Eine Prognose

Oft kann man, verbunden mit der Vorhersage über den Ausgang einer anstehenden politischen Wahl, den Satz „eine Prognose wagen“ hören. Das Verb „wagen“, seinerseits verbunden mit dem Substantiv „Wagnis“, bezeichnet hier eine nicht mit Klarheit zu machende Aussage, eine Sache mit unsicherem Ausgang, bei der man trotzdem den mit einem gewissen Risiko verbundenen Versuch unternimmt, ein bestimmtes Ergebnis vorherzusagen.

Bezüglich der anstehenden italienischen Wahlen „wage“ ich zu behaupten, dass eine Prognose über ihren Ausgang und die daraus resultierenden politisch-gesellschaftlichen Folgen durchaus nicht „gewagt“ sein muss, sondern bei genauer Betrachtung der Situation ohne „Wagnis“ geäußert werden kann, da der allgemeine Rahmen, in der sie stattfinden, recht eindeutig zu definieren ist.

… für die Wahl

Versuchen wir es einmal:

  • Aufgrund der Tatsache, dass in Italien die Wahlen zum Parlament anderen Regeln unterliegen als den zum Senat, wird es zu einer Pattsituation kommen, denn die Mitte-Links-Koalition unter Luigi Bersani, die als (relative) Gewinner aus dem Urnengang hervorgehen wird, wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach im Senat einer Mitte-Rechts-Mehrheit gegenübersehen, die mehr oder weniger alle Gesetzeshandlungen blockieren kann (etwas Ähnliches gab es schon einmal unter der letzten Prodi-Regierung).
  • Für Berlusconi wird es die letzte Schlacht gewesen sein. Trotz aller Supersonderangebote für den gedächtnisschwachen oder unbelehrbaren Teil des Wahlvolk wird es für seine Koalition mit der Liga Nord nicht für eine Regierungsmehrheit reichen, auch weil
  • die Monti-Koalition vor allem in der politischen Mitte fischt und ihm besonders die mit einem besseren Gedächtnis ausgestatteten und einer gewissen Skepsis begabten Wähler abspenstig machen wird.
  • Beppe Grillo, Komiker oder Politiker?

    Beppe Grillo, Komiker oder Politiker?

  • Vor allem im Parlament wird eine erhebliche Anzahl von Vertretern der 5-Sterne-Bewegung Platz nehmen (ich rechne mit ca. 20% der Wählerstimmen für sie), und, was noch wichtiger ist und eine Konsequenz daraus, auch in den diversen Ausschüssen des Parlaments usw. Dies wird in Zukunft für erheblich mehr Transparenz in der Politik sorgen und den Vertuschern und Korrumpierern der verschiedensten Couleur ihre zukünftige Arbeit erheblich erschweren. Und jene, die vor der Unerfahrenheit und dem drohenden Dilettantismus dieser Neuabgeordneten warnen, möchte ich gerne das Beispiel der Grünen im Deutschland der 70er Jahre vor Augen halten, die auch nicht viel anders angefangen haben und trotzdem zu dem wurden, was sie heute sind, nämlich zu Politikern wie alle anderen auch (was als positiv oder auch nicht angesehen werden kann).
  • Kleinere Gruppierungen (man fühlt sich ja momentan geradezu an Weimarer Zeiten erinnert bei all dieser „Parteienvielfalt“) werden den größeren Koalitionen hier und da ein paar Prozent abzwacken, am allgemeinen Wahlausgang aber nicht viel ändern.

… und für das Jahr danach

Und dann? Bersani wird Ministerpräsident, kann aber nur regieren, wenn er sich auf Gruppierungen stützt, die nicht zu seiner gegenwärtigen Koalition mit Nichi Vendola gehören. Mit Berlusconi wird natürlich nichts laufen, aber es wird auch mit Mario Monti schwierig werden, denn der und Vendola können sich nicht riechen und haben bereits im Vorfeld alle Möglichkeiten einer zukünftigen Zusammenarbeit strikt verneint. Was bleibt, wäre ein parteiübergreifendes Zusammenwirken bezüglich bestimmter „heißer“ Themen wie Haushaltskonsolidierung, Wahlreform, Steuergesetzgebung usw., was wahrscheinlich auch zu wechselnden Mehrheiten führen würde. Wie lange so etwas gut gehen kann, weiß man aus Erfahrung.

Fazit: In spätestens circa einem Jahr Neuwahlen, davor 12 Monate Achterbahnfahrt, ohne die unbedingt notwendigen, strukturellen Reformen endlich anzupacken, was das Land noch weiter in den wirtschaftlichen Abgrund ziehen wird. Was gilt die Wette?

PS: Gänzlich anders würde die Situation nur dann, wenn vor allem in der Lombardei und in Sizilien die Mitte-Links-Koalition gewinnt und damit auch im Senat die Mehrheit hätte. Wonach es allerdings bislang nicht aussieht.

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