren für die Frauenrechte auf die Straße gegangen waren. Und daneben junge Mädchen, die hüpften und tanzten und wie wild mit ihren Handys fotografierten und filmten, damit auch die zuhause Gebliebenen einen Eindruck von diesem Moment gewinnen konnten, den die meisten als historisch empfanden. Da standen eher politisch rechts orientierte Professorinnen neben Studentinnen aus linken Bewegungen, Arbeiterinnen neben Hausfrauen und natürlich ganz viele junge Frauen, denen die Wirtschaftspolitik der Berlusconi-Regierung einen Teil ihrer Zukunft genommen hat. Aber die Würde – nein, die wollen sich die italienischen Frauen nicht nehmen lassen.

Schwer zu sagen, was der berühmte Tropfen gewesen ist, der das Fass der Entrüstung zum Überlaufen gebracht hat. Vielleicht die Tatsache, dass der Ministerpräsident sich die vorher sorgfältig ausgewählten Mädchen – egal ob volljährig oder nicht – nach Hause bringen lässt und dann mit einem Fingerzeig (und einem großen Geldbündel) entscheidet, wer die Nacht in seinem Bett verbringen soll. Wohl eher noch, dass man heute mit Gewissheit weiß, dass er seine „Gespielinnen“ dann auf wichtige Posten in den Institutionen hievt. Karriere – und nicht nur im Showbusiness – macht, wer Busen, Po und nackte Beine zur Schau stellt und den Männern gefällig ist. Oder vielleicht war es einfach der Ekel, den man empfindet, wenn der Satyr mit den stark gelifteten und deshalb starren Gesichtszügen und den gefärbten Haaren immer wieder in allen Medien auftritt und erklärt, dass die Italiener und die Italienerinnen in der besten aller möglichen Welten leben und die Zukunft noch rosiger wird, wenn man sich ihm nur weiterhin anvertraut. Jede der Frauen auf dem Platz hatte ihre eigene Geschichte zu erzählen, jede kann bezeugen, dass das Frauenbild, das im Fernsehen verbreitet wird, nicht der Realität entspricht. Und selbst wenn auf der Piazza del Popolo in Rom und auf den Hunderten von Plätzen in ganz Italien auch viele Männer dabei waren – dieser Tag, der 13. Februar 2011, gehörte doch den Frauen, die plötzlich wieder stolz auf sich und ihre Geschlechtsgenossinnen waren. An diesem Tag musste man sich nicht mehr schämen, Italiener zu sein.

Natürlich wissen alle – die Frauen, die zu der Demonstration aufgerufen hatten ebenso wie diejenigen, die dem Aufruf freudig gefolgt waren –, dass eine Kundgebung, und sei sie noch so groß und eindrucksvoll, nicht ausreicht, um Silvio Berlusconi endlich zum Teufel zu jagen. Viele befürchten auch, dass ein angeschlagenes Regime besonders gefährlich sein kann. Aber an diesem Sonntag nicht. Da lächelte man sich zu und war überzeugt, dass der italienische Frühling der Frauen begonnen hat.