Den Teufel mit dem Beelzebub austreiben?

Man könnte meinen, über Italien liegt ein Verhängnis, das die Politiker immer tiefer in den Sumpf treibt. Vieles spricht dafür, dass Matteo Renzi, der zwar nicht mehr Regierungschef, aber noch (und wieder) Generalsekretär der PD ist, vorgezogene Neuwahlen anstrebt – möglichst im September, spätestens im Oktober. Und einiges spricht dafür, dass er sich dann mit Silvio Berlusconi verbünden und mit seiner Hilfe wieder Ministerpräsident werden will.

renzi-berlusconi1Berlusconi steht für den jahrzehntelangen wirtschaftlichen und moralischen Niedergang Italiens. Seine Korruptheit ist gerichtsnotorisch, obwohl es ihm immer wieder gelang, die italienische Justiz zum Narren zu halten. Die letzte Farce beendete vor wenigen Wochen ein neapolitanisches Berufungsgericht: Berlusconi ist überführt, dass er in den Jahren 2006 bis 2008 eine Mittelinks-Regierung unter Romano Prodi u. a. dadurch zu Fall brachte, dass er unter Einsatz von 3 Mio. € einen Senator aus der Regierungskoalition „rauskaufte“. Die erste Instanz verurteilte Berlusconi zu drei Jahren Gefängnis – ein erstaunlich mildes Urteil. Vor ein paar Wochen kam das Urteil der zweiten Instanz (die Öffentlichkeit nahm‘s kaum noch zur Kenntnis): Die Bestechung sei bewiesen, aber die Sache verjährt. Mit diesem Mann will Renzi jetzt vielleicht sein neues Bündnis schmieden.

Um Europa vor der 5-Sterne-Bewegung zu retten? So wie Macron, mit dem sich Renzi gern öffentlich identifiziert, Europa vor Le Pen rettete? Seinen Parteifreunden und europäischen Gönnern erzählt Renzi diese Geschichte gern. Die Taktik wäre nicht neu, schon so mancher Teufel wurde mit dem Beelzebub ausgetrieben. Das nennt man dann Realpolitik.

Die Gründe vorgezogener Neuwahlen

Schaut man sich die Sache näher an, verliert sie an Eindeutigkeit. Warum hat es Renzi plötzlich mit Neuwahlen so eilig? Den Grund nur in seinem persönlichen Machtstreben zu suchen, greift zu kurz. Obwohl es sicherlich eine Rolle spielt. Seit er vergangenen Dezember nach dem verlorenen Referendum als Regierungschef und dann auch als Generalsekretär zurücktrat, lassen sich alle seine Handlungen auch als die systematische Rekonstruktion seiner persönlichen Machtbasis erklären. Der er alles andere unterordnet: die Einheit seiner Partei (mit deren linkem Flügel er sich überwarf und von der nur noch ein Bruchstück übrig ist), und die Amtsdauer der Regierung seines (angeblichen) „Freundes“ Gentiloni.

Renzi hat einen zweiten, weniger individualpsychologischen Grund für schnelle Neuwahlen. Im Herbst muss die Regierung den Haushaltsplan für 2018 vorlegen, und nach allem, was man hört, dürfte er zur bekannten „heißen Kartoffel“ werden, die man besser gar nicht anfasst. Denn angesichts des stagnierenden Wachstums ist der nächste Haushalt schon heute mit Verpflichtungen und Erwartungen befrachtet, die ohne soziale Einschnitte nicht zu bewältigen sind: Um endlich auch Italien auf die Wachstumsspur zu bringen, sollen die Arbeitskosten weiter gesenkt und der interne Konsum angekurbelt werden. Was Geld kostet. Gleichzeitig soll das Haushaltsdefizit, das in diesem Jahr noch bei (geplanten) 2,2 % liegt, 2018 auf 1,2 % gesenkt werden. Eine Quadratur des Kreises, wie es schon heute scheint, die zusätzlich dadurch belastet wird, dass es in Italien ein Gesetz gibt, welches ein Überschreiten des jeweils mit der EU vereinbarten Haushaltsdefizits mit der „automatischen“ Erhöhung der Mehrwertsteuer bestraft – jetzt könnte sie von 10 auf 13 % bzw. von 22 auf 25 % erhöht werden. Eine Ankurbelung des internen Konsums wäre das gerade nicht. Und ein verheerendes Signal für die Wähler.

Es spricht nicht gerade für politischen Mut, wenn jetzt Renzi unter Verweis auf das Haushaltsgesetz vorschlägt, die sowieso anstehenden Neuwahlen auf diesen Herbst vorzuverlegen. Positiv ausgedrückt heißt es: Dann könne der neue Haushalt, der bis zum Jahresende beschlossen werden müsste, vielleicht von einer breiteren Mehrheit getragen werden (mit Berlusconi?). Negativ ausgedrückt: Bloß nicht in den Wahlkampf gehen, wenn vorher ein Haushalt verabschiedet werden muss, von dem zu erwarten ist, dass er soziale Wut auslösen wird.

Vorspiel im Theater: Einigung auf ein Wahlgesetz

Ein Zusammengehen Renzis mit Berlusconi zeichnet sich ab, seitdem sie sich vor einigen Tagen telefonisch über das Grundkonzept eines neuen Wahlgesetzes verständigten. Mattarella hatte immer wieder erklärt, vor Neuwahlen müssten sich die Parteien auf ein Wahlgesetz einigen, das sowohl den Hinweisen des Verfassungsgerichts folgt als auch die Wahl für die beiden Kammern harmonisiert. Nun war es plötzlich das „deutsche Modell“, das den Durchbruch brachte: eine Mischung von Mehrheitswahl (in den einzelnen Wahlkreisen) und Verhältniswahl, aber aufgrund der Ausgleichsmandate letztlich doch eine Verhältniswahl zwischen den Parteien, die über die 5 %-Hürde kommen. Seit daraufhin auch noch Grillos 5-Sterne-Bewegung auf den fahrenden Zug sprang (die Lega hat längst ihr Einverständnis erklärt), gibt es plötzlich eine breite Front der Befürworter.

Inwieweit das neue italienische Wahlgesetz wirklich dem deutschen Vorbild folgt, wird sich zeigen, denn bevor es Gesetz wird, muss es noch beide Kammern durchlaufen. Da ist viel Raum für „Emendamenti“ (Verbesserungen oder Verschlechterungen) im Detail. Insbesondere ist ungeklärt, ob und inwieweit es doch noch Mehrheitsprämien zugunsten der „Regierbarkeit“ geben soll. In zwei Punkten scheinen sich die Protagonisten – Renzi, Berlusconi, Grillo und Salvini – allerdings einig zu sein: dass es noch im Herbst Neuwahlen gibt (der genauere Zeitpunkt ist noch unklar, die genannten Termine reichen von Anfang September bis Ende Oktober). Und dass es für alle Parteien, die ins Parlament einziehen wollen, die 5 %-Barriere geben soll. Eine Verabredung der „Großen“ gegen die „Kleinen“.

Die Wirkung

Nun droht den „kleinen“ Parteien das parlamentarische Nichts: Zunächst den Parteien des Zentrums, z. B. Alfanos „Alternativa Popolare“, die schon Gift und Galle spuckt. Und auch den linken Splitterparteien (es sei denn, sie einigen sich doch noch auf eine gemeinsame Liste). Für die Hoffnung einer Wiederbelebung von Mittelinks bedeutet es den Todesstoß. Pisapia, der sich bis zuletzt um ein Bündnis der Linken mit der PD bemühte, erklärte bereits, bei seinem Versuch einer Rekonstruktion von Mittelinks nicht mehr auf die PD zu setzen.

Was sich abzeichnet – auch wenn es von allen Seiten als nicht beschlossene Sache hingestellt wird –, ist das engere Zusammengehen von Renzis Rest-PD mit dem Teil der Rechten, der nicht Salvini, sondern Berlusconi folgt. Für diesen würde es bedeuten, im Spiel zu bleiben. Da Renzi seinen politischen Hauptgegner in der 5-Sterne-Bewegung sieht, wäre es auch für ihn plausibel. Aber er opfert viel dafür (und hat sich schon einmal verrechnet).

Eine der Begründungen Renzis für vorgezogene Neuwahlen war der Hinweis auf den 15. September, dem Tag, an dem die neuen Abgeordneten beider Kammern nach viereinhalbjähriger „Amtszeit“ das Recht auf Altersversorgung bekämen. Die 5-Sterne-Bewegung, so Renzi, habe doch immer behauptet, es sei nur die Geldgier der politischen „Kaste“, die sie vor vorgezogenen Neuwahlen zurückschrecken lasse. Wenn man nun beide Kammern vor diesem Stichtag auflöse, hätte man ihr diesen Wind aus den Segeln genommen. Das Argument ist schlau, aber ohne Souveränität.

Renzis Programm scheint sich nur noch im Versuch zu erschöpfen, die 5SB zu verhindern. Ohne auf die Idee zu kommen, dass er den Grillini mit dem Bündnis Renzi-Berlusconi das größtmögliche Geschenk macht. Denn damit würde sich bestätigen, was sie schon immer behaupten: Renzi und Berlusconi seien Charaktermasken des gleichen „Systems“. Die 5SB bekäme weitere Munition für einen Wahlkampf, den sie zum Endkampf gegen „das System“ stilisieren kann. Und in dem sie auf einen Gegner trifft, der schon längst nicht kein Hoffnungsträger mehr ist. Wie es noch Macron im Duell mit Le Pen war.

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