Zwischen Vetos und Blockaden

Eine Linke, die sich fast bis zur Bedeutungslosigkeit selbst zerstört hat. Eine Rechtskoalition, die zwar als erster Sieger aus der März-Wahl hervorging, aber innerlich so tief gespalten ist, dass ihr die Tünche der Einheit bei jedem Atemzug wegzuplatzen droht. Und dazwischen eine „Bewegung“, die Millionen von Protestwählern anzog und weder links noch rechts sein will. Ihrem Anspruch nach ist sie zum zentralen politischen Akteur Italiens geworden, der aber eigentlich mit niemandem ein Bündnis auf Augenhöhe eingehen darf, ohne selbst sofort in eine Existenzkrise zu geraten. Das ist der Stoff, aus dem jetzt eine neue Regierung für Italien gebacken werden soll.

Der Alchimist

Der Alchimist

Der Mann, der diesen Prozess als institutioneller Wächter zu begleiten und zu lenken hat, ist Staatspräsident Mattarella. Er ist nicht zu beneiden. Er muss sich fühlen wie im Mittelalter der Alchimist, der im Auftrage seines Fürsten, der ihm mit Folter und Tod droht, aus welchem-Stoff-auch-immer Gold machen soll, obwohl er eigentlich weiß, dass es nicht geht.

Das Ballett um die Frage, wer sich mit wem zu einer Regierungsmehrheit zusammenfinden kann, hat mehrere Akte, der zweite neigt sich gerade seinem Ende zu.

Akt I: Regierung der Sieger?

Im ersten Akt ging es um den naheliegenden Versuch, die Sieger zusammenzuspannen, die 5-Sterne-Bewegung und die Rechtskoalition. Er förderte sofort zwei Probleme zutage. Das eine ist die persönliche und politische Rivalität zwischen Berlusconi, dem Chef der Forza Italia, und Salvini, dem Führer der Lega, die im Hinblick auf die Führerschaft der italienischen Rechten Konkurrenten sind, aber in ihrer Koalition ein Zweckbündnis eingingen. Der Medienzar Berlusconi, der aus geschäftlichen Gründen in die Politik ging und wegen Steuerhinterziehung schon rechtskräftig verurteilt wurde, ist politisch ein Laisser-faire-Liberaler, der sich in Europa der EVP zurechnet; der nationalistische, sozialdemagogische und (vor allem) migrantenfeindliche Rechtspopulist Salvini ist Le Pen-Anhänger. Wobei sich das Stärkeverhältnis zunehmend zugunsten der Lega verschiebt: Schon bei der Wahl am 4. März überflügelte sie Berlusconis Forza Italia. Aber der Abstand wächst weiter: die Lega liegt nach den letzten Umfragen bei 22 %, Forza Italia bei 12 %. Das Bündnis mit dem alternden Berlusconi gibt Salvini nicht nur die Chance, an der nächsten Regierung beteiligt zu werden, sondern längerfristig auch zum Führer der gesamten italienischen Rechten zu werden.

Das zweite Problem, das der Koalition der Sieger im Weg steht, ist die Weigerung der 5-Sterne-Bewegung, sich mit Berlusconi auf ein Bündnis einzulassen. Der Kampf gegen ihn als Inbegriff der korrupten „Kaste“ hat die 5-Sterne-Bewegung groß gemacht; sich jetzt in ein Bündnis mit ihm zu begeben, würde schwere Konflikte mit der eigenen Aktivisten-Basis auslösen. Als Berlusconi dies auch seinerseits mit einem Gegenveto beantwortete („keine Regierung mit Di Maio“), war die erste Frage beantwortet: Eine Koalition der Sieger ist nicht möglich, zumindest wenn sie en bloc zusammengehen.

Zwischenspiel

Der erste Akt hätte hier beendet sein können, wenn es in ihm nicht eine Nebenhandlung gegeben hätte, die sein Ende hinauszögerte: Seine Weigerung, sich auf eine Regierung mit Berlusconi einzulassen, verband Di Maio mit massiven Lockrufen Richtung Salvini. Gemeinsam könnten sie eine „Revolution“ machen, die Italien von Grund auf verändern würde (auch Rechtsradikale träumen von „Revolution“). Die Bereitschaft, sich mit der radikalen Rechten ins gemeinsame Bett zu legen, ist die Kehrseite der Sauberkeit, welche die 5-Sterne-Bewegung gegenüber Berlusconi demonstriert. Mit einem Hintergedanken: Für eine absolute Mehrheit in beiden Kammern hätte dieses Bündnis genug Abgeordnete. Da aber bei der Märzwahl nur die Hälfte aller Stimmen für die Rechtskoalition auf die Lega entfielen (sie kam auf 18 %), könnte sie nur der Junior-Partner der 5-Sterne-Bewegung sein (die auf 32 % kam). Womit auch geklärt wäre, wer den nächsten Ministerpräsidenten stellt.

Das war schlau überlegt, aber Salvini nicht dumm genug, um darauf hereinzufallen. Es hätte den Bruch mit Berlusconi bedeutet, was wiederum in vielen Regionen und Städten des Nordens bereits vorhandene Mehrheiten zerbrochen hätte. Und würde es der Lega überhaupt gut tun, zum Anhängsel der 5-Sterne-Bewegung zu werden? Zumal es den Prozess der schrittweisen Machtübernahme innerhalb der Rechten stören würde. Also lehnte Salvini das Ansinnen der 5-Sterne-Bewegung schließlich in aller Form zurück. Die damit demonstrierte „Loyalität“ gegenüber Berlusconi verstärkt dessen Abhängigkeit von ihm. Denn jeder weiß: Bei Bedarf kann er auf Di Maios Angebot zurückkommen. Damit war der Vorhang auch für die abgespeckte Siegerkoalition (ohne Berlusconi) erst einmal gefallen.

Akt II: Regierung der 5-Sterne-Bewegung mit der PD?

Man kann Staatspräsident Mattarella nicht nachsagen, seinen Versuchen, eine regierungsfähige Mehrheit zu finden, fehle die Systematik. Nun beauftragte er 5-Sterne-Mann Roberto Fico, der gerade zum neuen Präsidenten der Abgeordneten-Kammer gewählt wurde, mit der nächsten Sondierung. Er sollte die Möglichkeit einer Regierung erkunden, die von der 5-Sterne-Bewegung und der PD getragen wird, also von einem Sieger dieser Wahl mit ihrem „gefühlten“ größten Verlierer. Die PD war im März nur noch auf 18,7 % gekommen, also auf ein Prozent mehr als die Lega – für eine Mehrheit in beiden Kammern würde es reichen, aber die Distanz, die dafür zwischen beiden zu überbrücken war, schien unermesslich. Seit Jahren hatte die 5SB die PD mit Berlusconi gleichgesetzt, als verkommen und korrupt, „sono tutti uguali“, Grillo hatte ihre Führer zu „wandelnden Leichen“ erklärt. Wer als erster über seinen Schatten sprang, war der wendige Di Maio, der mit der Großzügigkeit des Siegers verkündete: Lass uns nun das Kriegsbeil begraben, zum Wohle des Landes.

Die PD reagierte noch kopfloser als die SPD, als ihr nach einer ähnlichen Wahlniederlage der Vorschlag für eine dritte Groko ins Haus flatterte. Ebenso wie die SPD hatte die PD gerade den heroischen Beschluss gefasst, als Wahlverlierer in die Opposition zu gehen und hier auf Regeneration zu hoffen. Aber ebenso wie in Deutschland nahm sie nun ein von ihr selbst mitgewählter Staatspräsident ins Gebet, der sie aufforderte, zuallererst an das Wohl des Landes und nicht ans eigene Wohl zu denken. Und ebenso wie in Deutschland drohen auch in Italien baldige Neuwahlen, wenn es zu keiner Regierungsbildung kommt – das Risiko, sich hier eine noch größere Niederlage abzuholen, ist auch in Italien groß. Jetzt zeigte sich das Elend, in dem die PD steckt, erst richtig. Wobei Renzi, der eigentlich seinen Posten als Parteiführer aufgegeben hat, die Linie diktiert: Über die Frage, ob man sich mit der 5-Sterne-Bewegung auf irgendetwas einigen kann, wird nicht verhandelt. Es ist leider eine Antwort ohne Souveränität. Morgen findet eine Direktoriumssitzung der PD statt, die wahrscheinlich diese „Linie“ absegnen wird. Dann ist auch dieser Versuch gescheitert.

Was nun?

Antwort 1: schnellstens Neuwahlen. Das ist die Antwort der Sieger, vor allem von Di Maio. Mit einer kleinen, aber wichtigen Einschränkung: nachdem man sich vorher auf ein neues Wahlgesetz geeinigt hat, das für die Sieger eine Mehrheitsprämie einführt, „damit das Land wieder regierbar wird“. Was offensichtlich nicht ganz uneigennützig ist. Es ist aber auch eine Antwort, in der auch noch eine Sprengladung steckt: Soll die Mehrheitsprämie der stärksten Partei – das heißt der 5-Sterne-Bewegung – oder der stärksten Koalition (sprich der Koalition Berlusconi- Salvini) zufallen? Eine Frage, die den beiden Siegern noch Gelegenheit bietet, sich gegenseitig zu zerfleischen, bevor sie die Beute unter sich aufteilen.
Antwort 2: eine „Regierung des Präsidenten“, d. h. von Technikern, die der Staatspräsident beruft und die erst einmal – zeitlich befristet – die dringendsten Geschäfte erledigt (die italienische Verfassung erlaubt es). Der Haken ist, dass auch diese Regierung letztlich der parlamentarischen Zustimmung bedarf – und die beiden Sieger bereits verkündet haben, diese Zustimmung niemals geben zu wollen.
Antwort 3: eine Wiederaufnahme der Gespräche zwischen Salvini und Di Maio. Dieser Vorschlag kommt vor allem von Salvini, und es ist jetzt schon klar, um wessen politische Existenz es dabei vor allem gehen muss: um die Berlusconis. Ein Kompromiss müsste sich hier finden lassen: Er kommt aufs Altenteil, mit gewissen Garantien für seine Interessen, derentwegen er in die Politik ging. Ob sich auch in diesem Punkt Di Maios Wendigkeit zeigt?
Antwort 4: eine Minderheitenregierung der Rechtskoalition. Das ist Berlusconis Vorschlag, voller pragmatischem Zynismus. Es werde genug Überläufer geben, verspricht er, welche dies unterstützen. Denn welcher Abgeordneter werde schon bereit sein, sofort nach der Wahl wieder auf seine monatliche 14 000 €-Diät zu verzichten? In Sachen Abgeordnetenkauf hat er Erfahrung. Er brachte damit schon eine ganze Regierung (Prodi) zu Fall, wie gerichtsfest konstatiert wurde (die Sache war nur, als sie verhandelt wurde, bereits verjährt). Aber Berlusconi ist immer noch ein reicher Mann …

PS: Inzwischen hat es auch zwei Regionalwahlen gegeben, die letzte am vergangenen Wochenende in Friaul. Zu den Ergebnissen hat sich Di Maio bisher nicht geäußert, aber sie sind interessant: In beiden Regionen gewannen die Kandidaten der Rechtskoalition. In der Region Friaul, wo die 5-Sterne-Bewegung bei der nationalen Wahl vom März 2018 noch knapp 25 % der Stimmen bekam, sackte sie jetzt auf 7,1 % ab. Für die italienischen Wähler ist sie offenbar in erster Linie ein Vehikel des Protests, der sich vor allem bei nationalen Wahlen Gehör verschafft.