Der Hauptfeind

Vor einer Woche berichtete ich, dass sich bei der bevorstehenden Stichwahl der Kommunalwahlen die Renzi-Gegner jeder Couleur, von den Lega-Anhängern bis zu den Grillini, zusammenschließen könnten, als Probelauf für spätere nationale Entscheidungen. Dabei blieb unerwähnt, wie sich in diesem Kontext die Linke verhält – die Linke, die sich für die „wahre“ hält, nicht die von Renzi.

Mein Freund Beppe

Ich finde ihn ausgesprochen sympathisch – wenn wir gemeinsam etwas unternehmen, ist er ein echter Kumpel. Zwar habe ich es mir zur Regel gemacht, mit ihm nicht über Politik zu reden, um unser gutes Einvernehmen nicht zu gefährden. Aber nicht immer schaffe ich es. Denn leider streite ich gern. Und lasse mich auch durch die freundschaftliche Wärme verführen. Es fällt mir schwer, nach einer guten Cena bei einem Glas Wein die Beine auszustrecken und über alles zu reden, nur nicht über das Eine. Dies Eine ist in Italien, zumindest unter älteren Leuten, die irgendwie links sind und nicht über Fußball reden: Renzi.

Vor ein paar Wochen gab es wieder einen solchen Moment. Da übermannte es mich – wohl nicht nur aus Liebe zur Wahrheit, sondern auch wegen meiner Konsenssucht mit Beppe. Also schimpfte ich ein wenig auf Renzi. Aus den Gründen, die den Lesern dieses Blogs bekannt sind: Er tut zu wenig gegen die Korruption in der eigenen Partei, macht teilweise schlechte Gesetze, mauschelt mit anrüchigen Rechten (Verdini), verprellt die eigene Linke (Bersani), treibt einstige PD-Wähler in die Enthaltung. Beppe hörte sich das an und lächelte. Es hätte mich warnen müssen. Denn es besagte: Na endlich schnallst du es auch. Dieses Lächeln war es, das mich schließlich sagen ließ, was wieder alles verdarb: Ja, aber was ist die Alternative? Grillo, Salvini?

Das war der Moment, wo ich in Beppes Augen die Maske fallen ließ. Sein Lächeln erstarb, er fixierte mich finster. Das kenne ich, sagte er. Damit soll er reingewaschen werden, dafür soll ich (Beppe) meine Überzeugungen aufgeben.

Die Frage nach der Alternative: für Linke kein Argument

Da war sie wieder, die alte Frontlinie. Hier ich, der so prinzipienlos ist, nach der Alternative zu fragen. Dort Beppe, der allein schon in dieser Frage einen Angriff auf sein existenzielles Recht sieht, noch Überzeugungen zu haben (weshalb er sie auch nicht beantwortete). Er hat in Facebook einen breiten Freundeskreis, mit dem er linke Selbstverständigung betreibt. Man verfolgt nicht nur mit Aufmerksamkeit und Sympathie alle Versuche, links von der PD eine neue Partei zu gründen. Sondern man klärt gerade etwas Grundlegendes: Renzi ist „der Hauptfeind“. Aus der europäischen Geschichte weiß man, wie folgenreich dies sein kann. In der Weimarer Republik z. B. war es die KPD, welche zunächst mit dem Segen Moskaus nicht die Nazis, sondern die SPD als „Hauptfeind“ identifizierte (bis Hitler wirklich kam). Nicht für alle italienischen Linken, die jetzt eine neue Partei gründen wollen, ist Renzi der Hauptfeind. Aber für Beppe und seine Facebook-Freunde ist er es. Innerhalb der Linken bilden sie eine starke Strömung. Bei der Stichwahl werden sie alles tun, um die Kandidaten des „Hauptfeindes“ zur Strecke zu bringen.

Die große Anti-Renzi-Koalition

So zeigen sich vor diesen Kommunalwahlen die Konturen einer Koalition von ganz links bis ganz rechts. Das einigende Band ist der Hass auf Renzi. Und zwar nicht nur bei den Wählern, sondern auch bei den Parteistrategen, von der Linken über die 5-Sterne-Bewegung bis zur Lega. Am fortgeschrittensten sind die Kontaktversuche dort, wo durch Absprachen reale Mehrheiten geschaffen werden können: zwischen Lega und 5-Sterne-Bewegung. Könnten nicht bei der Stichwahl in Rom und Turin diejenigen, die in der ersten Runde rechts wählten und niemanden mehr im Rennen haben, nun für die Kandidaten der 5-Sterne-Bewegung stimmen, und im Gegenzug in Mailand und Neapel die Wähler der 5-Sterne Bewegung für die Kandidaten der Rechten? Für die Führungen, insbesondere der 5-Sterne-Bewegung, gibt es hier allerdings ein Problem. Sie könnten damit zwar den Hauptfeind Renzi matt setzen, aber auch einen Teil ihrer eigenen Anhängerschaft düpieren. Der gegenüber sie ja immer wieder betont hatten, „niemals“ mit „den Anderen“ zusammenzugehen.

Sie nähern sich

Sie nähern sich

Am wenigsten lässt sich hier der Lega-Chef Salvini hemmen. Er erklärt öffentlich, dass es zwischen ihm und der 5-Sterne-Bewegung zwar keine Absprachen, aber doch „Konvergenz“ und „Affinität“ gebe. Er, der in Frankreich mit Le Pen paktiert, erklärte am 9. Juni der „Repubblica“: „Was uns mit der 5-Sterne-Bewegung vereint, ist Sauberkeit, Transparenz, Ehrlichkeit (angesichts der Lega-Vergangenheit kühn!) und das Nein zum Euro“. Nur gegenüber den Flüchtlingen sei das Verhalten der 5-Sterne-Bewegung noch „konfus“ (will sagen: erst halb auf der Linie Lega-Le Pen-AfD). Da sei es auf jeden Fall „logisch, dass wir ihre Kandidaten wählen und sie unsere“. Das oberste Gebot sei: „Niemals mit Renzi!“

Die Führung der 5-Sterne-Bewegung ist zurückhaltender

Sie betont erst einmal, hier gebe es kein „Bündnis“ – die Aktivisten sind Purismus gewöhnt. Die Führung weiß ja, dass die ganze Diskussion zumindest ein Gutes hat: Ihren Anhängern wird bewusst, in den Wahlkabinen auch damit Politik machen zu können, dass sie ihr Kreuz beim „anderen“ Renzifeind machen. Wie es nun auch mancher Lega-Anhänger entdeckt.

Offene Absprachen gibt es nur in kleineren Kommunen. Anders verhält es sich beispielsweise in Turin, wo die 5-Sterne-Kandidatin in der ersten Runde knapp 31 % erhielt, während der PD-Kandidat mit knapp 42 % vorne liegt. Nun bieten ihr Lega und Forza Italia wie warme Semmeln die 14 % an, die ihre beiden Kandidaten erhielten, was rechnerisch reichen könnte, um den PD-Kandidaten auszuschalten. Aber die 5-Sterne-Kandidatin zeigt sich charakterfest: Hier gebe es keine Vorabsprachen – zumindest nicht über die Verteilung von Posten.

Der fetteste Happen ist Mailand, wo sich in der Stichwahl ein Mittelinks- und ein Kandidat der Rechten gegenüberstehen, die nach der ersten Runde fast gleichviel Stimmen bekamen, während der 5-Sterne-Kandidat 10 % erhielt. Diese 10 % sind jetzt „frei“, und ein Teil der 5-Sterne-Basis will offenbar den rechten Kandidaten wählen, was den Ausschlag geben könnte. Wozu ein Mitglied der 5-Sterne-Direktion, der ebenfalls offiziell jedes Bündnis ablehnt, sibyllinisch bemerkt: „In der Wahlkabine trifft jeder seine eigene Entscheidung, aber es ist klar, das Projekt von Sala (des Kandidaten von Mittelinks, HH) überzeugt nicht“. Soll heißen: Geht bei der Stichwahl zur Wahl. Und wählt nicht Sala. Den Rest denkt ihr euch selbst.

Im Kleinen wurde dies alles schon einmal durchexerziert: 2012 bei den Kommunalwahlen in Parma, als nach dem ersten Wahlgang der PD-Kandidat mit 39 % scheinbar uneinholbar vorn lag. Und die Stichwahl gegen den Kandidaten der 5-Sterne-Bewegung, der 19 % erhielt, nur noch Formsache schien. Bei der Stichwahl siegte jedoch Grillos Mann mit 57 % – das rechte Lager war geschlossen zu ihm umgeschwenkt.

Lernprozess der Rechten

Das schien nur ein lokales Ereignis zu sein. Jetzt könnte es zu einer grundlegenden politischen Weichenstellung werden. Man kann das Ganze auch als Lernprozess betrachten – die italienische Rechte verbündet sich mit der sog. „Antipolitik“ und entdeckt in dieser Konstellation ihre gesellschaftliche Mehrheit. Das italienische Wahlrecht mit seinen Mehrheitsprämien ist der Katalysator. Das Bündnis ist zerstörerisch, denn es hat jenseits der Negation von Renzi kein gemeinsames konstruktives Projekt. Welche Abwehrkräfte es dagegen noch in der italienischen Gesellschaft gibt, wird sich in der nächsten Zeit zeigen. An der Mobilisierung dieser Abwehrkräfte wird sich die radikale Linke nicht beteiligen.
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