Antimafia unter Freunden

Vor einigen Monaten stellten uns italienische Freunde feierlich vier Flaschen Rotwein auf den Tisch. „Der kommt aus Sizilien und wurde auf Ländereien produziert, die früher der Mafia gehörten. Und die deshalb konfisziert wurden“, erklärten sie. Der Wein schmeckte weder besonders gut noch besonders schlecht, aber wir tranken ihn mit Andacht. Und hatten eine Vision: Arbeiter, die früher für die Mafia fronten, bilden eine Kooperative und sind ihr eigener Herr. Auf einem der Mafia entwundenen Land, das ihnen der Staat zur Nutzung überließ. Endlich! Darauf noch ein Fläschchen.

Was könnte erhebender sein als ein solcher Moment? Italien rühmt sich, die fortschrittlichsten Antimafia-Gesetze Europas zu haben, fortschrittlicher auf jeden Fall als Deutschland. In Italien darf man die ertappten Mafiosi nicht erst dann ins Gefängnis werfen, wenn sie mit „rauchender Pistole“ erwischt werden (wie in Deutschland). Und man kann sie dort treffen, wo es wirklich weh tut: ihnen per Gerichtsbeschluss die Ländereien, Betriebe, Immobilien und Guthaben wieder abnehmen, die sie mit ihrem schmutzigen Geld erworben haben.

Die palermitanischen Musketiere

beniconfiscati2Nun gibt es Nachrichten, welche die Idylle stören. Am 9. September meldeten die Zeitungen, dass gegen wichtige Vertreter der Antimafia-Behörde von Palermo ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. Natürlich ist noch nichts gerichtsfest bewiesen. Bisher gibt es nur das Ergebnis von Vorermittlungen, zu denen auch eine telefonische Abhöraktion gehörte.
Im Mittelpunkt stehen zwei befreundete Familien der besseren palermitanischen Gesellschaft: die eine heißt Saguto, die andere Cappellano Seminara. Freundschaft ist ein kostbares Gut, besonders in Süditalien, ganz besonders in Sizilien. Und wer da nur an mit Blut besiegelte Treuebünde der Cosa Nostra denkt, liegt in diesem Fall daneben. Denn was hier die Freunde zusammenschweißt, ist gerade der Kampf gegen die Mafia. Die Richterin Silvana Saguto ist die eine Hauptfigur. Ihr Spezialgebiet ist die Konfiszierung von Mafia-Gütern. Die andere ist Gaetano Cappellano Seminara, ein Rechtsanwalt, den man in Palermo als ersten fragt, wenn für die konfiszierten Güter ein gerichtlich zertifizierter Verwalter zu finden ist. Silvanas und Gaetanos Familien sind eng befreundet. Kein Wunder, dass Silvana zuerst an Gaetano denkt, wenn sie einen zuverlässigen Verwalter für die von ihr konfiszierten Mafia-Güter sucht. Für diese Arbeit wiederum braucht Gaetano Berater. Sein wichtigster Berater ist der Ingegnere Lorenzo Caramma, mit dem Gaetano ebenfalls eng befreundet ist. Zufälligerweise ist er der Ehemann von Silvana. Beratern zahlt man ein Honorar. Die penibel ermittelnden Polizisten fanden heraus, wieviel Berater-Honorare Gaetano Cappellano Seminara zwischen 2005 und 2014 an Lorenzo Caramma zahlte, und kamen dabei auf exakt 755.114,84 €. Das Grundschema ist schlicht: Silvana versorgt Gaetano mit Verwaltungsposten bei den konfiszierten Gütern, und der versorgt Silvanas Ehemann Lorenzo mit Honoraren in Höhe von einer dreiviertel Million.

Frischobst und 600 Millionen

Der „magische Zirkel“, in dem sich alles abspielte, war noch etwas größer, auch wenn man als Außenstehender nicht so leicht hineinkam. Einige weitere Richter gehörten dazu, auch einige Geschäftsleute. Was sie einte, waren die konfiszierten Güter. Dem 33-jährigen Sohn eines Richters, der „dazu“ gehört, übertrug Silvana die Verwaltung eines ehemaligen Mafia-Imperiums im Wert von 600 Mio. € (kein schlechter Start für einen frisch gebackenen Rechtsanwalt!). Auch ein Hochschulprofessor bekam seinen Anteil. Er soll sich nicht nur damit revanchiert haben, dass er Silvana regelmäßig mit frischem Obst versorgte und das Fest ausrichtete, das anstand, als ihr eigener Filius sein Diplom gemacht hatte. Ein Gerücht besagt, dass er ihm auch bei dessen Arbeit half. Was davon nun Dichtung, was Wahrheit ist: Es gibt eine Idee vom Humus der Freundschaft, in den hier alles eingebettet war.

Wo es um viel Geld geht …

Wenn die Geschichte stimmt, ist sie lehrreich. Da ist eine Gruppe von Menschen auf der Seite des Guten, Lichtjahre entfernt von Drogen, Prostitution, Erpressung und Mord. Das Band, das sie zusammenhält, könnte edler nicht sein: Es ist der Kampf gegen all dies, plus Freundschaft und Vertrauen. Trotzdem – oder gerade deshalb – überschreitet dieser Bund die Schattenlinie, wo aus ihm wechselseitige Begünstigung wird. Und banale Korruption.

Eigentlich erscheint die Sache nur auf den ersten Blick unfassbar. Die Korruption macht vor nichts Halt, auch nicht vor der Justiz. Wenn schon die römische „Mafia Capitale“ entdeckt, dass man mit der Unterbringung von Flüchtlingen bessere Geschäfte machen kann als mit Drogen, warum soll dann gerade die Antimafia „sauber“ bleiben? Wo es um viel Geld geht, wächst der Appetit. Auch im Herzen der Edelsten.

PS:
Sage niemand, so etwas gebe es nur in Italien. Oder allgemeiner: nur in Südeuropa. Zwar fragen heute nur noch Querulanten, was bei der Treuhand geschah, als die DDR abgewickelt wurde (auch da ging es um viel Geld). Das ist lange her, und gegenüber Griechenland konnte unser moralischer Zeigefinger schon wieder zur Größe des Kölner Doms anwachsen. VW hat erreicht, dass er wieder auf die Größe eines Stummels geschrumpft ist.