Renzi auf Kollisionskurs

„Wir haben zwar eine schöne Dampferfahrt auf der Donau gemacht, aber wegen eines Bootsausflugs war ich eigentlich nicht nach Bratislava gekommen“ erklärte Renzi ungewohnt bissig zum Abschluss des EU-Gipfeltreffens in der slowakischen Hauptstadt vor gut einer Woche.

Ziel des Gipfels sollte „offiziell“ die gemeinsame Kursbestimmung nach dem Brexit sein: in der Wirtschafts-und Finanzpolitik, bei der Flüchtlingsfrage, dem Kampf gegen Terror und einer gemeinsamen Verteidigungspolitik. Ehrgeizige Ziele und gewaltige Themen in einem zerstrittenen und von sich ausbreitendem Rechtspopulismus geschüttelten Europa, deren Auswirkungen die Regierungen in ihren jeweiligen Ländern heftig zu spüren bekommen.

„Schöner Dampferausflug in Bratislava“

Dass Bratislava konkrete gemeinsame Antworten auf diese Fragen bringt, war in Wahrheit nicht einmal beabsichtigt. Bereits für die vorher „auf der Arbeitsebene“ ausgearbeitete Gipfel-Agenda lautete die politische Ansage: vor allem beim „Reizthema“ Flüchtlinge schön allgemein bleiben und sich ja nicht auf Vorschläge kaprizieren, welche die Frontverhärtung zwischen den Mitgliedstaaten noch deutlicher werden lässt.

Insofern war Renzis Metapher des netten Dampferausflugs von der Realität gar nicht so weit entfernt. Politisch und diplomatisch waren allerdings seine Äußerungen („Italien steht als Feigenblatt für eine nicht funktionierende EU nicht zur Verfügung, öffentliche Inszenierungen allein können wir uns sparen“) und seine Entscheidung, der gemeinsamen Pressekonferenz von Merkel und Hollande fern zu bleiben, ein ziemlicher Paukenschlag.

Renzi: kein Vorankommen bei Wirtschaft und Flüchtlingsfrage

Unzufrieden in Bratislava

Unzufrieden in Bratislava

Renzis Kritik bezog sich vor allem auf zwei Themen: die Wirtschaftspolitik und die Flüchtlinge. Bei der ersteren geht es ihm um die langwährende Auseinandersetzung, in wieweit Ländern wie Italien die Nutzung finanzpolitischer Spielräume zugestanden wird, damit neben notwendigen Strukturreformen auch Maßnahmen zur Ankurbelung von Wirtschaft und Beschäftigung ergriffen werden können. Italiens Forderungen würden sich im Rahmen bestehender EU-Regeln bewegen, betonte er. Und kritisierte zugleich, dass ausgerechnet das „regelversessene“ Deutschland mit seinen Exportüberschüssen schon lange über der von der EU festgelegten Grenze von 6 % liegt.

EU-Kommissionspräsident Juncker, der Renzi sonst meist den Rücken stärkt, reagierte prompt: Renzi wisse genau, dass die EU Italien im Rahmen solcher „Flexibilitäts-Spielräume“ bereits 19 Milliarden Euro zugestanden habe. Dass er dennoch mit immer neuen Forderungen käme, sei nicht hinnehmbar.

Lob kam allerdings von Juncker für das Vorgehen Italiens in der Flüchtlingsfrage. Tagtäglich würden italienische Seekräfte Tausende von Menschen vor dem Ertrinken retten. Und auch bei der Aufnahme und Registrierung von Flüchtlingen, die nach der Schließung der Balkan-Route und dem Türkei-Deal wieder vermehrt mit gefährlichen Bootsfahrten die italienischen Küsten zu erreichen suchen, habe es erhebliche Fortschritte gegeben.

Das Flüchtlingsthema war es auch, das Renzis Kritik an den Ergebnissen des Gipfels besonders scharf ausfallen ließ. Sowohl wegen der fortdauernden Weigerung der osteuropäischen Länder (vor allem der sogenannten „Visegrad-Gruppe“: Ungarn, Polen, Slowakei und Tschechien), verbindliche Aufnahmequoten festzulegen. Und weil in Bratislava der italienische Vorschlag nicht einmal angesprochen wurde, die afrikanischen Herkunftsländer bei der Herstellung wirtschaftlich und politisch stabilerer Verhältnissen zu unterstützen, um die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren,.

Merkel und Hollande reagieren verhalten

„Das muss sich einer mal vorstellen: die haben ein zehnseitiges Dokument auf den Tisch gelegt, in dem nur von der Türkei die Rede war. Kein Wort zu den afrikanischen Ländern!“, schimpfte Renzi gegenüber Journalisten bei einem „inoffiziellen Gespräch“ im Anschluss an die eigene Pressekonferenz. Als ob man die komplexen globalen Fragen von Migration und Flucht allein durch Vereinbarungen mit der Türkei begegnen könne. Auch hier ging seine Kritik vor allem an die Adresse Merkels.

Die so gescholtene deutsche Kanzlerin und Frankreichs Präsident Hollande gingen auf die Ausbrüche ihres italienischen Kollegen kaum ein. Sie wiesen lediglich daraufhin, dass die Roadmap des Gipfels lange zuvor von allen Mitgliedstaaten – Italiens eingeschlossen – festgelegt worden sei. Dabei sei es Konsens gewesen, vorrangig Fragen des Schutzes der europäischen Außengrenzen und des Kampfes gegen den Terror zu behandeln. Und die Konkretisierung weiterer Themen auf das Treffen anlässlich des 60. Jahrestag der Römischen Verträge 2017 in Rom zu verschieben.

„Inoffiziell“ wird aus Deutschland und Frankreich die innenpolitische Absicht hinter Renzis Verhalten in Bratislava unterstrichen: er stehe nun mal wegen des bevorstehenden Referendums über die Senatsreform, von dessen Ergebnis sein politisches Schicksal abhängt, gewaltig unter Druck. Will sagen: Das ganze Theater wird vorrangig für das Publikum zu Hause aufgeführt, vor dem Italiens Regierungschef den starken Mann markieren muss, der sich von Merkel & Co. nicht einschüchtern lässt. Und da sowohl Merkel als auch Hollande ein starkes Interesse haben, dass Renzi nicht scheitert, reagierten sie eher gedämpft. Denn ein polternder Renzi ist ihnen tausend Mal lieber als demnächst womöglich ein grillinischer Ministerpräsident, der Italien aus der Euro-Zone herausführen will und auch sonst politisch unberechenbar ist.

Die „innenpolitische Deutung“ greift zu kurz

Dass Renzis harsche Kritik eine innenpolitische Komponente hat, ist kaum zu bestreiten. Ich glaube aber nicht, dass sie sich darauf reduzieren lässt. Auch wenn man ihm in vielerlei Hinsicht eine fehlerhafte Politik vorwerfen kann, und so sehr sein persönliches Auftreten – mal selbstgefällig, mal übertrieben kumpelhaft – schwer erträglich ist: Gerade in Sachen Flüchtlinge ist er (bisher) einer der wenigen führenden Politiker Europas, die dem Druck des anwachsendem Rechtspopulismus nicht nachgeben und weiterhin offensiv für eine humane Aufnahmepraxis und für die Einhaltung internationaler Verpflichtungen eintreten. Seine Kritik an der Handlungsunfähigkeit der EU in diesem Bereich (nur) instrumentell mit dem Blick auf die innenpolitische Auseinandersetzung zu interpretieren, halte ich für verfehlt.

Wenn man von deutscher Seite dies dennoch tut, zeugt dies nicht nur von Arroganz, sondern dient auch dazu, sich der schwierigen aber dringend notwendigen inhaltlichen Auseinandersetzung auf europäischer Ebene möglichst zu entziehen. Was sich die „Visegrad.-Gruppe“ mit ihrem Boykott der Suche nach einer gemeinsamen europäischen Antwort erlauben darf, ohne mit konkreten Konsequenzen rechnen zu müssen, ist unglaublich. Genauso wie das Vertrösten auf irgendeinen Gipfel im nächsten Jahr, während Krieg und Gewalt weiterhin Millionen zur Flucht zwingen und tagtäglich Hunderte von Menschen bei diesem Versuch sterben.

Da hätte ich mir doch gewünscht, dass der italienische Ministerpräsident und seine Vorschläge (in Bratislava und anderswo) mehr Gehör und mehr Befürworter finden. Angela Merkel in primis. An deren vorsichtigen Auftreten übrigens die „innenpolitische Komponente“ ebenfalls erkennbar ist.

PS: Letzte Wendung im angespannten Verhältnis zwischen Italien und der Achse Berlin-Paris: Am nächsten Mittwoch findet in Berlin ein Treffen von Merkel, Hollande und Juncker mit führenden europäischen Unternehmern („European Roundtable of Indsutrialists“) statt. Renzi ist nicht eingeladen. Das habe nichts zu bedeuten, heißt es aus dem Kanzleramt, es handele sich um ein schon lange geplantes Routinetreffen. Renzi deutet das eher als (indirekte) Reaktion auf Bratislava.