EVP: Rückenwind für Rechtspopulisten

In Madrid küsst Orban die Hand

In Madrid küsst Orban die Hand

Als wir vor 5 Jahren den Blog „Aus Sorge um Italien“ aus der Taufe hoben, verbanden wir es mit einem Aufruf gegen die Neigung deutscher Medien, in Silvio Berlusconi nur italienische Folklore zu sehen. Der saß damals noch fest im Sattel und verfolgte nach unserer Einschätzung das Ziel, in Italien nicht nur ein korruptes, sondern auch autoritäres Regime zu etablieren. Zugleich wollten wir der CDU/CSU ins Gewissen reden, die in Straßburg mit Berlusconis Leuten auf einer Fraktionsbank sitzt (zur „Europäischen Volkspartei“ EVP gehören 75 Parteien aus 40 Ländern, die in vielen europäischen Ländern die Regierung stellen). Und hofften auf die Einsicht, dass die christlich-konservativen Werte, auf die sich Union und EVP theoretisch berufen, mit der Politik und dem Verhalten Berlusconis unvereinbar sind. Später erweiterten wir unsere Anfrage auf Viktor Orbans ungarische Fidesz-Partei, die ebenfalls zur EVP gehört und noch erfolgreicher in die autoritäre Richtung marschiert. Die wenigen Antworten, die uns aus der Union erreichten, sprachen für eine gewisse Verlegenheit: Man mische sich nicht gern in innere Angelegenheiten anderer Länder ein, Ausschlussverfahren seien schwierig usw.

Berlusconis Verzicht auf den großen Auftritt

Es war nicht die EVP, sondern die italienische Justiz, die Berlusconi für ein paar Jahre die Möglichkeit nahm, sich im Glanz der EVP-Kongresse zu sonnen. Das ist nun Vergangenheit: Zum Kongress, der am 21./22. Oktober in Madrid stattfand (in Spanien stehen Wahlen an), durfte Berlusconi wieder hin. Er wollte von der EVP Rückendeckung, denn zu Hause sinken seine Umfragewerte, und es gibt dort ein paar Konkurrenten, die sich ebenfalls auf die EVP berufen. Zunächst verkündete er, in Madrid eine wegweisende Rede halten zu wollen (darunter macht er’s nicht, um Putin sollte es gehen und Flüchtlinge), aber im letzten Moment gab er den Plan wieder auf. Angeblich weil er nun doch erst seine Reinwaschung durch den Straßburger Gerichtshof abwarten will (den er als „unschuldiges“ Opfer der italienischen Justiz angerufen hat). Aber wohl auch aus taktisch-praktischen Erwägungen: Sein Renommee ist angeschlagen, und ein allzu dickes Lob seines Freundes Putin könnte viele herausfordern. Da auf dem Kongress außerdem die Neuwahl von zehn Vizepräsidenten der EVP anstand, hätte ein polarisierender Auftritt vielleicht die Wiederwahl seines Kandidaten Tajani gefährdet. So sicher kann sich Berlusconi seines Prestiges auch nicht mehr sein.

Mit Merkel alles wieder gut

Umso umtriebiger widmete er sich in Madrid der Kontaktpflege – auch um zu dokumentieren, dass er wieder dazu gehört. EVP-Präsident Daul und der deutsche Fraktionschef Manfred Weber empfingen ihn. Den eigentlichen Ritterschlag für ihn bedeutete sein Treffen mit Angela Merkel, nach dem er verkündete, nun gebe es zwischen ihnen keine „Missverständnisse“ mehr. Eingeweihte wissen, worum es ging: Berlusconi hatte vor einigen Jahren am Telefon Angela Merkel eine „Culona“ genannt, zu Deutsch „Riesenarsch“ (samt einem Adjektiv aus dem Pissoir-Milieu). Das Gespräch wurde abgehört, da sein Gesprächspartner sein privater Zuhälter Tarantini war, gegen den damals gerade polizeilich ermittelt wurde. So kam die „Culona“ durch Indiskretion in die Medien. Berlusconi scheint es durchaus recht gewesen zu sein, denn später setzte sein familieneigenes Kampfblatt „Giornale“ das Wort noch einmal mit Merkel-Bezug auf die Titelseite – Merkel-Schmähungen waren populär. Mit 4-jähriger Verspätung erklärt nun Berlusconi die ganze Affäre zur „Presse-Erfindung“. Sie ist vergessen, es hat sie nie gegeben. Bei der Wahl der Vizepräsidenten bekam Tajani die viertmeisten Stimmen.

Dass Berlusconi in Madrid noch einmal bestätigte, sich gegen Renzi mit dem erklärten Rassisten, Euro-Feind und Anti-Europäer Salvini (Lega) verbünden zu wollen, erschütterte niemanden mehr – bloß nicht noch ein weiteres Fass aufmachen. Diesmal ging es bei der EVP um die europäische Flüchtlingspolitik, und die macht schon genug Ärger. Waren Berlusconi und Orban vor ein paar Jahren noch Randfiguren, die aus Machtkalkül mitgeschleppt wurden, ist dies heute ein Thema, mit dem zumindest Orban auftrumpfen konnte.

Orbans Attacke

Angela Merkel hatte zuvor eine Rede gehalten, in der sie von Menschenrechten sprach – für diejenigen, „die europäischen Boden betreten“. Von denen habe jeder das Recht, „wie ein Mensch behandelt zu werden“, so ihre Botschaft. Nicht ohne den Orbans, Seehofers usw. den kleinen Finger zu reichen: Sie könne sich auch eine gemeinsame europäische Küstenwache „vorstellen“ (um die Flüchtlinge wirksamer als bisher am Betreten dieses Bodens zu hindern).

... und verteidigt das Abendland

… und verteidigt das Abendland

Aber schon die „Menschlichkeit“ gegenüber denen, die Europa trotzdem erreichen, ging vielen Anwesenden zu weit. Zu ihrem Sprecher wurde Orban: In Wahrheit gebe es „keine Flüchtlingskrise, sondern eine völlig unkontrollierte und unregulierte Migrationsbewegung – eine Invasion von Wirtschaftsmigranten, Flüchtlingen und ausländischen Kämpfern“. Die europäischen Medien zeigten nur flüchtende Frauen und Kinder, „aber 70 % sind junge Männer, das gleicht einer anrückenden Armee“ (die ungarischen Medien, die Orban besser im Griff hat, arbeiten das wohl noch deutlicher heraus). Für Merkel gab es Beifall, aber der Beifall für Orbans Kernsatz „Europa kann nicht jeden aufnehmen“ war stärker. Der bayrische Ministerpräsident hofiert ihn, die Länder im östlichen Mitteleuropa haben ihn de facto zu ihrem Sprecher gemacht. Was manche Zunge löste. Ein slowenischer Ex-Ministerpräsident bekundete angesichts der eindringenden fremden Religionen Identitätsangst: „Das Römische Reich brach zusammen, als es nicht mehr seine Grenzen verteidigen konnte.“ Da wagte sich auch Berlusconis Tajani aus der Deckung und warnte vor der „biblischen Invasion“.

Die zwei Lesarten von „Nächstenliebe“

Als Roland Koch 1999 eine hessische Landtagswahl, welche die CDU nach den Umfragen zu verlieren drohte, im letzten Moment umbog, indem er eine Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft lostrat („Wo kann ich gegen Ausländer unterschreiben?“), sah man darin vor allem individuelle Skrupellosigkeit. Die CDU insgesamt schien gegenüber „Ausländern“ einen moderateren Kurs zu verfolgen. Unbeachtet blieb, dass sich damals niemand aus der Berliner CDU-Zentrale von Koch distanzierte.

Die Episode nahm für Deutschland vorweg, was sich heute für ganz Europa ankündigt. Der christlich-konservative Block hatte schon immer zwei Seelen in seiner Brust. Wie es ja auch von der „christlichen Nächstenliebe“ zwei Lesarten gibt: Für die eine mündet sie in die Menschenrechte, für die andere endet sie an der Landesgrenze (sonst, so das Argument, wäre sie ja keine Nächstenliebe). Über die zweite schrieb Nietzsche (im Zarathustra): „Die Ferneren sind es, welche eure Liebe zum Nächsten bezahlen; und wenn ihr zu Fünfen miteinander seid, muss immer ein sechster sterben“. Er war für die „Fernstenliebe“. Aber bekanntlich wurde er auch verrückt.

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