Senat: Orang-Utan-Vergleich keine Anstiftung zum Rassismus

„Beim Herumstöbern im Internet komme ich auf ‚Italienische Regierung‘, und Scheiße, was sehe ich da? Die Kyenge! Ich bin von den Socken. Ich liebe Tiere, um Gottes Willen, Bären und Wölfe besonders. Aber wenn ich die Kyenge sehe, diese Erscheinung eines Orang-Utans, da bin ich fassungslos“. So Lega-Senator Roberto Calderoli im Juli 2013 bei einer Kundgebung. Die im Kongo geborene Cécile Kyenge (PD) war damals Integrationsministerin der Letta-Regierung.

Eine Entschuldigung reicht nicht

Eine Entschuldigung reicht nicht

Nach empörten Reaktionen sah sich Calderoli, der sogar Vizepräsident des Senats ist, genötigt, sich bei der Ministerin „zu entschuldigen“. Seinen eigenen Rücktritt lehnte er ab. Kyenge, die von Beginn an Ziel rassistischer Beleidigungen war, reagierte souverän. Sie nahm die Entschuldigung an, erklärte aber, dass es sich hier um keine persönliche Angelegenheit handele, sondern um eine, die die ganze Gesellschaft betreffe. Sie verzichtete auf eine Verleumdungsklage, in der Erwartung, Justizbehörden und Institutionen würden sich der Sache annehmen.

PD-Senatoren retten Calderoli

Eine Erwartung, die bitter enttäuscht wurde. Mit großer Mehrheit übernahm jetzt der Senat das Votum seines Immunitätsausschusses: bei Calderolis Satz handele es sich um die politische Meinungsäußerung eines Abgeordneten, die durch Art. 68 der Verfassung (“Die Mitglieder des Parlaments dürfen für Meinungen, die sie in Ausübung ihrer Funktionen äußern, nicht zur Verantwortung gezogen werden“) gedeckt sei. Der erschwerende Umstand „Anstiftung zum Rassismus“ sei nicht gegeben. Damit wurde der Antrag von Senator Crimi (5-Sterne-Bewegung) abgelehnt, welcher der Justiz die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen Calderoli ermöglicht hätte.

Dass die xenofobe Lega Nord und Berlusconis Forza Italia sich auf Calderolis Seite stellen, war zu erwarten. Doch gerettet wurde er, weil auch die große Mehrheit von Kyenges eigener PD-Fraktion dafür stimmte. Calderoli kann triumphieren: Ein Verfahren wegen Verleumdung entfällt, weil ja die Geschädigte keine Klage einreichte. Und – dank der Senatsmehrheit – ebenfalls ein Verfahren wegen Anstiftung zum Rassismus, bei dem die Staatsanwaltschaft unabhängig von einer Privatklage ermitteln müsste.

Dass Rassisten schwarze Menschen – in Italien, Deutschland und anderswo – als Affen beschimpfen (siehe die Bananenwürfe gegen schwarze Fußballspieler in den Stadien, auch Kyenge wurde schon mit Bananen beworfen), weiß jeder. Wie können da sogar PD-Senatoren meinen, Calderolis öffentlicher Vergleich mit einem Orang-Utan stachele nicht zum Rassismus an?

Die Hintergründe

Die Begründungen sind ebenso fadenscheinig wie absurd. Ein paar Kostproben: Es könne sich gar nicht um Rassismus handeln, das ergebe sich schon „aus der Zusammensetzung der Lega, bei der schließlich auch einige Farbige aktiv sind“, so PD-Senator Moscardelli. Wenn man also ein paar farbige Mitglieder hat, ist Rassismus ausgeschlossen. Es kommt noch besser. Senator Cucca (ebf. PD): „Die Sätze des Senators Calderoli sind in einem besonderen Kontext der politischen Kritik zu bewerten, bei dem es nicht unüblich ist, in satirischer Absicht Menschen mit Tieren zu vergleichen“. Andere erklärten: „Das war doch scherzhaft gemeint!“.

Die Vermutung liegt nah, dass der eigentliche Grund ein anderer ist: Ministerpräsident Renzi und seine Parteifreunde, die mit Hochdruck an die Verabschiedung wichtiger Reformen arbeiten – über die Senatsreform läuft gerade die Abstimmung im Senat – passt die Aufhebung der Immunität des Vizepräsidenten des Senats nicht in den Kram. Sie würde die Frontstellung gegenüber der Opposition zusätzlich verschärfen. Die Regierungsmehrheit hat auch schon so Mühe, deren massiven Boykottversuchen Herr zu werden, allen voran denen von Calderoli selbst, der – unter Verwendung eines dafür extra entwickelten „algorithmischen Verfahrens“ – monströse 82 Millionen Änderungsanträge einreichte. Inzwischen hat sie zwar Senatspräsident Grasso als unzulässig verworfen, aber erst einmal waren damit Scharen von Senatsangestellten tage- und nächtelang beschäftigt.

Es erschien also politisch inopportun, Calderolis Lega und deren Beinah-Verbündeten FI zusätzlich zu verärgern und womöglich zu weiteren Rachezügen anzustacheln.

Ein Macher, kein Staatsmann

Hier wurden also moralische und rechtsstaatliche Grundsätze der politischen Opportunität geopfert. Das ist keine Lappalie, sondern ein gravierender und beunruhigender Vorfall, der Erinnerungen an eine nicht allzu fern liegende Vergangenheit – die Berlusconi-Ära – weckt. Es geht nicht allein um Solidarität mit Cècile Kyenge, obwohl sie durch die Senatsentscheidung erneut beleidigt, isoliert und damit weiteren rassistischen Angriffen ausgesetzt wird. Es geht – wie Kyenge selbst erklärte – um die Verharmlosung des Rassismus und um das Aussetzen rechtsstaatlicher Prinzipien, die der Senat eigentlich als Institution schützen muss.

Renzi, Regierungschef und PD-Generalsekretär, ist ein Macher mit der Fähigkeit, überfällige Reformen energisch voranzutreiben. Für eine grundlegende Veränderung – moralische Erneuerung, strenge Achtung rechtsstaatlicher Grundsätze in Politik, Institutionen und Gemeinwesen – erweist er sich als unzuständig. Dieses Feld überlässt er denjenigen, die es für das eigene Gruppeninteresse instrumentalisieren: Grillo und seiner 5-Sterne-Bewegung. Renzi selbst interessiert nur, wie er seine Vorhaben durchsetzen kann. Wenn dabei Prinzipien stören, pfeift er auf sie. Wer zu solchen politischen Winkelzügen greift, kann ein guter Politprofi sein. Aber kein Staatsmann, der in der Lage wäre, Italien aus dem Sumpf von 20 Jahren Berlusconismus herauszuziehen.

P.S.: Die Europaabgeordnete Kyenge hat angekündigt, gegen die Senatsentscheidung Einspruch beim Europäischen Hof für Menschenrechte zu erheben. Es ist zu hoffen, dass Italien von dort heftig abgewatscht wird. Es wäre nicht das erste Mal.